Roman Signers Skiplausch

Mein Winter ist gerettet! Denn es gibt nichts Erbauenderes als ein Gespräch mit Roman Signer. Seine Ernsthaftigkeit stimmt versöhnlich, seine spitzbübische Spielfreude wirkt ansteckend. Warum ich mich mit dem 75-jährigen Meister in eine stille Ecke des Hotels Bernerhof in Gstaad zurückziehen darf? Hier die Erklärung, warum, und auch das Interview.

Von Uneingeweihten noch unbemerkt, nimmt in der verschneiten Landschaft um Gstaad ein Kunstereignis der Superlative Form an: die Alpen-Biennale «Elevation 1049». Schweizer Kunststars verwandeln Gstaad in den kommenden Monaten in einen Parcours mit Skulpturen und Installationen im Freien. Am Eröffnungstag (24. 1.) erwartet das Publikum ein besonderes Vergnügen: eine Live-Aktion von Roman Signer. Der international bewunderte Schweizer Künstler wird einem Holzchalet das Skifahren beibringen. Die SonntagsZeitung durfte den vorwitzigen Zeremonienmeister bei den Vorbereitungen zu «Alles fährt Ski» begleiten.

Roman Signer, mögen Sie Songs vom Trio Eugster?

Sie meinen, wegen des Titels «Alles fährt Ski»? Ich wusste gar nicht, dass das Lied vom Trio Eugster gesungen wurde.

Hat Sie der Schlager aus den 70er-Jahren zu Ihrer neuen Arbeit inspiriert?

(singt) Alles fahrt Schii, alles fahrt Schii, Schii fahrt die ganzi Nation. D Mamme, dr Bappe, dr Sohn. Es git halt nüt Schöners, juhe, juhe, als Sunneschy, Bärge und Schnee … (lacht). Nein, am Anfang stand nicht der Song, sondern die Vorstellung von einem Häuschen auf Ski, das die Piste runterfährt. Erst später ist mir dieses Lied in den Sinn gekommen, das wir gesungen haben. Wir lassen es aus dem Lautsprecher laufen, während die Hütte fährt.

Wie kann denn das Häuschen überhaupt Ski fahren?

Genau wie die Menschen auch. Wir stellen es auf Ski. Wahrscheinlich werden wir vier Paar unten anmachen. Und das Licht wird brennen, als ob die ganze Familie während der Fahrt am Tisch sässe und Fondue essen würde. Eben, alles fährt Ski. In Gstaad jetzt auch Chalets.

Wird es nicht auseinanderfallen?

Nein, da sorgen wir schon dafür. Es sollte nach seiner Fahrt neben der Piste stehen bleiben bis im März. Wir filmen die Aktion, und das Video wird dann im Häuschen gezeigt.

Es klingt lustig, aber es ist eine verwegene Idee, ein Chalet die Piste runtersausen zu lassen.

Ja, schon. Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit niemand zu Schaden kommt.

Welche?

Wir werden Proben durchführen. Wir lassen das Häuschen erst ein Drittel des Berges runterfahren und schauen, wie es reagiert, dann ziehen wir es wieder hoch und versuchen das Gleiche mit dem halben Weg. Es darf ja nicht passieren, dass es in den Parkplatz unten reinfährt.

Wie schwer ist es?

500 Kilo. Es ist ein kleines Häuschen, drei auf fünf Meter und drei Meter hoch. Gerade genug, dass eine Familie an einem Tisch drin Platz nehmen könnte.

Wir waren gerade beim Gstaader Chaletbauer Albert Bach, der Ihr Wunschhäuschen baut. Er staunte über das Spitzdach. Warum soll es so steil sein?

Ich bin es mir von der Ostschweiz gewohnt, dass das Dach ca 43 Grad Neigung hat. Hier dagegen macht man etwas flachere Dächer, 30 Grad Neigung. Das ist dem Chaletkonstrukteur aufgefallen. Ich bleibe aber dabei, mir gefällt das so.

Da setzt sich ein Ostschweizer im Berner Oberland durch?

Ja. Warum nicht? Bei uns gibt es ja auch Simmentaler Kühe. Da darf unser Spitzgiebel hier Gastrecht geniessen. Ist ja nur temporär, bis März.

Haben Sie nicht Angst, dass das Stahlseil, an dem das Häuschen angemacht ist und das Sie durchschneiden, ausschlagen und Sie verletzen könnte?

Um mich habe ich keine Angst. Nur um die Zuschauer. Eine gewisse Spannung muss bleiben, das gehört dazu.

Der Chaletbauer hat vorgeschlagen, dass man das Häuschen an einem Seil runterlässt und eine Bremse einbaut. Das wollten Sie aber nicht.

Nein, nicht so. Ich hätte andere Ideen. Man könnte zum Beispiel einen Schiffsanker dranmachen. Oder an einem Gummi anmachen, dann spickt es wieder zurück (lacht). Auch eine Sicherheitssprengung am Schluss wäre denkbar, so fährt es unten nicht zu weit (lacht noch mehr). Aber das wäre wieder zu gefährlich.

Purzeln bei Ihnen auch im Alltag solche Ideen? Sehen Sie alles in Bewegung geraten oder explodieren?

Nein. Aber man sieht viel Interessantes im Alltag. Ich war mal in Island, hatte eine Ausstellung dort, und als ich den Schlüssel zu meiner Unterkunft suchte, rutschte vor mir ein Riesenhaufen Schnee vom Dach runter. Wäre ich einen Schritt weiter vorne gestanden, wäre ich darunter gewesen. Der Schlüssel hat mir das Leben gerettet.

Ist also im Alltag die Gefahr ebenso präsent wie in Ihrer Kunst?

Der Alltag ist das Gefährlichste überhaupt. Schnee oder Eiszapfen können einen erschlagen, oder man kann von einer Leiter fallen. Der Tod ist immer auf der Lauer.

Man erlebt es gerade bei Michael Schumacher.

Genau! Bei all den Rennen, den Unfällen, die er überstanden hat – hier hat plötzlich das Schicksal zugeschlagen.

Beschäftigt Sie das?

Natürlich. Da sind unheimliche Kräfte im Spiel.

In Ihrer Kunst treiben Sie Ihr Spiel mit den Kräften der Natur. Macht das die Faszination Ihrer Werke aus?

Könnte schon sein. Die Menschen leben mit der Gefahr, ohne sie zu bemerken. Ich selbst habe mal in Utrecht in Holland gesehen, wie ein Riesenast vom Baum runtergefallen ist, direkt hinter einem Velofahrer. Der Fahrer sauste weiter, hat nichts bemerkt.

Fordern Sie mit Ihren Aktionen Ihr Glück manchmal heraus?

Ich mache ja nicht immer Aktionen. Nächstens zeige ich Skulpturen – in Zürich, in meiner Galerie Hauser & Wirth. Überhaupt mache ich weniger Aktionen als früher. Sie sind auch weniger gefährlich. Die, bei der ich aufs Eis rauslaufe, auf die Gefahr hin, dass es einbricht, würde ich jetzt nicht mehr machen.

Zu gefährlich?

Man soll das Schicksal nicht zweimal mit dem Gleichen herausfordern.

Hier in Gstaad ist Ihre Installation ein Teil der Schau «Elevation 1049». Hat sie die Idee einer Alpenbiennale sofort überzeugt?

Es ist verrückt, was hier entsteht! Ich muss allein schon die Organisation bewundern. Mir ist Gstaad sympathisch, bin lieber hier als in St. Moritz. Es ist «gemütlicher».

Auch Gstaad ist mondän und wird durch diese glamouröse Kunstschau noch mondäner. Stört Sie das?

Nein, ich freue mich, wenn im Simmental das Verständnis für zeitgenössische Kunst gestärkt wird. Als Appenzeller bin ich froh, dass bei uns dank dem Liner-Museum und der Kunsthalle Ziegelhütte jetzt nicht nur Bauernmalerei als Kunst gilt.

Sind Sie noch an weiteren Projekten dran?

Ich werde im Juni im Kunstmuseum St. Gallen ausstellen – sozusagen ein Heimspiel. Und dann kommt vermutlich eine Schau in China.

Haben Sie schon mal in China ausgestellt?

Ja. An der Shanghai Biennale hatte ich mal eine verrückte Sache gemacht. Eine riesige Holzkugel von etwa 1 Meter Durchmesser, mit blauer Farbe gefüllt, ist 35 Meter runtergesaust. Das war ein Wahnsinnssturz.

In Japan sind Sie ein hoch verehrter Künstler, ist in China das Verständnis für Ihre Werke ebenso gross?

Japaner verstehen mich vielleicht besser. In Japan haben sie gern das Reduzierte, das Einfache. Chinesische Kultur ist «barocker».

Wo stellen Sie am liebsten aus?

Ganz klar – in der Schweiz. Aber auch in Frankreich, England und Holland.

Die beschriebene Aktion findet am Freitag, dem 24.1.2014 um 15.30 Uhr statt

Publiziert am 12.01.2014 in der SonntagsZeitung

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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