Nicht so stiller Has

Christian Hubschmid und ich treffen Endo Anaconda im Rosengarten in Bern. Er erzählt uns über sein Wildern im Kostümfach, was ihm auf der Toilette im Heidiland widerfährt und warum er im Gegensatz zu Knackeboul keine Likes braucht. Er posiert für uns und den Fotografen als moderner ägyptischer Diktator mit Sonnenbrille. Der Sänger von Stiller Has wärmt sich so fürs Kostümfach auf: Er wird im Sommer im Musical «Aida» an den Thuner Seespielen den Pharao spielen. Das ist eine Überraschung: Der subversive Rebell wird Teil der Unterhaltungsindustrie. An einem sommerlich warmen Nachmittag erklärt der 58-Jährige im Berner Rosengarten, wie es zu seiner Verwandlung kam.

Endo Anaconda, Musical? Wirklich?

Warum denn nicht? Es handelt sich schliesslich um eine Sprechrolle. Ich habe nicht die Absicht, ins leichte Fach zu wechseln. Die Musik der Thuner «Aida» ist von Elton John, also solide musikalische Unterhaltung. Und die Bezahlung stimmt auch.

Mit wie viel kann man den Hasen ködern?

Die Bezahlung ist okay, doch ich mache es nicht allein wegen des Geldes. Es schadet nicht, ab und zu in einem anderen Genre zu wildern. Da fällt mir doch kein Stein aus der Pharaonenkrone.

Warum dann nur eine Sprechrolle?

Stimmt eigentlich, es ist schon fast beleidigend. Aber so konkurrenziert dieser Auftritt wenigstens nicht den Stillen Has.

Ist der Pharao in dieser Version der «Aida» wenigstens ein saftiger Bösewicht?

Nein, warum sollte er das sein? Pharaonen von damals waren zwar absolute Herrscher. Aber so grausam sind sie doch nicht gewesen, dass sie an einem Tag 500 Todesurteile aussprechen würden, wie es die heutigen Pharaonen tun.

Wen bezeichnen Sie als den heutigen Pharao?

Die Regierung Ägyptens, die Militärs. Auch wenn die vor zehn Tagen ausgesprochenen Todesurteile sich gegen die Muslimbrüder richten, die ich für Wirrköpfe halte, bin ich dennoch erstaunt und schockiert, dass der Westen keine Sanktionen ergreift.

Wird diese politische Wirklichkeit in der Thuner Inszenierung thematisiert?

Nein, aber die Geschichte mit der unpassenden Liebschaft passt dennoch gut in unsere Zeit.

Inwiefern? Beziehungen überschreiten heute Rassen- und Klassengrenzen.

Nur scheinbar. In die heutige Zeit übersetzt wäre das, als wenn der Schwiegersohn von Christoph Blocher sich in ein somalisches Dienstmädchen verliebt hätte. Das bringt die Machtverhältnisse durcheinander.

Vergleichen Sie gerade Blocher mit einem Pharao?

Er ist ein Pharao ohne Reich. Er hätte eine Legende werden können, doch dazu fehlt ihm die Altersweisheit.

Worauf spielen Sie an?

Er untergräbt seinen Mythos, indem er nicht loslässt.

Mit der Masseneinwanderungsinitiative hat seine Partei die Schweizer Politszene dennoch erschüttert. Wie stehen Sie dazu?

Es hat unter den Nein-Sagern genauso viele Idioten wie unter den Ja-Sagern. Wir diskutieren. Es gibt Nationen, die diskutieren erst, nachdem sie Millionen Menschen in den Gasofen geschickt haben. Wir Schweizer diskutieren vorher.

Waren Sie eigentlich damals für den Beitritt zum EWR?

Nein. Und jetzt erst recht nicht, die Europäische Union ist doch nichts anderes als eine überdimensionierte Finanzblase.

Spricht hier ein ehemaliger Kommunist?

Ich hatte Sympathien für die Oktoberrevolution. Nicht für den Stalinismus, der danach folgte.

Wann sind Sie aus der KP ausgetreten?

Sobald ich nachpubertär wurde und einen klareren Kopf bekam. Meine kommunistische Frühjugend war eine Antwort auf das deutschnationale Umfeld in Südkärnten, wo ich aufgewachsen bin.

Eine Zeile aus einem Ihrer Songs heisst «Ich mit der Rose, du mit dem Gewehr». Ist Stiller Has ein Pazifist?

Diese Zeile ist eine Jugenderinnerung. Meine Grosseltern haben zur Zeit des Kalten Kriegs auf der österreichischen Seite der jugoslawischen Grenze ein Ferienhaus gehabt. Wir Jungs haben mit den bewaffneten jugoslawischen Grenzbeamtinnen geschäkert. Sie waren sehr hübsch mit ihren Schifflihütchen.

Ihre Grosseltern mütterlicherseits waren Österreicher?

Kärntner und Slowenen, die in Österreich lebten. Diese Familie war zweigeteilt. Während des Kriegs war ein Teil davon Mitläufer bei den Deutschen, der andere Teil bei den Partisanen. Für mich waren die Grenzen also immer ein Thema.

Ist Ihr humorvoller Zynismus, den man aus Ihren Songs und Kolumnen kennt, eine einge­übte Strategie angesichts dieser Widersprüche?

Nein. Ich bin echt von allen Systemen enttäuscht. Gut, dass ich bald sechzig werde, und gut, dass ich auf dieser Welt nicht allzu alt werden muss.

Sie werden nicht alt?

Nein, ich habe keine Lust, achtzig zu werden und als Rentner meinen Mietzins mit der Pumpgun eintreiben zu müssen.

Wie meinen Sie das? Sind Sie Mitglied bei Exit?

Nein, nein. Mich würde dieser Duftschalen-Groove der Exit-­Trostspender nerven. Krank sein und Sterben ist ein einsamer Job.

Aber warum gleich sterben? Wie man am Beispiel der Rolling Stones sieht, gibt es für beliebte Bands noch andere Wege, ihre Rente aufzubessern.

Ja, wenn die Kräfte reichen. Und wenn nicht? Vom Hotel Bellevue in die Notschlafstelle ist der Weg nicht sehr lang. Knapp fünf Meter.

Stiller Has ist eine der ­fleissigsten Bands der Schweiz. Ist diese Never Ending Tour nur das Resultat einer finanziellen Notwendigkeit?

Nein, ich mache das echt gern. Aber ich hätte gern eine Auszeit. Wir haben gerade 25 Jahre Stiller Has gefeiert und noch nie um Subventionen gebettelt. So etwas ist durchaus rufschädigend. Man gilt dann als «kommerziell».

Muss man um Subventionen betteln?

In der Stadt Bern ist es so, dass alle, die Subventionen empfangen, auch gleichzeitig in den Kommissionen sitzen und Subventionen vergeben. Da möchte ich mich nicht anstellen.

Untertreiben Sie nicht? Der Stille Has hat doch eine Lobby!

Ich bin nun mal ein Düsterling.

Einer, der dem Düsteren sehr komische Lieder abringt.

Man muss ja irgendwie damit fertigwerden. Schon nur der Kinder wegen.

Wie alt ist Ihr Jüngstes?

Mascha ist fünf Jahre alt.

Sie haben drei Kinder von drei verschiedenen Müttern. Gab es in Ihrem Leben auch ruhige Familienphasen?

Phasen schon. Mehr nicht.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Kindern?

Sehr liebevoll.

Mögen Ihre Kinder Ihre CDs?

Das wäre doch reichlich absurd, wenn ein Pubertierender die Musik des eigenen Vaters toll fände. Aber mit der Kleinen mache ich gerne Spontandichtung. Sie deklamiert fehlerfrei Gedichte von Christian Morgenstern.

Sie kommen bei den Jungen gut an, nächsten Mittwoch spielen Sie im Zürcher Exil, wo das Publikum dreimal jünger ist als Sie . . .

(Eine Gruppe Teenager kommt an den Tisch, an welchem das Interview stattfindet, und bittet um Autogramme.)

Mädchen: Darf ich ein Autogramm haben?

Endo (scherzt): Freilich, aber zeig es deinem Freund nicht!

Mädchen: Dürfen wir noch ein Foto haben?

(Sie fotografieren sich gegenseitig mit Endo und ziehen kichernd ab.)

Tut das gut, wenn man so angehimmelt wird?

Das gehört zum Job.

Sie inszenieren sich auf Ihrer letzten CD als böser Alter mit Bundfaltenhose, doch bei der Jugend geniessen Sie Kultstatus. Wie geht das?

Diese Kinder sind eben schon in ihrem antiautoritären Kindergarten mit meinem Song «Grusig, grusig» malträtiert worden. Darum bin ich bei denen so berühmt wie Pippi Langstrumpf. Aber wer möchte schon ein Kind wie Pippi Langstrumpf? Die bekäme heute Ritalin.

Welche Kinder will man denn heute?

Solche, die sich mit vier Jahren schon für einen Monitorjob bei Cablecom entscheiden. Oder für die Sendung «The Voice of Switzerland» trainieren.

Apropos, wären Sie nicht langsam reif für die Jury?

Ich finde die Sendung doof. Und ich glaube dem Rapper Stress keine Sekunde, dass er immer seine Naturaline-Unterhose, für die er Werbung macht, anhat.

Für die macht doch seine Ex-Frau Melanie Winiger Werbung.

Wer auch immer. Ich stehe wenigstens dazu, dass ich Zimmerli-Unterwäsche trage. Aber zurück zu «The Voice»: Diese Frau, die die letzte Staffel gewann, die Schwangere, wie hiess sie noch …

Nicole Bernegger . . .

Ja, die hat eine tolle Stimme. Und Stress produziert ein Album von ihr, das scheisse tönt. Sie hat eine gute Band, sie hätte ein viel besseres Album gemacht, wenn man sie allein hätte machen lassen.

Aber hat man Sie schon für die Jury angefragt?

Hören Sie schon auf! Die Sendung als Ganzes ist einfach nur lächerlich. Es sind Menschen, die selber nichts Originelles bringen und darüber urteilen, wie andere Sachen singen, die auch nicht originell sein dürfen.

Was schauen Sie selber am TV?

«ZDF History» mit dem Moderator Guido Knopp. Und Naturfilme. Ich bin Naturfilmgucker. Ansonsten bin ich fanatischer Zeitungsleser. Elektronische Medien sind nichts für mich.

Sie sind aber die Zukunft. Auch in der Musikindustrie.

Die CD ist nicht tot. So etwas zu behaupten, ist Blödsinn. CDs machen immer noch zwei Drittel des Umsatzes aus. Aber um die Urheberrechte in der Schweiz ist es schlecht bestellt. Was solls, am Radio wird Stiller Has sowieso nicht gesendet.

Warum nicht?

Weil unsere Musik und unsere Texte die Leute vom Arbeiten abhalten. Das ist unerwünscht.

Wie wäre es mit einer Quote für Schweizer Musik?

Welche Schweizer Musik? Die Kopie der Kopie der englischen Popmusik? Die meisten Leute hören doch gar keine Musik. Wenn du im Heidiland aufs Klo gehst, kriegst du sofort Verstopfung von dieser Beschallung.

Aber Ihre Konzerte sind doch immer rappelvoll!

Ja, das stimmt. Rapper Knackeboul sagte einmal zu mir: «Warum bist du nicht auf Facebook? Ich habe 20 000 Likes.» Von mir aus, aber er spielt im Stadtkeller Luzern vor 80 Nasen, ich vor 330. Und ich habe keine Likes.

Sie sind also nicht auf Facebook?

Doch, aber inaktiv. Ich brauche auch keine Google-Brille. Das geht Richtung Totalkontrolle. Und diese neuen Kameras, wie heissen die?

GoPro?

Die sind ja der reinste Irrsinn. Sobald bei mir vor dem Fenster die erste Drohne auftaucht, ich schwöre, ich schiesse sie ab. Mit dem Luftgewehr.

Haben Sie eins im Schrank?

Ja, natürlich. Im Ernst: Ich wünsche der Schweiz einen elektromagnetischen Schock. Einen mittleren wirtschaftlichen Totalabsturz.

Warum?

Weil man wieder die menschlichen Qualitäten entdecken müsste. Wir müssten zueinander stehen, näherrücken …

Also doch: Sie sind ein Romantiker!

Klar bin ich ein Romantiker. Ich liebe das tatsächliche Leben. Das Physische. Es ist mir lieber, dass mir jemand wegen einer Obszönität eine Ohrfeige gibt, als dass er nicht mehr mein Facebook-Freund ist. Ich habe lieber direkte Reaktionen. Ich würde nie auf Parship gehen.

Einer neuen Beziehung stünde aber nichts im Weg?

Was soll dieser im Wege stehen? Es ist langweilig allein. Ich kann mich immer noch verlieben, und ich glaube immer noch an die Liebe. Nur allzu oft möchte ich mein Herz nicht mehr brechen lassen.

In Ihren Songs geht es nicht nur um die Liebe, sondern oft auch um Ihren Körper.

Überhaupt nicht. Wo denn?

In «Böses Alter» haben ältere Herren Ranzen, und im Song «Märli» heisst es, «U ds Schlaraffelland gits nur mit Mageband».

Das reimt sich halt. Und ich habe es eher auf meinen Bandkollegen Schifer Schafer gemünzt. Aber gut, Körper und Schönheit sind das beherrschende Thema in dieser Gesellschaft. Die Jungen lassen sich schon Vollbärte implantieren. Unten rasieren sie alles ab, und was sie da einsparen, wird oben angesetzt. Unten keine Filzläuse, dafür oben Bartflechten – das kann doch nicht die Alternative sein.

Ist Ihre Glaubwürdigkeit grösser, weil Sie dem gängigen Schönheits- und Schlankheitsideal nicht ganz entsprechen?

Entspreche ich nicht? Das ist unfair! Ich habe dreissig Kilo abgenommen. Nicht, weil ich mich hässlich gefunden habe, sondern weil meine Leber-, Zucker- und Blutdruckwerte derart beängstigend waren. Und jetzt geht es mir besser denn je.

Dürfen wir dann hoffen, dass Sie noch nicht bald sterben?

Na, jedenfalls nicht sofort.

Nicht so stiller Has

Der Berner Endo Anaconda, 58, ist eine der prägendsten Figuren der Schweizer Kulturszene. Mit seiner Mundart-Band Stiller Has tourt er seit Jahren durch aus­verkaufte Säle. Seine Kolumnenbände «Sofareisen» und «Walterfahren» sind Bestseller. Der Sohn einer Österreicherin und eines Schweizers wurde als Andreas Flückiger in Burgdorf geboren und verbrachte seine Jugend in einem Internat in Klagenfurt. In den Achtzigerjahren kehrte er in die Schweiz zurück.

© SonntagsZeitung; 06.04.2014; Seite 15

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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