Andy Warhols Nase

von Ewa Hess

Als Andy Warhols «Green Car Crash» 2007 in New York den Zuschlag für 72 Millionen Dollar bekam, wusste jeder, wer der Künstler war, dessen Werkstatt das Bild entstammte. Denn der New Yorker Werbegrafiker mit slowakischen Wurzeln wurde bereits zu seinen Lebzeiten (1928–1987) zu einer überlebensgrossen Figur. Natürlich kam es so, weil er selbst so viel dafür tat. Unverschämt, ruhmsüchtig, laut und geschäftstüchtig, galt er manchem als ein abschreckendes Beispiel des modernen Künstlers, das Mundwerk grösser als das Können. Erst nach seinem Tod begann die Erkenntnis zu dämmern, dass die laute Manier keineswegs ein Nichtkönnen verbarg. Im Gegenteil, sie verdeckte eine so tiefe Einsicht in das Wesen der modernen Zeit, dass die volle Bedeutung des warholschen Werks erst jetzt so richtig eingeschätzt werden kann.

An Warhol führt heute kein Weg vorbei (siehe Kasten). Als er aber in den frühen 1960er-Jahren die ersten Gehversuche als Künstler machte, waren Maler wie der Flaggen malende US-Künstler Jasper Johns für den noch etwas pummeligen, unsicheren Werbezeichner ein leuchtendes Vorbild. Auch er wollte eine coole Gestalt der New Yorker Künstler- und Schwulenszene werden, und um diesem Ziel näher zu kommen, nahm er einiges auf sich, etwa eine Abmagerungskur (mithilfe von Amphetamin-Tabletten, welche ihn fortan immer begleiten sollten). Auch unterzog er sich Ende der 50er-Jahre einer Nasenkorrektur, von der er sich einen Attraktivitätszuwachs versprach. Sein Biograf berichtet von einer grossen Traurigkeit, ja, sogar Wut, die Warhol befiel, nachdem er feststellen musste, dass die neue Nase nur wenig Einfluss auf seine zwischenmenschliche Anziehungskraft hatte.

Um seinen Idolen Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein näher zu kommen, fing Warhol an, nach ihrem Vorbild, Alltagsobjekte und Comicszenen zu malen. Die grosse Wende trat Anfang der 60er-Jahre ein, als er anfing, kleine Billig-Anzeigen aus schmuddligen Zeitschriften abzumalen.

Eine dieser gemalten Anzeigen war – wenig überraschend – die Werbung für eine chirurgische Nasenkorrektur. Sie steht im Zentrum einer grossen WarholSchau im Kunstmuseum Basel, die als eines der Highlights des Kunst-Herbstes am 5. September eröffnet wird. Darin wird der Wendemoment der zeitgenössischen Kunst thematisiert, die Geburt der Pop-Art warholscher Prägung.

Der Kunst, stellt man sich vor, erging es ähnlich wie der Nase auf der Anzeige, die Warhol 1961 malte: vorher Hakennase. Nachher Stupsnäschen. Vorher Individualismus. Nachher gleichgeschaltete Konformität. Vorher eine Entsprechung zwischen dem inneren Wesen einer Person (eines Kunstwerks) und seiner Oberflä

che. Nachher der traurige Triumph der leeren Oberfläche.

Warhol war natürlich nicht der Erste, der die Kunst radikal infrage stellte. Er tat es aber konsequenter als seine Vorgänger und fügte der akademischen Auseinandersetzung um die Frage: «Was ist Kunst?» eine abgründige, verletzliche Komponente hinzu.

Denn früh schon kamen zu den beruhigenden, seriellen, von einer Gleichförmigkeit des Nachschubs sprechenden Suppendosen- oder Cola-Flaschen-Darstellungen die Bilder geschundener Suppenbüchsen dazu. Durchbohrt von einem Dosenöffner, zerquetscht, mit einer abgerissenen Etikette, wirkten sie wie die Märtyrer des industriellen Zeitalters.

Früh, schon 1962, begann sich Warhol auch mit dem Thema «Death & Desaster» auseinanderzusetzen. Bilder von Flugzeugabstürzen, Autounfällen, Selbstmörder-Leichen stellte er zwar im Siebdruckverfahren her, bearbeitete sie aber während und nach dem Druck. Er erhöhte die Kontraste, vermehrte die Rasterpunkte oder trug mit einem Schwamm Farbe auf.

In der Öffentlichkeit hat Andy Warhol nichts unversucht gelassen, um zu beweisen, dass es ihm mit der Malerei eigentlich nicht ernst sei. Er sagte, dass er Siebdruck brauchte, weil es dann andere für ihn erledigen können. Er behauptete, dass er schlampig arbeiten würde, damit es schneller geht, etc.

Bilder mit einer emotionslosen, radikalen Formensprache

Mit dieser Einstellung und dem Erfolg seiner Kunst hat Warhol endgültig dazu beigetragen, dass die Fotografie der Malerei den Rang ablief. Er bereitete den Weg für eine Vielzahl künstlerischer Verfahren, die mit der klassischen Bildherstellung wenig gemeinsam hatten.

Ihm selber war es aber als Maler sehr ernst. Und nirgends zeigte sich das so deutlich wie in den Bildern, in welchen die Absurdität des plötzlich eintretenden gewaltsamen Todes in eine emotionslose, radikale Formensprache gefasst wird.

Auch das Vorher-nachher-Bild seines Anfangs kann man als einen Beitrag zu Warhols dunkler Zeitanalyse verstehen. Während nämlich die lächerliche Hakennase im ersten Teil des Bildes noch auf eine Verbesserung ihrer Lage durch Korrektur hoffen darf, geht es dem süssen Stupsnäschen im zweiten Teil unendlich schlechter. Es ist schon perfekt. Und das heisst bei Warhol nichts anderes als: hoffnungslos.

«Andy Warhol. The Early Sixties», Kunstmuseum Basel, 5. September bis 23. Januar

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