Ich führte das Gespräch mit Natalie Portman am Filmfestival von Venedig, Lido di Venezia, im September 2010, anlässlich der Uraufführung des Films «The Black Swan». Hier die Berichterstattung: Die Stimmung im Nikki-Beach-Club am Rande des Filmfestivals Venedig schwankt zwischen aufgeregt und überdreht. Vor diesem Hintergrund wirkt die schmale Gestalt der Schauspielerin Nathalie Portman angenehm kühl. Sie trägt ein mitternachtsblaues Kleid und ein distanziert höfliches Lächeln. Nur manchmal verrät ein metallischer Ton in ihrer Stimme oder ein kleines Flackern in ihrem Blick, welche Intensität unter dem klassisch schönen Gesicht lodert.
Ihr Tanz im «Black Swan» ist atemberaubend. Doch der Film wird vermutlich wegen etwas anderem zu reden geben.
Ach ja, ich weiss, worauf Sie anspielen: auf die heissen Küsse, die ich im Film mit meiner Kollegin Mila Kunis tausche. Doch verglichen mit dem, was man heutzutage in anderen Filmen sieht, ist so eine gleichgeschlechtliche Liebesszene doch gar nichts.
Aber dass Sie in einer solchen spielen, erstaunt doch.
Ja, ich gelte wohl in der Öffentlichkeit als ein «good girl». Das hat sein Gutes: umso leichter fällt es mir, das Publikum zu verblüffen.
Wollten Sie mit dieser Rolle aus Ihrem Image ausbrechen?
Das wäre ein kindischer Grund, um eine Rolle anzunehmen. Ich spiele eine junge Frau, die sich selber sucht, daran fast verzweifelt, und am Ende auch findet. Es ist eine tief erfüllende Rolle, voller Intensität, jede Schauspielerin wünscht sich, eine solche wenigstens einmal im Leben zu spielen.
Wo haben Sie so Tanzen gelernt?
Ich habe als Kind und in meiner Jugend intensiv Ballett gemacht.
Man hörte, dass Sie ein Jahr vor Drehbeginn den Tanzdrill wieder aufgenommen haben.
Das habe ich. Und obwohl ich wunderbare Lehrerinnen hatte, war es furchtbar. Es hat mich körperlich sehr gefordert – bis an die Grenze. Doch das war auch gut, denn die Disziplin, die ich dafür brauchte, hat mich in eine Geisteshaltung versetzt, die ich brauchte, um Nina zu spielen.
Welche nämlich?
Konzentriert, asketisch, hungrig. Etwas tut immer weh. Für jede Ballett-Tänzerin ist das tägliches Brot.
Das klingt masochistisch.
Ist es auch! Das ist eben die erstaunliche Dualität der Ballett-Welt. Auf der einen Seite Schönheit und Leichtigkeit, auf der anderen Schmerz und Zweifel.
Gibt es da Parallelen zum Schauspieler-Beruf?
Nicht unbedingt. Das Ballett verlangt Virtuosität, also Technik, die nur durch stundenlanges Training erreicht werden kann. Und von einem Filmschauspieler wird heute vor allem eins verlangt: das er authentisch wirkt. Da ist Technik nur hinderlich.
Und die Rivalität unter den Ballerinas, um die es im Film auch geht?
Die gibt es auch unter Schauspielerinnen. Immer noch ist es so, dass hübsche Mädchen einige Male eine Rolle spielen und dann schnell durch neue, «frischere» Modelle ersetzt werden.
Nicht alle, zum Beispiel Meryl Streep oder Diane Keaton nicht.
Und warum nicht? Weil sie starke eigene Stimmen haben. Sie erlauben niemandem, sie zu kategorisieren. Darum hat mir die Rolle der Nina auch so gut gefallen. Sie findet einen Weg, aus fremdbestimmten Projektionen auszubrechen und sich selbst zufrieden zu stellen.
Sogar wörtlich, in einer gewagten Masturbationsszene.
Na ja, «Black Swan» ist nicht der erste Film, der Sexualität als Metapher verwendet.
Wofür stehen die lesbischen Liebesszenen?
Die von Mila Kunis gepielte Lily ist ein Spiegelbild Ninas, eine keckere, sinnlichere Variante von ihr. Damit Nina sich entwickeln kann, muss sie ihrer eigenen Sexualität näher kommen.
Darf das eine Ballerina überhaupt?
In der realen Welt? Kaum. Die eiserne Disziplin, die von den Tänzerinnen verlangt wird, ist lustfeindlich. Jede hat mir berichtet, wie strikt darauf geachtet wird, dass sie spindeldürr bleibt.
Sie sind auch sehr dünn …
Aber ich esse, ehrlich. Als Veganerin geniesse ich meine Mahlzeiten sehr. Ich vertilge zum Beispiel Unmengen von Hummus, der Kichererbsen-Paste.
Ihre Verzweiflung wirkt im Film schwindelerregend echt.
Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich verstand, wie man in eine Rolle so verwickelt wird, dass es einen runterzieht. Es gab einige Nächte, in denen ich dachte, ich würde sterben.
Wollten Sie der Welt beweisen, dass auch Sie ein schwarzer Schwan sein können?
Blödsinn. Ich brauche der Welt nichts zu beweisen.
Aber der Oscar-Academy? Sie gelten als Spitzenkandidatin.
Das Wichtigste ist, ein Kunstwerk zu schaffen, welches Menschen berührt. Preise sind dabei nur sekundär.
Publiziert am 09.01.2011