Die Rache des Raubvogels

Kunst mit aggressivem Potenzial gehört zu den Höhepunkten an der Biennale Venedig. Prinz Harry, dem königlichen Schlingel, verdankt die Biennale ihre Flügel. Denn er war es wahrscheinlich, der im Oktober 2007 ein Pärchen geschützter Greifvögel bei einem Jagdabenteuer in Norfolk vom Himmel schoss. Die Affäre fand kein juristisches Nachspiel, doch die Rache des Raubvogels bleibt nicht aus. Und gerät zum Highlight der diesjährigen Venedig-Kunstschau.

Der Künstler Jeremy Deller, 47, inszeniert den englischen Pavillon als eine Bilderschau mit aggressiven sozialen Untertönen. Sein Rachevogel-Fresko wirkt befreiend: Der Artgenosse der getöteten Kornweihen (Circus cyaneus) hat sich auf der nächstbesten Autobahn einen Offroader gekrallt. Ob der frevelhafte Prinz drinsitzt, ist unerheblich, denn mit der Comic-artigen Aktion ist vor allem der Ton gesetzt: begeisternd, unkompliziert, gesellschaftlich relevant – so etwas wie die dunkle Seite von Danny Boyles Londoner Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012.

Mit Dellers sozialer Skulptur (im nächsten Saal kommt der russische Oligarch Roman Abramowitsch an die Kasse) wird eine Biennale aufgewertet, die an ihren Eröffnungstagen nicht nur trist in kalten Regengüssen ersäuft, sondern auch seltsam kraftlos daherkommt. Mit einer gut gemeinten, aber blassen Hauptausstellung und vielen Pavillons, die sich als politisch korrekte Musterschüler zu etablieren versuchen. Die Deutschen und die Franzosen tauschen etwa ihre Pavillons, wie um Merkel-Hollande-Differenzen auf künstlerischer Ebene wieder wettzumachen. Dabei werden die beiden Länderauftritte sowieso von Fremden bestritten. Die Franzosen haben mit dem Videokünstler Anri Sala einen gebürtigen Albaner verpflichtet; die Deutschen durften mit Ai Weiwei den Superstar der Kunstszene als ihren Mann ins Rennen schicken.

Gegenüber diesem politischen Pathos ist man froh um die Eleganz im Schweizer Pavillon. Die Installation des Walliser Künstlers Valentin Carron, 36, besticht durch ihre perfekte Zurückhaltung. Die Werke fügen sich scheinbar widerstandslos in die wohlproportionierten Säle des von Bruno Giacometti 1952 erbauten Pavillons. Eine metallene Schlange windet sich durch die Säle hindurch, schleicht durch die Tür nach draussen, auf einen kleinen Patio, wo, wie vergessen, ein altes Töffli der Marke Ciao steht. Bronzene Trompeten, wie ferne Echos einer Blasmusik, verschmelzen fast mit dem dunklen Gemäuer. Die Installation entfaltet dennoch einen subversiven Charme, der wie ein Hauch von Parfüm einen in die lauteren Ausstellungshäuser begleitet. Etwa in das benachbarte russische, wo der Moskauer Konzeptualist Vadim Zakharov unter der Leitung des deutschen Kurators Udo Kittelmann in einer plakativen Aktion einen Goldmünzenregen runterrieseln lässt. Das soll wohl Konsumkritik sein, bleibt aber eine hohle Geste.

Nicht so Ai Weiweis Skulptur im vertauschten deutschen Pavillon – die ist stark. Antike Hocker aus dem Handwerksland China fliegen durch die Luft, türmen sich, schön wie ein Spinnennetz – und ebenso trügerisch. Das Werk soll an die im Wirtschaftswunderland China verloren gehende Tradition erinnern. Noch stärker ist allerdings ein anderes Werk Ai Weiweis in Venedig. Das hat er nicht den Deutschen ausgeliehen, sondern in einer Kirche in der Stadt inszenieren lassen. (Er selber ist immer noch mit einem Ausreiseverbot belegt, nur seine alte Mutter konnte zur Eröffnung nach Italien kommen.) In den sakralen Räumen der Kirche Sant’Antonin stehen nun Boxen, in welchen Szenen aus Ai Weiweis Gefangenschaft dargestellt werden: wie er schläft, duscht oder verhört wird, immer unter wachsamem Auge der uniformierten Schergen.

Ai Weiwei, dessen neuste Fotos einen nachdenklichen Mann mit ergrautem Bart zeigen, ist damit in Venedig unübersehbar, auf der Höhe seines Könnens. Doch noch ein Bartträger schwebt inspirierend über der Lagunenstadt und will aus den Köpfen nicht weichen: der 2005 verstorbene Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Nicht nur zeigt die Fondazione Prada in der Stadt eine 1:1-Rekonstruktion von Szeemanns berühmter 1969er-Schau «When Attitudes Become Form» aus der Kunsthalle Bern. Auch Massimiliano Gionis Hauptausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» steht tief in seiner Schuld: Viele der Outsider, welche Gioni nun der Kunstwelt als Rettung aus der Umarmung des Markts präsentiert, wären ohne Szeemann verloren gegangen.

Gionis Ausstellung führt Szeemanns Gedanken allerdings weiter. Sie postuliert, dass es in der Kunst kein Aussen und kein Innen gibt und dass neben den Pendlerinnen wie Emma Kunz und den Spiritisten wie Aleister Crowley auch Philosophen wie Roger Callois oder Psychologen wie C. G. Jung ihren Platz im Kunstpantheon beanspruchen sollen. Anders als seinem Schweizer Mentor gelingt es Gioni nicht ganz, die explosive Kraft, welche er sucht, in spannende Ausstellungsräume umzumünzen. Zwar gibt es sowohl im zentralen Pavillon der Giardini wie auch im Arsenale, den beiden Austragungsorten der Ausstellung, interessante Durchblicke und starke Momente (etwa die Installation des vietnamesischen Künstlers Danh Vo), doch am Ende bleibt der Eindruck von zu viel des Gleichen. Und zu wenig von ganz Neuem.

Immerhin ist es Gioni gelungen, den an die Biennale gestellten Erwartungen ein Schnippchen zu schlagen. Es wird schwierig sein, die Schau dieses Jahr als ein Preis-Justierungsinstrument für die nachfolgende Kunstmesse Art Basel zu gebrauchen. Die Werke von Künstlern, welche Gioni ins Scheinwerferlicht stellt, sind nämlich oft gar nicht auf dem Markt, sie gehören bereits öffentlichen Archiven und Museen. Gemeinsam mit den politisch inspirierten Pavillons der Länder sendet Venedig 2013 damit ein starkes Signal: Die stets noch wachsenden Kunstpreise sollen nicht der einzige Gradmesser ihrer Werte sein.

© SonntagsZeitung; 02.06.2013; Seite 37

Weltschau der Kunst an der Lagune

Die Kunstbiennale in Venedig (1. 6.– 24. 11.) ist die führende Schau der Gegenwartskunst. Sie findet alle zwei Jahre statt. Die dieses Jahr von Massimiliano Gioni kuratierte Ausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» gesellt sich zu den nationalen Länderpavillons, in welchen 88 Nationen vertreten sind . Die Schweiz vertritt der Walliser Valentin Carron. Zu den Begleitveranstaltungen gehört auch der «Salon Suisse» im Palazzo Trevisan degli Ulivi. Darin werden Themenabende wie «Geschichte und Gegenwart» durchgeführt (www.biennials.ch). 10 Länder sind erstmals dabei, darunter auch der Vatikan.

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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