Neugierig auf den Prozess, der in Zürich der Zeitschrift «Weltwoche» gemacht wurde, verbarchte ich einige lehrreiche Stunden in dem zu einem Gerichtssaal umfunktionierten Theater am Neumarkt in Zürich. Hier, was ich darüber für Nachtkritik.de schrieb:
von Ewa Hess
Zürich, 3. Mai 2013. Mit dem Verdacht der barbarischen Unvernunft geht es los. Dieser gehorche die Schweizer Zeitschrift Weltwoche, wenn sie Woche für Woche Minderheiten diffamiere, nach dem Freund/Feind-Prinzip argumentiere und politisch Unliebsame in Diskredit bringe, sagt der Soziologieprofessor Kurt Imhof. Wie ein moderner Robespierre wendet sich Imhof an sein Publikum in dem zum Gerichtssaal umfunktionierten Theater am Neumarkt in der Zürcher Altstadt. „Inmitten unserer rätischen Republik“ – schleudert er mit rollenden Rs vom Zeugenstand in den Saal hinein – „dulden wir eine Publikation, deren Herrschaftsverständnis weit hinter die Aufklärung zurückfällt!“
Es ist ein Schauprozess nach allen Regeln der Kunst, den der Regisseur Milo Rau an drei friedlichen Maitagen in Zürich der „Weltwoche“ angedeihen lassen wird. Verhandelt werden soll, ob sich die Zeitschrift im Sinne des Strafgesetzbuchs in drei Anklagepunkten strafbar gemacht hat: Schreckung der Bevölkerung, Rassendiskriminierung, Verunglimpfung der Justiz. Als Richterin waltet die Verlegerin und Journalistin Anne Rüffer. Für die Rollen der Anwälte wurden die besten Schweizer Anwälte ihres jeweiligen Fachs verpflichtet: der auf Migrationsrecht spezialisierte Marc Spescha als Ankläger. Der schillernde Milieu-Anwalt Valentin Landmann als Verteidiger. Am ersten Verhandlungstag stellen die beiden ihre Plädoyers vor. Am Samstag und Sonntag werden die Kreuzverhöre, Abschlussplädoyers und die Urteilsverkündung folgen.
Die Anordnung auf der Bühne strahlt eine Ernsthaftigkeit aus, die nur von den launigen Live-Ticker Bemerkungen der quirligen Gerichtsschreiberin, der Filmemacherin und ehemaligen Weltwoche-Kolumnistin Güzin Kar, konterkariert wird. „Was für ein leidenschaftlicher Redner. Alle sind sofort wieder hellwach“, wird sie am Schluss dieser Eröffnungssitzung auf die Monitore schicken, um die flammende Ansprache Michel Friedmans zu feiern. Er sei da, ruft Friedman in die Runde, um für die Streitkultur zu kämpfen, die „Weltwoche“ durch Demagogie zu ersetzen versuche.
Nach den politisch hochbrisanten Moskauer Prozessen, welche der Schweizer Polittheater-Erneuerer Milo Rau im März in Moskau veranstaltet hat, war man sich nicht ganz sicher, ob die Vergehen der „Weltwoche“ sich als schwerwiegend genug erweisen würden, um ein theatralisches Kesseltreiben der „Zürcher Prozesse“ zu rechtfertigen. Diese Furcht zumindest lässt sich bereits nach dem Eröffnungsabend zur Seite schieben. Es geht hier zwar nicht um Leben und Tod, nicht wie in Moskau um den Schutz elementarster Menschenrechte, doch zielt die durch den Prozess entfesselte Zürcher Debatte mitten ins Zentrum dessen, was eine westliche Demokratie ausmacht.
Die Akteure nehmen ihre Sache ernst und man spürt, wie die Debattierlust dieser Männer durch die Spielanlage angestachelt wird (Frauen sitzen zwar unter den Geschworenen und am Richtertisch, große Reden durften sie bisher aber nicht schwingen). Die Rechtfertigungs-Rhetorik des Anklägers Spescha verrät zudem den tiefen Strudel, in welchen dieser Diskurs seine Teilnehmer reinzieht. Schnell könnten aus den Anklägern Angeklagte werden – wenn man sie eines Versuchs der Pressefreiheit-Beschneidung überführen würde. Es ist nicht ohne Grund, dass das Lager der „Weltwoche“ unablässig die „Freiheit“ im Munde führt, während ihre Kritiker eher die „gesellschaftliche Verantwortung“ beschwören. Darum geht es, darum wird es hier auch morgen und übermorgen gehen – um die Frage, wo die Meinungsfreiheit aufhört und wo eine gesellschaftlich nicht mehr tragbare Scharfmacherei beginnt.
Eine Anklagebank fehlt auf der Bühne. Der „Weltwoche“-Herausgeber und Chefredakteur Roger Köppel bleibt dem Prozess fern. Diesen Mangel gleicht eine vorwitzige Kamera aus, indem sie in strategischen Momenten auf die beiden im Publikum sitzenden „Weltwoche“-Redakteure Alex Baur und Rico Bandle schwenkt, so dass ihre Gesichter auf den über den Köpfen hängenden Monitoren für alle sichtbar werden. Doch die Figuren in diesem Gerichtsspiel sind klüger ausgewählt, als dass eine eindeutige Zuordnung der Sympathien möglich wäre.
Güzin Kar etwa, die in der Türkei geborene Schreiberin, hat selbst jahrelang mit ihren Kolumnen über eine männerfressende türkische Emanze einen festen Platz in der „Weltwoche“ gehabt. Und der allererste Redner des Abends, der ehemalige „Weltwoche“-Chefredakteur Jürg Ramspeckerinnert daran, dass wechselnde politische Ausrichtung der Redaktion und unklare Besitzverhältnisse seit der Gründung der Zeitschrift vor 80 Jahren zu ihrem Schicksal gehörten. Ramspeck gesteht, bestimmt stellvertretend für so manchen Schweizer, dass er an den Artikeln und Provokationen der Zeitschrift manchmal seine Freude habe, auch wenn ihm der politische Kurs ganz und gar nicht behage.
Unter den Geschworenen sitzt eine Studentin mit Kopftuch ebenso wie eine Rentnerin mit Migrationshintergrund und ein Kleingewerbler mit Sympathien für die Populisten. Es sind sie, die als Vertreter der Gesellschaft ausgewählten Gerechten, die am Schluss über Schuld oder Unschuld der „Weltwoche“ zu entscheiden haben. Zu ihnen sprechen auch an diesem Abend die Anwälte. Zunächst mild und vernünftig Spescha: „Darf eine Zeitschrift, die sich auf Fakten beruft, rechtlich sanktionslos alles verbreiten, was ihr gut dünkt, auch gezielte Unwahrheiten?“ Danach maliziös und unterhaltsam Landmann: „Wir begeben uns freiwillig der Freiheiten im naiven Vertrauen, dass es immer nur die Bösen trifft“.
Wie sehr es in den folgenden Kreuzverhören argumentatorisch drunter und drüber gehen könnte, merkt man im intelligenten Schlussvortrag des in Deutschland lebenden ägyptischen Islamkritikers Hamed Abdel-Samad. Er – der sich für die „Weltwoche“ stark macht – vergleicht sie mit dem Koran, der als Inspirationsquelle für Terroristen herangezogen werde, und doch nichts dafür könne. Ein Vergleich, das merkt Abdel-Samad selber, der weder die „Weltwoche“ noch den Muslimen Freude machen wird, den der Redner aber wagt, im vollen Bewusstsein, dass „die Freiheit nicht dort enden kann, wo Gefühle anderer beginnen“.
Exakt das macht die „Zürcher Prozesse“ so spannend: dass der Regisseur und seine Crew es verstanden haben, die Front nicht als eine gerade Linie auf der Bühne abzustecken. Sondern sie umsichtig und listig, der heutigen Wirklichkeit entsprechend, als ein verschlunges Ornament im ganzen Saal ausgelegt haben.
Hier der Link zur Originalveröffentlichung auf Nachtkritik.de:
Die Zürcher Prozesse – Die erste Sitzung von Milo Raus Verhandlung gegen die Zeitschrift Weltwoche.