Ich besuche Marcel Brülhart, interimistischen Leiter des Kunstmuseums Bern, in seinen wunderbaren Büros in der Berner Alststadt. Wir sprechen über die neue Raubkunst-Sensibilität der Museen und die Konsequenzen der Causa Gurlitt. Natürlich frage ich auch, was es für das Kunstmuseum bedeuten wird, wenn endlich juristische Klarheit über die Rechtmässigkeit der Erbschaft herrscht.
Der Berner Anwalt Marcel Brülhart, 47, leitete die Berner Verhandlungen in Zusammenhang mit dem Gurlitt-Erbe. Er ist auch mit der Aufgabe betraut, das Zentrum Paul Klee und das Kunstmuseum Bern unter einer Dachstiftung zusammenzuführen. Ab 1. März fungiert er als interimistischer Leiter der beiden Häuser.
Noch vor einem Jahr hiess es, dass die Schweizer Museen an ihrer bisherigen Praxis in Sachen Raubkunst festhalten. Die Kulturbotschaft verspricht jetzt Bundesgeld für die Provenienzforschung, und schon hinterfragt man die Sammlungen. Erstaunt Sie das Tempo?
Nein. Es ist angemessen. Schon als wir im Zusammenhang mit der Gurlitt-Erbschaft mit dem BAK Kontakt hatten, machten wir diesbezügliche Vorstösse. Innerhalb eines Jahres hat nun ein Umdenken eingesetzt. Das ist im Interesse der Museen – und der Schweiz.
Genügen zwei Millionen Franken für die Aufgabe?
Für den Anfang schon. Die Provenienzforschung ist aufwendig. Vorsichtig geschätzt, liegt der Bedarf in der Schweiz mindestens bei einer halben Million pro Jahr.
Ein Fass ohne Boden?
Nein, das sollte es nicht werden. Man kann von den Museen erwarten, dass sie jetzt nochmals eine grosse Anstrengung unternehmen. Doch irgendwann – ich rechne mit einem Zeithorizont von bis zu zehn Jahren – muss ein Strich unter der Sache gezogen werden.
Die magere Aufklärungsquote der Gurlitt-Taskforce wirkt nicht ermutigend – ein Prozent bei 1,7 Millionen Euro Fördergeld.
Sicher, Provenienzsuche ist schon jetzt eine mühsame und teure Forschung. Dokumente fehlen, Lebensläufe sind schwer rekonstruierbar. Doch gerade darum muss man diese Arbeit jetzt und nicht noch später machen. Ein anderer Aspekt: Bei den nachrichtenlosen Vermögen hat die Schweiz erst reagiert, als sie von aussen dazu gezwungen wurde. Das erwies sich als keine gute Strategie.
Hand aufs Herz, jedes Museum kennt seine grossen Problemfälle. Sollte man diese Werke nicht erst zurückgeben, bevor man weiterforscht?
Die Konsequenz der Provenienzforschung ist natürlich, dass man dann auch etwas tut. Das heisst aber nicht immer, dass man das Bild zurückgeben muss. Manchmal genügt es den Erben, dass man die Geschichte des Werks kennzeichnet, oder sie überlassen es dem Haus als eine Dauerleihgabe.
Im Fall von «Le réveil» von Gustave Courbet aus der Sammlung des Kunstmuseums Bern wollte die Familie Wildenstein das von den Nazis geraubte Werk zurück, ein Schweizer Gericht entschied aber 1952 gegen eine Restitution. Wird man jetzt auf solche Gerichtsurteile zurückkommen?
Gerichtsentscheide im Nachhinein ohne neue Fakten umzustossen, ist für eine Rechtsordnung höchst problematisch. Dass vor Jahrzehnten beurteilte Fälle gerade auch vor dem Hintergrund der Washingtoner Erklärung heute möglicherweise anders entschieden würden, ist aber auch eine Realität.
Wird das Bild von Courbet ein Bestandteil der Ausstellung sein, in der das Kunstmuseum im April die Zweifelsfälle aus den eigenen Beständen präsentiert?
Nein, denn diese Ausstellung beschränkt sich auf die Werke der sogenannten entarteten Kunst, welche die Nazis aus ihren eigenen deutschen Museen entwendet hatten. Das Werk von Courbet gehört nicht dazu.
Wie geht es mit der Gurlitt-Erbschaft weiter?
Wir erwarten den Entscheid des Münchner Gerichts im Frühjahr. Das Gerichtsgutachten hat unsere bisherigen Einschätzungen bestätigt, deshalb rechnen wir damit, die Erbschaft dann antreten zu können. Dazu muss man aber sagen, dass das Kunstmuseum Bern nie um die Erbschaft gekämpft hat. Wir wollten von der damit verbundenen Verantwortung nicht davonlaufen.
Die deutsche Taskforce hat ihre Tätigkeit beendet. Wird nun Bern die Führung übernehmen ?
Sobald wir das Erbe antreten, werden wir aktiver an der Forschung teilhaben können. Die Führung bleibt aber in Deutschland, beim Zentrum für Kulturgutverlust in Magdeburg. Es bleibt dabei, dass nur Werke ohne Raubkunstverdacht in die Schweiz kommen.
Sind dem Museum in Zusammenhang mit der Causa Gurlitt bereits Kosten erwachsen?
Natürlich. Wir sind nicht nur in den Erbstreit verwickelt, sondern müssen zusammen mit dem Nachlasspfleger auch völlig unverschämte Forderungen insbesondere eines ehemaligen Beraters von Gurlitt abwehren.
Wie hoch ist die Summe?
Mittlerweile über eine Million Franken, die das Museum aus seinen Reserven vorschiesst. Sollte die Erbschaft ins Museum kommen, werden diese Ausgaben aus den Vermögenswerten der Erbschaft erstattet.
Und wenn nicht?
Dann tragen wir den finanziellen Schaden. Was wir nicht verlieren, sind die weltweiten positiven Reaktionen zu unserem Vorgehen.
Die Ankündigung Deutschlands, die Gurlitt-Bestände in Bonn nicht in Bern ausstellen zu wollen, sorgte für Wirbel. Gibt es da eine Einigung?
Ja. Man kann so viel sagen, dass wir uns das Thema aufteilen und ergänzende Ausstellungen planen, damit möglichst viele Menschen in Europa an die Problematik herangeführt werden.
Werke mit Raubkunstvergangenheit in Bern
Die Schweiz war ein beliebter Umschlagplatz für Raubkunst. Der Bund spricht nun zwei Millionen Franken für Recherchen zur Herkunft der Werke mit Raubkunst-Vergangenheit. Im Kunstmuseum Bern befinden sich mehrere davon, nebst dem «Réveil» von Courbet (Wert ca. 50 Millionen), das dem Museum selbst gehört, auch Picassos «Buveuse assoupie» aus der Othmar-Huber-Stiftung (auf 100 Millionen geschätzt), ein Geschenk der Familie Troplowitz (Oskar Troplowitz erfand die Nivea) an die Kunsthalle Hamburg, der das Werk im Zuge der Entartete-Kunst-Säuberungen von den Nazis geraubt wurde.
Publiziert in der Sonntagszeitung