Wunderbar schlechtgelaunt: Ennio Morricone widersteht in Interviews dem Strahle-Diktat der heutigen Zeit. Im Gespräch mit dem genialen Akkord-Arbeiter (fast 600 Filmmusiken! Er schrieb in manchen Jahren an die 100 Filmscores, das ist 10 pro Monat!!!) musste ich mir – wie alle – sehr spröde Antworten gefallen lassen. Am Abend, während des Konzerts in der Arena di Verona, bei Vollmond, sah ich den alten Gentleman doch den tobenden Applaus des 20 000 köpfigen Publikums geniessen und endlose Zugaben geben!
Ennio Morricone über Spaghetti-Western, seinen Bewunderer Tarantino und das Leben als Popstar
Von Ewa Hess
Die Welt macht es Ennio Morricone nicht leicht. Seine Fans lieben ihn für etwas, das sie Spaghetti-Western nennen. Dabei träumt der Maestro von einer «musica assoluta», einer Musik, die keine Genres und Grenzen kennt. Spaghetti stellt ihm höchstens seine Frau Maria auf den Tisch, mit der er schon über 60 Jahre verheiratet ist und die ihn auch zu diesem Interview begleitet.
Mit Maria teilt Morricone eine Etagenwohnung in Rom mit dem Blick auf das Kapitol. In dieser komponiert er immer noch täglich, dort spielt er Schach und joggt durch die Korridore. «60 Meter hin und 60 Meter zurück», berichtigt er, es sei nur ein schnelles Laufen. Die Wohnung verlässt der Komponist nur selten. Nur wenn er gerade einen Oscar bekommt oder, wie an diesem Nachmittag in Verona, ein Konzert vor 20 000 Menschen in der historischen Arena auf ihn als Dirigenten wartet.
Wenn man seine Hand schüttelt und «grande onore» stammelt, blickt er misstrauisch durch die dicken Gläser. Denn er weiss, was jetzt kommt: Fragen zu den Spaghetti-Western.
Ennio Morricone, wie war das, als Sie mit Sergio Leone den Italowestern erfanden? War das ein Witz, oder dachten Sie schon damals, dass Sie etwas Bedeutendes schaffen?
Weder noch! Es war gewöhnliche Arbeit. Leone gefiel meine Musik zu den zwei Western, die ich für andere Regisseure gemacht hatte, darum rief er mich an. Er hatte eine Vorstellung, was er brauchte, und ich konnte liefern.
Das klingt sehr nüchtern. Sie waren doch alte Schulfreunde?
Na ja, Freunde. Wir waren nur ein Jahr lang Klassenkameraden, in der dritten Klasse der Grundschule, wenn Sie es ganz genau wissen wollen.
Warum nennen Sie sich im Nachspann von «Für eine Handvoll Dollar» eigentlich Dan Savio und Bob Robertson? Schämten Sie sich?
Nein, wo denken Sie hin! Der erste Film, den wir zusammen gemacht haben, sollte als amerikanischer Film gelten. Darum haben uns die Produzenten gebeten, unter amerikanischen Namen aufzutreten. Das hat mir keine Mühe gemacht. Ich nannte mich schon früher mal Dan Savio, später auch Leo Nichols. Leone hat als Sohn des Regisseurs Roberto Roberti den Namen seines Vaters amerikanisiert.
Waren Sie sich bewusst, einen neuen Stil zu kreieren?
Es war eine Musik, die Spuren des amerikanischen Folk enthielt, oder eher der irischen Volksmusik, die mit ihm verwandt ist. Durch meine Hand ist etwas daraus geworden, das vorwiegend mit Italien zu tun hat.
Sie haben also den Amis den Western und die Folkmusik weggenommen?
Es ging nicht darum, etwas zu annektieren, sondern darum, es zu bereichern. Ganz einfache Harmonien und leichte Gitarrenakkorde wollten wir mit etwas Interessanterem verbinden.
Und das war die atonale Musik, die Sie am Konservatorium in Rom studiert haben?
Filme mit Sergio Leone gehören eigentlich nicht zu meinen avantgardistischen Arbeiten.
Im «Spiel mir das Lied vom Tod» sind Geräusche genau so wichtig wie die Melodie: das Tropfen des Wassers, der Schrei des Koyoten, das Summen der Fliege. Sind das nicht Elemente der Avantgarde?
Natürlich. Es gibt eben den technischen Aspekt des Komponierens, eine Raffinesse, die man in die Arbeit hineinbringt, die nicht direkt auf die grossen Komponisten Arnold Schönberg oder Anton Webern zurückgeht, aber dennoch ihr Erbe ehrt.
Bei den meisten Filmmusiken schwillt die Musik an, bevor etwas passiert. Bei Ihnen aber erscheinen die Helden oft ganz still, und erst dann setzt die Musik ein. Absicht?
Ist das so? Vielleicht. Für mich gibt es keine sichere Methode, Wirkung zu erzielen. Es muss zum Film passen. Als ich zum Beispiel die Musik zum letzten Film von Giuseppe Tornatore, «The Best Offer», schrieb …
… für den Sie bald den Europäischen Filmpreis bekommen. Glückwunsch!
Danke. Also bei diesem Film war es so, dass bestimmte Handlungssequenzen durch die Musik definiert sind. Deshalb konnte ich einer Szene nie zuvorkommen, ohne zu verraten, was als Nächstes passiert.
Was halten Sie selbst für Ihren grössten Beitrag zur Filmgeschichte?
Filmgeschichte? Fragen Sie eher nach der Geschichte überhaupt. Die Filmmusik spiegelt unsere Zeit, im Guten wie im Schlechten. Deswegen ist es wichtig, dass die Musik in einem Film von künstlerischer und kreativer Würde geprägt ist.
Und zum Film passt?
Ja, schon, aber ein guter Film erträgt auch mittelmässige Musik.
Wirklich?
Klar, der Film ist das Hauptwerk, die Musik nur die Grundlage. Sie leistet einen kleinen Beitrag, der aber, wenn er wirklich gut ist, sehr wichtig sein kein.
So demütig? Sie haben doch mal gesagt, dass Sie einen Regisseur, der Ihnen etwas aufzwingen wolle, «entlassen»?
Es kann vorkommen, dass man sich nicht versteht. Dann beendet man besser die Zusammenarbeit. Ist mir auch schon passiert, auch mit sehr guten Regisseuren.
Mit wem etwa?
Roland Joffé etwa mochte meinen Beitrag zu «The Scarlett Letter» nicht, er fand, mein Thema sei nicht «keltisch» genug. Das hat mich sehr erstaunt. Joffé hat dann die Musik John Barry anvertraut, diese Musik hatte überhaupt keine keltischen Elemente.
Hatten Sie oft Streit mit Regisseuren?
Nein. Liliana Cavani war lange sehr böse auf mich, weil ich für Gillo Pontecorvo meine Musik für ihren Film «I cannibali», leicht abgewandelt, wieder schrieb. Ich sagte damals Pontecorvo, dass das nicht gehe, doch er bestand darauf.
Und wie ist es mit Ihrem Bewunderer Tarantino? Sie haben nach «Django Unchained» gesagt, dass Sie nie wieder mit ihm arbeiten wollten.
Tarantino macht ausserordentlich schöne Filme, keine Frage. Doch er verwendet mein Werk, wie es ihm passt, er nimmt die Musik und setzt sie irgendwo im Film ein. Ich werde ihm nicht verbieten, meine alten Sachen weiterhin zu verwenden.
Einen neuen Soundtrack wollen Sie für ihn nicht schreiben?
Sollte er wider Erwarten plötzlich an einem durchgehenden Soundtrack interessiert sein, würde ich ihn schon schreiben. Aber er müsste mich anrufen, ich suche ihn nicht.
Und was sagen Sie zu den unzähligen DJs und Klangbastlern, die Sie remixen?
Bei diesen … (sucht nach einem Wort) … Manipulationen kommt es darauf an, wie sie gemacht sind. Ich höre mir das Resultat an und kann sagen, ob es gut oder schlecht ist. Einige sind sehr schön. Andere weniger.
Sie sind mit 85 ein Popstar. Sind Sie stolz darauf?
(Winkt ab)
Für den Film «Cinema Paradiso» haben Sie die Musik gemeinsam mit Ihrem Sohn Andrea verfasst. Warum haben Sie nie wieder zusammengearbeitet?
Mein Sohn hat für diesen Film von Giuseppe Tornatore das Liebesthema komponiert. Wunderschön, wunderschön, wunderschön, ohne jeglichen Zweifel. Ich frage mich oft, wann er wieder ein so schönes Thema schreiben wird. Ich hoffe bald.
Sie tragen Ihre Stücke in der Arena di Verona und im Februar auch im Hallenstadion in Zürich einem grossen Publikum vor, ohne Kinoleinwand. Empfinden Sie das als eine Befreiung, oder fehlt etwas?
Eine Filmmusik, die gut funktioniert, muss musikalisch autonom sein. Ich habe immer versucht, Soundtracks zu schreiben, die eine Eigenständigkeit besitzen. Nicht aus Eitelkeit, sondern um dem Film besser zu dienen. Aber gerade darum kommt diese Musik auch ohne die Filmleinwand sehr gut zur Geltung.
Publiziert in der SonntagsZeitung am 03.11.2013