Ich traf den Lausanner Künstler Guillaume Pilet und die Kuratorin Sabine Rusterholz in den schönen Räumen des Kunsthauses Glarus. Mitten unter den Affen, und zwischen den Bildern, die Gitter zeigen, unterhielten wir uns über die Freiheit, ein Mensch zu sein. Der junge Künstler – erst 29 – hat ein beeindruckendes Universalwissen. Hier mein Text zu seiner Ausstellung, veröffentlicht am 16.2.2014 in der Sonntagszeitung.
Nachhilfe im Menschsein
Was macht der Affe im Museum? Er trinkt Tee. Aus feinstem Porzellan. Dabei spreizt er aber nicht den kleinen Finger ab, sondern benimmt sich ungebührlich. Er schnappt sich die Teekanne und giesst sich das bernsteinfarbene Elixier der Zivilisation direkt ins freche Mäulchen hinein.
«Zoo Manners» heisst die Skulptur des Lausanners Guillaume Pilet, welche den äffischen Schabernack in gewollt grob geformter Keramik abbildet. Solche Teestunden mit Affen, sagt Pilet, ein ernsthafter junger Mann mit Bart, habe es im Londoner Zoo in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts jeden Tag gegeben. Die Krux dabei war, dass die Affen zu schnell lernten. Nach einigen Vorführungen waren die klugen Tiere bereit, die Tassen sitzend zum Mund zu heben. Das Publikum fand es aber weniger witzig, weshalb die Wärter den Primaten ihre guten Manieren wieder abtrainieren mussten.
Solche Paradoxien im Verhältnis des Menschen zu seinem nächsten Verwandten sind für den Künstler ein gefundenes Fressen. Seit zwei Jahren schon lassen ihn die Affen nicht los. Er sammelt alles: von Postkarten bis zu den Schriften des amerikanischen Verhaltensforschers Harry Harlow. Einen Teil dieser Sammlung hat er in seiner Ausstellung im Kunsthaus Glarus ausgebreitet.
Auf grob gezimmerten Regalen liegen die Zeugen des unentwegten menschlichen Interesses an seiner haarigen Vorstufe: Bücher der Forscherinnen Jane Goodall, Dian Fossey oder Francine Patterson, Spielzeuge in Affenform, Kassetten mit der filmischen Trilogie des «Planeten der Affen» sowie unzählige Ausgaben der Zeitschrift «National Geographic», auf deren Umschlag ein fotografierender, malender oder herzzerreissend dreinschauender Affe prangt.
«Nicht ich bin von den Affen besessen», sagt Pilet, «die Menschen überhaupt sind es.» Sowohl in der Populärkultur wie in der hohen Kunst: lauter Affen. Pilets Erklärung dazu: Indem wir die Affen beobachten, erkennen wir unser eigenes Verhältnis zur Zivilisation. Darum ist es uns oft lieber, wenn wir über die tollpatschigen Vettern lachen können.
Bei seiner eigenen Auseinandersetzung mit der Affenforschung geht Pilet wie ein Künstler, nicht wie ein Wissenschaftler vor: Er fantasiert sich seinen eigenen Affen. Meistens spielt diesen sein Kollege in einem Affenkostüm. Daraus entstehen Experimentalfilme wie etwa «I ape therefore I am». In diesem stellen die beiden Darsteller – Pilet als Forscher, der Kollege als Affe – die berühmten Harlow-Experimente nach.
Darin werden etwa die Affenkinder verschiedenen Mutterfiguren zugeführt. Eine ist weich, die andere gibt Nahrung. Interessanterweise wählen die Affenbabys die weiche Mama. Daraus schloss damals Harlow, dass Kinder, auch menschliche, Zuneigung und Berührung der Mutter dringender noch als Nahrung brauchen. Ein Schlag ins Gesicht der in den 50er-Jahren modischen «Hygienisten», welche Kinder in aseptische Kammern sperren wollten.
Lieben lernen, «Learning To Love», nennt Pilet darum seine Ausstellung in Glarus, die seine erste museale Einzelschau ist. In dem schönen kleinen Kunsthaus am Fuss des Tödi hat schon manche Künstlerkarriere begonnen: Urs Fischer stellte hier aus, auch Ugo Rondinone.
Pilet ist nebst seiner Studienkollegin Claudia Comte ein herausragender Repräsentant der neuen Lausanner Künstlerszene. Diese hat sich um die Künstler John Armleder, Philippe Decrauzat und Stéphane Dafflon gebildet, die an der Lausanner Kunsthochschule als Professoren tätig sind. Bis 2016 will Pilet sein grosses Projekt «Learning From Aping» zu Ende bringen. Bis dann werden seine Affen, ob aus Keramik oder im Kostüm, der Welt noch einige höchst vergnügliche Lektionen erteilen.
«Learning To Love», Kunsthaus Glarus, bis 4. Mai