Simon de Purys Messetipps

Den «Mick Jagger der Auktionshäuser» treffen wir in seinem Londoner Zuhause. Der Schweizer Kunsthändler Simon de Pury empfing uns in einem Salon voller Kunst und Design. Eine Lampe hat der österreichische Künstler Franz West entworfen, eine andere der isländisch-dänische Kunststar Olafur Eliasson. Im Treppenhaus des traditionellen Londoner Hauses im edlen Quartier Mayfair steht aber auch ein Kinderwagen – die Tochter von Simon de Pury und seiner zweiten Frau Michaela Neumeister ist drei Jahre alt. Der Hausherr schiebt der Interviewerin «den einzigen bequemen» Sessel zu und setzt sich in seinem untadeligen Zweireiher auf ein Design­sofa der brasilianischen Gebrüder Campana.

Simon de Pury, geben Sie uns einen Insidertipp: Wonach soll man an der Art Basel, die morgen beginnt, Ausschau halten? 

Mein Tipp ist einfach: Halten Sie die Augen auf. Hören Sie nicht darauf, was Menschen sagen, sondern schauen Sie selbst. Man soll sich nicht schämen, wenn man etwas, das gerade angesagt ist, als nicht so cool empfindet. Nur denken Sie daran, dass Sie etwas, das Sie persönlich bewegt, erst beurteilen können, nachdem Sie sich mit der Sache gründlich befasst haben.

Ist das an einer Messe überhaupt möglich? 

Falls jemand zum ersten Mal an einer Messe ist, sollte er sein Portemonnaie zu Hause lassen.

Oder sich von einem Spezialisten wie Ihnen beraten lassen? 

Die erste Stufe unserer Beratung besteht darin, durch die Messe zu gehen und prinzipiell nichts zu kaufen.

Warum?

Es geht darum, herauszuspüren: Was macht bei einer bestimmten Person klick? Man muss auf dem persönlichen Bezug bestehen.

Und wenn sich ein solcher nicht einstellt? 

Der kommt immer. Auch bei Menschen, die nur auf Investment aus sind. Auch die verlieben sich. Man kann ihnen dann noch so dringend raten, dass sie etwas verkaufen sollen, weil jetzt der optimale Moment sei. Plötzlich sagen sie: Nein, nein, von diesem Bild oder von diesem Objekt kann ich mich nicht trennen.

Aber der heutige Kunstmarkt lädt doch förmlich zur Spekulation ein mit seinen märchenhaften Wertsteigerungen. 

Die Kunstauktionen, die vor drei Wochen in New York stattgefunden haben, sind in der Tat die erfolgreichsten der Kunstmarktgeschichte. Dem Kunstmarkt geht es sehr gut.

Und ausgerechnet in einer ­solchen Zeit haben Sie dem ­Auktionsgeschäft den Rücken ­zugedreht und sind 2012 bei ­Phillips ausgestiegen? 

Das hat persönliche Gründe: Ich war 12 Jahre bei Phillips und wollte etwas Neues ausprobieren. Das habe ich immer so gemacht, alle 10 bis 12 Jahre einen Wechsel vollzogen.

Was war dabei Ihr Leitfaden? 

Ich wollte immer nur eins: ein interessantes Leben führen. Gut, manchmal wurde es etwas zu interessant. Aber wie die Künstlerin Jenny Holzer uns schon in ihren Werken gewarnt hat: «Protect me from what I want . . .»

Was war das «zu» Interessante beim Auktionsgeschäft? 

Das Auktionswesen, das ich nach wie vor sehr liebe – ich habe meine 12 Jahre bei Phillips geliebt und die 16 bei Sotheby’s ebenso –, bedeutet permanenten Druck. Das muss bei den Fussballtrainern genauso sein: Es ist immer das nächste Spiel oder eben bei uns die nächste Auktion, die zählt. Bei den Private Sales kann man sich etwas mehr Zeit lassen, Künstler- und Designerstudios besuchen. Das ist inspirierend.

Was macht eigentlich ein Private-Sales- Spezialist? 

Wir arbeiten mit den Sammlern zusammen, helfen ihnen, Werke zu finden und zu kaufen. Es kommt auch vor, dass uns Menschen, die etwas versteigern lassen wollen, beauftragen, mit den Auktionshäusern zu verhandeln. Aber natürlich bleibt die grosse Frage, die uns umtreibt, die gleiche.

Und die heisst? 

Was kommt morgen? Die grossen Namen der zeitgenössischen Kunst haben sich herauskristallisiert. Jetzt wollen wir wissen: Who are the big players of tomorrow?

Manche meinen: Sobald Sie ein Atelier besucht haben, ist der Künstler oder die Künstlerin «gemacht». 

Oh, nein, diese Meinung trifft keinesfalls zu. Ohne ein grossartiges Werk des Künstlers geht es nicht.

Ist da der Anfangserfolg nicht ausschlaggebend? 

Im Gegenteil. Es gibt sehr viele Künstler, die vielleicht fünf Jahre lang hervorragende Werke schaffen und dann, gerade wegen des Erfolgs, nur noch sich selbst wiederholen und jede Substanz verlieren. Ein grosser Künstler ist imstande, sich immer weiterzuentwickeln. Das sieht man jetzt in der Schau von Gerhard Richter bei der Fondation Beyeler in Basel. Richter schafft noch jetzt, mit 80, komplett neuartige Werke.

Das ist aber kaum der Grund dafür, dass sich die Preise für Richters Werke in den letzten 10 bis 15 Jahren verzwanzigfacht ­haben? 

Die Preise sind generell in dieser relativ kurzen Zeit massiv gestiegen. Bis 2002 lag die Obergrenze für Werke von Francis Bacon bei 7,5 Millionen Dollar. Im November 2013 wurde ein Triptychon von ihm zum Rekordpreis von 143 Millionen Dollar versteigert.

Was ist das teuerste Werk, das Sie je versteigert haben? 

Eins von Andy Warhol, «Men of Her Life». Es ging 2010 für 63,4 Millionen Dollar.

Woher kommt dieser unstillbare Hunger nach der zeitgenössischen Kunst? 

Kunst ist Mainstream geworden wie die Musik. In den 60er-Jahren war die Popmusik etwas Rebellisches, das von der besseren Gesellschaft abgelehnt wurde. Wenn man die Rolling Stones oder Bob Dylan liebte, war das ein Widerstand gegenüber der vorhergehenden Generation. Dann kam der Moment, in dem Popmusik Main­stream wurde. Dasselbe passiert jetzt mit der Kunst. Sie wird zum Bestandteil des täglichen Lebens.

Zu dieser Entwicklung haben ­glamouröse Auktionen, an welchen Sie den Hammer geschwungen ­ ­haben, durchaus beigetragen. 

Da gab es unsererseits schon einen gewissen Gestaltungswillen dem Markt gegenüber. Bei Phillips haben wir die Auktionen kuratiert, als ob es Ausstellungen wären. Das heisst, wir haben nicht einfach genommen, was kam, und es dann versteigert. Sondern wir haben eine Liste der Künstler zusammengestellt, die wir in der Auktion haben wollten.

Nach welchen Kriterien? 

Jede Saison haben wir zwei, drei Künstler eingeführt, die noch nie an Auktionen verkauft worden waren. Gewisse Künstler, an die wir ganz stark glaubten, haben wir – wie sagt man? – auf die Überholspur gesetzt.

Wie geht das? 

Es gibt die Tagesversteigerungen, die «day sales», und die Abendversteigerungen, die «evening sales», an welchen die wichtigsten, bedeutendsten Werke konzentriert und schnell versteigert werden. Gewisse Künstler haben wir damals als Statement direkt in die Abendauktion programmiert.

Wen zum Beispiel? 

Damien Hirst etwa. Wir haben 2001 einen Rekord für diesen Künstler in New York gemacht, mit seinen «Cigarette Butts», einer Reihe von Zigarettenstummeln in einer Vitrine. Das Werk hat damals einen Rekordpreis von 600 000 Dollar gebracht, und alle waren verblüfft und geschockt.

Heute wäre das ein niedriger Preis für ein Werk von Hirst. 

Ja, dieser Preis wurde seither hundertmal überboten.

Es gibt Menschen, die Damien Hirsts Kunst noch heute für einen Bluff halten. Wird sein Werk der Zeit standhalten? 

Ich denke – ja. Obwohl in 30, 50 Jahren der Geschmack anders sein wird. Eine Korrektur kann auch nach Hunderten von Jahren noch kommen.

Zum Beispiel? 

Ich war ja früher Konservator der Thyssen-Bornemisza-Sammlung, als sie noch in Lugano war. In dieser Funktion habe ich die Rechnungen gesehen, die Baron Heinrich Thyssen in den 1930er-Jahren für die Werke gezahlt hatte, die er damals erwarb. Für das Werk «Giovanna Tornabuoni» von Ghirlandaio, das er vom US-Banker J. P. Morgan nach dem Crash von New York gekauft hatte, hat er 300 000 Dollar bezahlt. Das war ein enorm hoher Preis damals. Ein Jahr später hat er ein Meisterwerk von Caravaggio gekauft, für nur 27 000 Dollar. Das zeigt, dass Ende der 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre die Malerei der Renaissance, also Ghirlandaio, als Nonplus­ultra angesehen wurde, Caravaggio hingegen noch nicht als einer der ganz Grossen galt.

Heute wartet man nicht so lange. Die sogenannte «Wet Art» von ­jungen Künstlern wird gekauft und sofort wieder mit Gewinn verkauft. 

Das Syndrom heisst: den Zug nicht verpassen. Man hört ja immer wieder von Werken, die dreimal nichts gekostet haben und dann sehr teuer geworden sind. Niemand will diesen Zug verpassen, deshalb springt man zur ­Sicherheit auf jeden Zug, der abfährt.

Mit welchem Resultat? 

Dass man nicht weiss, wohin die Reise geht.

Immerhin, in den verschwiegenen Private Sales haben die Super­reichen einen Ort gefunden, in den der Fiskus noch keinen Einblick hat. 

Wer sagt das? Bei den Transaktionen müssen genau die gleichen Regeln beachtet werden wie bei anderen Verkäufen auch. Aber wenn Menschen hohe Zahlen hören, dann denken sie sofort: O mein Gott, was steckt bloss dahinter? Die Summen wecken die Aufmerksamkeit, und die Fantasie malt sich den Rest aus.

Aber die Möglichkeit, ein ­Kunstwerk zu kaufen und es heimlich ins Zollfreilager zu stellen, gibt es real. 

Natürlich, die Zollfreilager sind voll von Kunst, aber das hat vor allem damit zu tun, dass jetzt so viel mehr Menschen Kunst sammeln, nicht nur in Westeuropa und in Nordamerika, sondern auf allen Kontinenten. Und ein Sammler ist man eigentlich erst von dem Moment an, an dem die eigenen Wände nicht mehr genug Raum bieten.

Sie selbst sammeln ja nicht nur Kunst und Design, sondern auch Figurenkrüge oder Spielzeuge. Ist alles sammelwürdig? 

Gewisse Objekte strahlen mehr aus als andere. Bei Phillips haben wir einmal das Auto verkauft, den Maybach, den Jay Z zusammen mit Kanye West im Video «Otis» mit Lötkolben und Metallschneider bearbeiten. Das ist ein grossartiger Videoclip. Das Auto war nach dem Dreh aber nicht mehr als Fahrzeug verwendbar. Wir haben es in diesem Zustand versteigert – eine asiatische Sammlerin hat es als ein Schulabschlussgeschenk für ihren Sohn gekauft.

Wie kamen Sie überhaupt dazu, ein Autowrack zu verkaufen? 

Ich hörte, dass es dieses Objekt gibt. Sofort dachte ich: Perfekt. Schon vor der Auktion war es ein Hit. Junge Hip-Hopper fotografierten sich davor, es gab einen Riesenauflauf.

Der Flirt mit der Showszene trägt bis heute Früchte. Brad Pitt kommt regelmässig zur Art Basel, und nicht wenige Hollywoodgrössen sammeln Kunst. 

Es kommt eben immer auf die Schlüsselfiguren an. Meine persönliche Faszination gilt dabei ganz besonders der Hip-Hop-Kultur. Das Aufkommen des Rap in den 70er- und am Anfang der 80er-Jahre war eine echte Revolution – nicht nur in der Musik. Alles hat sich damals erneuert: der Kleidungsstil, die Street-Art ist aufgekommen. Kanye West war einer der Ersten, die den Kontakt mit der Kunstwelt gesucht haben – mit Takashi Murakami oder George Condo.

Sie treten manchmal an Anlässen als DJ auf. Hat das mit Ihrer Bewunderung für Hip-Hop zu tun? 

Nein, es gibt vielmehr eine Verwandtschaft in dem, was ein Auktionator und ein DJ tun: die Leute in eine beschwingte, leidenschaftliche Stimmung versetzen.

Wie kam es zu Ihrem ersten ­Auftritt? 

Da wollte ich schon lange als DJ auftreten, aber meine vier erwachsenen Kinder fanden das lächerlich. Sie sagten, das sei keine Midlife-Crisis, sondern eine akute Latelife-Crisis, und haben mir immer wieder erklärt, wie peinlich das für sie wäre. Anlässlich einer Ausstellung meiner eigenen Fotos in Berlin hielt ich dennoch den Moment für günstig, um es auszuprobieren. Wen aber sah ich auf der Tanzfläche energisch tanzen? Meine vier Kinder. Offensichtlich schämten sie sich nicht genug, um sich vom Tanzen zurückzuhalten.

Wenn Sie auflegen, tragen Sie da andere Kleidung als sonst? Oder tun Sie das in einem ­massgeschneiderten Anzug, Ihrem ­Markenzeichen? 

Ich sehe keinen Grund, mich dazu anders anzuziehen. Ein gewisser Kontrast muss sein.

Und Ihr Repertoire?

Das variiert. Mir ist wichtig, immer high und low zu vermischen. Etwa Schweizer Jodel mit saftigen Beats zu untermalen.

Als Auktionator schwingen Sie oft den Hammer an Wohltätigkeits­anlässen. Aus Spass oder aus Pflichtgefühl? 

Das Erstere. Vor einem Monat in ­Cannes haben wir mit der Amfar-Auktion 38 Millionen Dollar für die Aids-Hilfe sammeln können. Es war ein fantastischer Anlass.

Stimmt es eigentlich, dass in der Schweiz Menschen keinen Sinn für Charity haben und nicht besonders freigiebig sind? 

Das ist leider wahr, ja. Einmal habe ich eine Auktion für Freunde gemacht, es waren auch viele Banker dabei, die ich gut kannte. Die haben mich zuerst gebeten, für einen karitativen Zweck Geld zu sammeln, und dann rührte sich keiner. Und da ich sie gut kannte, sagte ich einfach, wie viel jeder von ihnen zu zahlen habe. Manchmal muss man durchgreifen.

Muss man das auch als ­Geschäftspartner der ­ eigenen Frau? 

Nein, unsere Zusammenarbeit gestaltet sich harmonisch. Meine Frau Michaela kommt aus einer Kunsthändlerfamilie, und wir waren viele Jahre Kollegen, bevor wir ein Paar wurden. Da ist der Übergang leichter, als wenn man als Paar plötzlich den geschäftlichen Ernstfall probt.

Wird Ihre dreijährige Tochter auch schon in die Welt der Kunst eingeführt? 

Wir nehmen Diane-Delphine gerne in die Museen mit. Obwohl das manchmal auch kontraproduktiv sein kann. Meine anderen Kinder hatten manchmal eine diebische Freude, wenn ein Museum gerade geschlossen war, das wir besichtigen wollten.

Sie selbst sind in Basel ­aufgewachsen . . . 

. . . wovon ich heute noch zehre. Mein Kunstgeschmack wurde in einer Stadt geformt, in der die wichtigsten europäischen Kunstausstellungen statt­fanden.

Dann ist der Besuch der Messe für Sie eine Art Heimspiel. 

Was gar nicht so einfach zu bewältigen ist, wie wir aus dem Fussball wissen. An der Messe trifft man ja alle paar Schritte jemanden, den man kennt. Entweder sagt man allen «Hallo!» und sieht dann keine Kunst mehr, oder man ist sehr unhöflich und konzentriert sich auf die Kunst. Obwohl ich seit der allerersten Ausgabe noch keine Art Basel verpasst habe, habe ich die richtige Balance zwischen den beiden Extremen noch nicht gefunden.

Bild: Simon de Pury, 62, auf dem Sofa Sushi des brasilianischen Designduos Campana. Hinter ihm Skulpturen von Franz West (l.) und George Condo 

Der Mann mit dem Hammer 

Als Simon de Pury, 62, sich vor zwei Jahren aus dem Auktionshaus Phillips, de Pury & Company komplett zurückzog, war die Kunstwelt erschüttert. Man konnte kaum glauben, dass der charismatische Auktionator das Geschäft verlässt, welches dank ihm zu einem beliebten Gesellschaftsspiel für Superreiche wurde. Doch der polyglotte Schweizer aus edler Familie bleibt auch als Privatberater ein Powerplayer der Szene und lässt sich an zahlreichen Kunstanlässen sehen. Er lebt in London und New York, ist in zweiter Ehe mit Michaela Neumeister verheiratet und Vater der 3-jährigen Diane-Delphine.

Der Beitrag ist am 15. Juni 2014 in der SonntagsZeitung veröffentlicht worden

About Ewa Hess

Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich

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