Vincent van Gogh hat in Arles die fruchtbarsten Jahre seiner Künstlerlaufbahn verbracht. Doch er hatte wenig Freunde, die Bürger der Stadt wollten den Störefried so schnell wie möglich wegschicken. Wenn also jetzt Touristen nach Arles kommen, um auf Van Goghs Spuren zu wandeln, finden sie: nichts: Das gelbe Haus abgebrochen, das gelbe Kaffee eine Touristenfalle, und keine Werke weit und breit. Das heisst, es war bis jetzt so. Jetzt wird alles anders. Denn die neueröffnete Fondation Vincent van Gogh in Arles macht eine Rückkehr Vincents in die Stadt der starken Farbkontraste möglich. Ich war dort, habe die Bewohner und die Ermöglicher gesprochen. Hier mein Bericht.
(veröffentlicht in gekürzter Form in der SonntagsZeitung am 6.4.2014)
Es ist die gleiche Sonne. Damals traf sie den düster dreinblickenden Neuankömmling mitten in die Pupille. Dreizehn Monate blieb er danach in Arles. Eine Zeit, die in den Kunstgeschichtsbüchern gern mit Ausrufzeichen versehen wird: 189 Bilder! Hunderte von Zeichnungen! Ausbruch der Farbe!
Warum Vincent van Gogh am 20. Februar 1888 nach Arles kam, weiss man nicht. Er wollte eigentlich nach Marseille. Warum gerade hier dem gequälten Genie der Knopf aufging, kann man auch nur vermuten. Jedenfalls, alles, was er suchte, brach hier aus ihm heraus. Manisch malte er, Bild um Bild, ohne Unterbruch. Die Sonnenblumen, das gelbe Haus, das nächtlich erleuchtete Café. Es war eine Offenbarung.
Es ist die gleiche Sonne, am 26. März 2014 knallt sie wieder mit dem ganzen Ungestüm des Frühlings auf die alten Mauern des Städtchens, auf die Ruinen des Amphitheaters, leuchtet schräg in die engen Gassen. Vor dem Hôtel Léautaud de Donines hält ein schwerer Panzerwagen. Unter den Blicken der dunkel uniformierten Sicherheitsleute laden Kuriere gelbe Kisten aus. Vincent van Gogh kehrt zurück nach Arles.
«Arles hat immer noch ein Van Gogh Trauma», erzählt Bice Curiger, während die Bilder, die aus Amsterdam, Paris und Zürich kommen, in den Kisten aufs Auspacken warten. Die Zürcher Kuratorin, bis vor Kurzem für die Gegenwartskunst am Kunsthaus Zürich verantwortlich, ist schon seit fast einem Jahr in der provenzalischen Stadt am Einrichten. «Die Stadt schämt sich, dass ihre Bürger damals den irren Maler einfach nur los werden wollten». Kein einziges der unerschwinglich gewordenen Bilder ist in den Familien der allzu aufrechten Bürger geblieben.
Endlich kann Arles jetzt die Schande vergessen. Muss den auf den Spuren Van Goghs anreisenden Touristen nicht mehr erklären, dass es hier nichts, aber gar nichts Vangoghsches zu sehen gibt: Sein gelbes Haus abgebrochen, sein Lieblingscafé verkauft und kein einziges Bild im Museum. Dass diese Zeit nun zu Ende ist, hat Arles einem Menschen zu verdanken, der wie einst der Maler aus dem Zug stieg und blieb. Anders als Van Gogh war das kein armer Schlucker. Sondern ein Hoffmann, wie Hoffmann-La Roche. Luc Hoffmann, der Enkel des Firmengründers.
Luc war das stille Kind des Pharmamagnaten Emanuel Hoffmann. Seit den Schultagen schlug sein Herz für die Natur, die Vögel. In die Camargue folgte er dem Ruf der Flamingos, deren Habitat von der Landwirtschaft bedroht war. Als er später heiratete und eine Familie gründete, liess er sich in der Gegend der starken Lichtkontraste ganz nieder. Er rettete den Camarguer Naturpark als der Umweltschutz noch nicht mal einen Namen hatte und hob, nicht ohne sein immenses Vermögen grosszügig in die Wagschale zu werfen, den WWF aus der Taufe.
«Van Gogh wurde in Arles das gleiche Schicksal zuteil wie dem Schwemmland», lässt der 91-jährige Medienscheue an die Presse ausrichten. «Nach langer Vernachlässigung wird nun endlich dessen entscheidende Rolle im Wirken der Natur anerkannt. So ist auch Van Gogh, insbesondere wegen des Schaffens aus seiner Zeit in Arles, als Wegbereiter der Moderne und der zeitgenössischen Kunst angesehen». Langer Rede kurzer Sinn: 2010 schenkte Luc Hoffmann der Stadt die nötigen Mittel, um den bestehenden Verein Van Gogh in eine Stiftung umzuwandeln, die ein Museum betreiben kann. Wie viel es war, weiss man nicht, doch allein schon die Verwandlung des historischen Patrizierhauses aus dem 15. Jahrhundert in ein modernes Musentempel kostete 11 Millionen Euro.
In dem vom französischen Archtekten Guillaume Avenard auf Schweizer Standard getrimmten Haus herrschen die kunstfreundlichsten Verhältnisse. Endlich lassen sich die grossen Museen dazu bewegen, Bilder nach Arles zu leihen. Zur Eröffnungsausstellung kommen schon mal ihrer zehn. Mindestens eines pro Jahr ist auch in Zukunft vertraglich versprochen. Um die Veranstaltung noch weiter anzureichern, wird auch die zeitgenössische Kunst ins Konzept eingebunden. Man stellt die Kunsthaus-Spezialistin und ehemalige Biennale-Dompteurin Bice Curiger an, um den Geist Van Goghs mit den Werken der heutigen Kunsthelden in die Zukunft zu extrapolieren.
Die Stadt empfängt die Initiative Hoffmanns wie man Manna vom Himmel auffängt. Die Wirtschaftskrise traf das das schöne Arles mit der Wucht eines wilden Mistrals. 5000 Industriestellen sind innerhalb von einem Jahrzehnt verschwunden. Die Werkstätten der SNCF sind weggezogen, und auch die hier ansässige Papier- und Metallverarbeitungsindustrie wanderte in Billiglohnländer ab. Von den 53 Tausend Einwohnern zahlen 60 Prozent keine Steuern. Arbeitslosenquote liegt bei 14 Prozent, das ist weit über dem französischen Durchschnitt.
Touristen, die einzige verbliebene Einkommensquelle, bewundern zwar immer noch die romanische Kathedrale St. Trophime, die römischen Ausgrabungen, die mittelalterlichen Gässchen – doch die Fondation Van Gogh schafft Stellen. Ihrer 40 sind es schon jetzt. Die Beschäftigung für lokale Handwerker zählt vielfach.
Endlich naht der Moment: man darf die Bilder aufhängen. Die Wände wurden vom britischen Künstler Gary Hume in den Tönen der holländischen Pallette farblich vorbereitet. Gedämpft, doch strahlend: Wie Van Goghs «Kartoffelesser» mit einem Schuss Absinth. «Farben des Nordens, Farben des Südens», heisst die erste Ausstellung sinnig. Sie soll zeigen, wie die Sonne der Provence die Leinwände des grossen Autodidakten aufhellte.
Die parallel stattfindende Schau «Van Gogh Live» muss sich daneben keinewegs verstecken. Es ist die Crème de la Crème der zeitgenössischen Kunst, die Bice Curiger hier mit feiner Hand arrangiert. Auch viele Schweizer: eine wundersame Glasinstallation von Raphael Hefti streut farbige Reflexe ins ganze Haus, Fritz Hausers akustisch-optische Scratch-Installation belebt das Treppenhaus und auch Thomas Hirschhorn hat sich ein köstliches Thema für seine lückenlos raumfüllende Installation einfallen lassen: Sie stellt dar, wie es im Kopf eines japanischen Teenagers aussehen könnte, der gleichermassen für Mangas und Van Gogh schwärmt.
Während «Das Gelbe Haus» unter der Aufsicht des Museumsdirektors aus Amsterdam an die Wand gehängt wird, schweigen die wenigen zugelassenen Anwesenden andächtig. Eine Stunde später bricht Françoise Nyssen beim Anblick des auf dem iPhone festgehaltenen historischen Moments in Tränen des Glücks aus. Die Chefin des hier ansässigen Verlags Actes Sud (zwei Prix-Goncourt-Träger und die bestverkaufende Stig-Larssen-Trilogie im Programm) ist für die Initiative Hoffmanns des Lobes voll. Auch ihr Vater, der Verlagsgründer Hubert Nyssen, ein gebürtiger Belgier, kam aus Paris nach Arles und blieb hängen. «Arles braucht Menschen, die an die Zukunft glauben. Und ich glaube aus tiefsten Herzen an die Kraft der Zusammenarbeit», sagt die Arles-Lokalpatriotin.
Mit der Zusammenarbeit spielt sie an eine weitere Initiative der Familie Hoffmann in Arles. Bei dieser ist nicht Vater Luc, sondern die Tochter Maja federführend. Gleichzeitig mit der Eröffnung der Fondation Van Gogh im Stadtzentrum wird an ihrem Rand, auf dem Gelände der ehemaligen SNCF-Werkstatt der Grundstein eines Baus der Superlative gelegt. Nicht private 11, sondern 100 Millionen Euro stehen bei dieser kühnen Initiative zur Verfügung. Im Zentrum des «Parc des Ateliers» genannten Projekts wird ein bereits an Bilbao erprobter Touristenmagnet errichtet: ein silbern schimmernder, geometrisch verwinkelter Prunkbau Frank Gehrys.
Das Konzept des «Parcs» klingt so futuristisch, als ob es einem Science-Fiction-Roman entstammen würde. Ein experimenteller Kultur- und Wissenschaftscampus wird hier vorbereitet. Vage verbunden mit dem bekanntesten kulturellen Asset Arles’, dem Photographie-Festival «Rencontres», soll Gehrys Gebäude und das herum entstehende Atelierkomplex die Künstler und die Wissenschafter im Zeitalter der virtuellen Vernetzung auch örtlich zusammenbringen und zur Weltverbesserung inspirieren. Actes Sud hat sich schon eine Bürofolge auf dem Campus reserviert.
«In den kommenden Jahren wird «Parc des Ateliers» als ein Beschleuniger auch der wirtschaftlichen Entwicklung der Region funktionieren», sagt Hervé Schiavetti, der soeben wiedergewählte Bürgermeister von Arles. Während in ganz Frankreich, und ganz besonders hier im Süden, Marine Le Pens Front National in den Kommunalwahlen ganze Landstriche für sich gewann, erreicht Schiavetti, der Kommunist, in Arles die traumhafte Quote von 47 Prozent, den rechten und den extrem rechten Kandidaten weit hinter sich lassend. Sein Erfolgsgeheimnis heisst Hoffmann. Jedermann weiss, wie gut sich der rote Hervé mit der Spenderfamilie versteht. Nicht selten speist er am Sonntagmittag bei ihnen. Schon früh hatte er die Weitsicht, die einträglichen Privatinitiativen willkommen zu heissen.
So ist das schöne Hôtel Léautaud de Donines, in dem Van Gogh jetzt seine triumphale Rückkehr nach Arles feiern kann, eine mietfreie Gabe der Gemeinde. «Die Hoffmanns sind für uns Arlesiens keine Fremden», ruft Schiavetti in die Menge an einer Versammlung kurz vor der zweiten Runde der Wahlen am vergangenen Sonntag. «Luc Hoffmanns Kinder gingen hier zur Schule, im Dorf Le Sambuc und in Arles. Ich werde mein Möglichstes tun, damit private und öffentliche Initiativen harmonisch zusammengehen».
Schon heisst es in der Pariser Presse, Schweizer Milliardäre haben in Arles dem Kommunisten den Kopf gerettet. Stimmt wohl nicht ganz, denn wenn Schiavetti in Arles etwas vorgeworfen wird, dann dass er sich nur noch auf die Wunderprojekte der Hoffmanns verlässt. «Er weiss, warum ich in der ersten Wahlrunde nicht für ihn gestimmt habe», sagt Anne Igou, die umtriebige Besitzerin des Hotels Nord Pinus, in dem Picasso während der Stierkampf-Saison wohnte. In der zweiten Runde allerdings wollte seine Nicht-Wiederwahl in Arles kaum jemand mehr riskieren, denn nicht nur Anne Igou schwärmt für die Familie. «Maja ist eine Macherin», sagt die Hotelière, «was sie sich in den Kopf gesetzt hat, das führt sie aus». Mit Kulturengagements in New York, London, Paris, Basel und Zürich beweist die Sammlerin, Filmemacherin und Mäzenin Maja Hoffmann, dass in ihrem Kopf einiges Platz hat.
Vorerst einmal wird in Arles ein Stadtfest gefeiert. Van Gogh ist zurück, die Neugierigen strömen aus ganz Frankreich und Europa zur Feier. Frank Gehry legt den Grundstein seines Wunderbaus und hält Hof im Nord Pinus. Selbst François Hollande schickt ein Grusswort. Für eine besondere Note der musikalischen Unterhaltung hat Bice Curiger auch gesorgt: Vor der Fondation sitzt eine resolute alte Akkordeon-Spielerin und schmettert «La vie en rose».