Traurige Tropen

Ewa Hess | 14. Januar 2014 – 20:56

Bin begeistert von der neuen, wunderbar poetischen Photoarbeit von Hennric Jokeit. Hennric ist ein Zürcher Neuropsychologe und Photokünstler, mit dem gemeinsam ich den Aufsatz «Neurokapitalismus» verbrochen habe. Er stellt gegenwärtig in der Zürcher PHOTOBASTEI aus.

Zu Neurokapitalismus: Der Text befasst sich mit jenem «shift» unseres Bewusstseins, der durch die Fortschritte der Neurowissenschaften und das Aufkommen von Neuropsychopharmakologie ausgelöst wurde. (Shift: Dass wir also unser Hirn, unsere Identität, als etwas empfinden, dass künstlich verändert, also «gemacht» werden kann. Klingt kompliziert, und ist es auch. Ich habe auf den Text im ersten Absatz verlinkt.)

Zu Hennrics photographischer Arbeit: irgendwie hat sie auch mit diesem Themenumfeld zu tun. Sie bezieht sich auch auf «Tristes Tropiques / Traurige Tropen» (1955), Claude Lévi-Strauss‘ bekanntestes Buch. Die Arbeit ist eine Serie atmosphärischer Aufnahmen, die eine Stimmung unbehauster Melancholie zum Ausdruck bringen. Nicht sofort merkt man, dass es sich bei diesen «geisterhaften» Bildern um Negative handelt. Die Form und der Eindruck, den sie auf der Netzhaut hinterlässt, das Positiv und das Negativ, die Form und ihre Gegenform – hinter der Poetik Jokeits steckt auch die Melancholie einer wissenschaftlichen Durchdringung der materiellen Welt. Kein Zufall, dass die grossen, scheinbar so nüchternen Forscher numinosen Ahnungen keineswegs verschlossen bleiben.

Jokeit selbst schreibt über seine Arbeit: «Der Titel Tropen ist mehrdeutig, denn er verweist neben seiner geographischen Bedeutung auf rhetorische Stilfiguren, die Begriffe durch bildhafte Ausdrücke ersetzen. Diese mentalen Visualisierungen waren für Lévi-Strauss‘ Untersuchungen unverzichtbar. Sie sind “Sinnbilder für ein Kommendes, das wir noch nicht zu erkennen vermögen, und Abbilder einer sich zum eigenen Überdruß gewordenen Epoche” (Jean Améry). Das Dispositiv trauriger Tropen ist zweifellos negativ.»

In der gleichen Ausstellung sind noch weitere Arbeiten Jokeits zu sehen: die ältere Photoserie Time Squares und eine brandneue Installation «Neurokapitalismus (Your Brain is Their Profit)». Die letztere, welche sich auf den (eben, gemeinsam mit mir!) verfassten gleichnamigen Aufsatz bezieht, reflektiert die Erscheinungsformen einer sich radikal verändernder Wirklichkeit. Konzepte von Raum, Zeit und Identität verflüssigen sich, flimmern – psychedelisch!

http://traurige-tropen.com

 

About Ewa Hess
Swiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, Zürich
View all posts by Ewa Hess »

@askewa

@PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau
@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf Gesda
It’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s

Neueste Beiträge

Baselitz‘ Welt
I like
Private Sales, ein Schattenspiel
Adieu John Berger
Talk mit Jacqueline Burckhardt

Blogroll

FAQ
News-Blog
Pop Matters
Revue 21
Support Forum
WordPress-Planet

Themen

Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published. Required fields are marked *