Henning Mankell zuhause

Henning Mankell zuhause Ewa Hess | 25. September 2011 – 22:46 von Ewa Hess @ SonntagsZeitung Südlich von Göteborg hängt der graue schwedische Himmel tief über den Feldern. Als die steinige Küste am Horizont auftaucht, biegt der Weg in den Wald ab. Die holprige Naturstrasse steigt sanft an, bis ein Holzhaus sichtbar wird: Vorhänge hinter den Fenstern, Rosen im Vorgarten. Henning Mankell erwartet uns auf der Schwelle seines Göteborger Heims. Hier lebt er gemeinsam mit seiner dritten Frau, der zweiten Tochter des Filmregisseurs Ingmar Bergman, wenn er nicht gerade in Maputo, Moçambique, das Teatro Avenida leitet. Der gegenwärtig erfolgreichste Kriminalautor der Welt trägt ein dunkel gemustertes Hemd und eine Faserpelzjacke mit Reissverschluss. Sein Blick könnte als skeptisch interpretiert werden, wenn das Funkeln einer amüsierten Neugier in den Augen nicht so deutlich wäre. Herr Mankell, Sie sind also noch nicht aufgebrochen? Wohin? Mit der neuen Gaza-Flotille das israelische Embargo brechen … Keine Sorge, ich werde auch diesmal mitgehen, wenn es notwendig sein sollte. Ich konnte schon vor einem Jahr nicht verstehen, weshalb ich der einzige Schriftsteller war, der an der Aktion teilnahm. Vielleicht zweifelten Ihre Kollegen an dem Unterfangen? Nein, ich hörte von allen, wie gut sie es fanden, dass ich dabei war. Und ich dachte für mich – wo warst denn du? Nur wenige haben mir gestanden, dass sie schlicht und einfach Angst hatten. Das akzeptiere ich. Sie selbst hatten keine Angst? Nein. Obwohl Sie doch physisch bedroht wurden? Nicht das erste Mal in meinem Leben. Und ich habe ja keine kleinen Kinder. Und meine Frau war einverstanden. Es war für sie dennoch nicht einfach, als sie um fünf Uhr morgens von den Journalisten mit der Frage geweckt wurde, ob es stimme, dass ich tot sei. Dennoch sagt sie auch diesmal, dass ich gehen soll. Vorher aber kommen Sie nach Zürich zur Premiere Ihres Stücks «Miles oder die Pendeluhr aus Montreux» im Rigiblick. Warum gerade in dem Kleintheater? Wenn es ums Theater geht, spielt Grösse wirklich keine Rolle. Ich habe schon in ganz kleinen Häusern fantastische Aufführungen gesehen. In diesem konkreten Fall kam der Kontakt über Hansjörg Betschart zustande, der meine Stücke ins Deutsche übersetzt und bei dieser Inszenierung Regie führt. Das Stück handelt zum Teil in der Schweiz, in Montreux, wo Miles Davis auftritt. Sind Sie selbst ein häufiger Gast des Jazzfestivals? Früher war ich das. Ich habe Miles-Davis-Konzerte dort erlebt und auch seinen Chauffeur getroffen, der im Stück vorkommt. Den Mann gab es wirklich. Er erzählte mir damals, wie es dazu kam, dass der Musiker sich nur noch von ihm kutschieren liess. Wie? Bei ihrer ersten Begegnung sass Miles Davis hinten im Wagen und fragte den Chauffeur: «Magst du meine Musik?» Und der sagte Nein. Das hat dem Erfolgsverwöhnten wohl imponiert. Er vertraute ihm danach in allem, liess sich von ihm beraten, welche Schuhe er für welches Konzert anziehen soll. Würde es Ihnen gefallen, wenn jemand sagen würde, dass er Ihre Romane nicht mag? Hm, ich weiss nicht. Das hat mir noch nie jemand gesagt (lächelt). Im Übrigen brauche ich keinen Fahrer. Und wenn ich Beratung will, kann ich mich auf meine Frau verlassen. Wie ist es, mit der Tochter der Legende Ingmar Bergman verheiratet zu sein? Ich kannte Ingmar Bergman zuerst. Als Eva und ich uns entschlossen, zusammenzuleben, brachte das Ingmar und mich noch näher. In seinen letzten Lebensjahren war ich wohl der einzige Mensch, den zu sehen er ertrug. Las er Wallander-Romane? Er verschlang sie. Er las überhaupt alles, was ich schrieb, und gab mir wertvolle Ratschläge. Und Ihre Frau? Natürlich. Da wir beide Theatermenschen sind, teilen wir auch im kreativen Bereich sehr viel. Sie wird zur Premiere in Zürich mitkommen, und ich war am Samstag an ihrer Premiere hier in Göteborg: ein immenser Erfolg. Ich bin sehr stolz auf sie. Sie leiten ein Theater in Afrika, Ihre Frau führt in Schweden Regie. Wie funktioniert das? Ganz gut. Aber natürlich muss man für jede Leidenschaft, wie die unsere fürs Theater oder die meine für Afrika, einen Preis zahlen. Woher kommt Ihre Faszination für Afrika? Die Sehnsucht eines Nordländers nach der Sonne? Nein. Mein kindlicher Traum betraf eine andere Sehnsucht, nämlich jene, das Ende der Welt kennen zu lernen. Und das war für Sie Afrika? Das war das Exotischste, was ich mir vorstellen konnte. Und als ich 1972 erstmals zu einer grossen Reise aufbrach, war das Ticket nach Afrika billiger als das nach Südamerika. Doch mittlerweile sind meine Gründe, dort zu leben, andere geworden. Welche sind es heute? Es tut uns gut, die Welt aus einem anderen Blickwinkel als dem europäischen zu betrachten. Und in Afrika liegt die Wiege der menschlichen Zivilisation. Wir alle haben eine afrikanische Grossmutter! Und Palästina? Weshalb engagieren Sie sich in diesem Kampf? Ich hasse alles, was mich an Apartheid erinnert. Und in Israel wiederholt sich die Geschichte. Kommt Ihnen das türkische Protektorat für die Gaza-Hilfsschiffe nicht scheinheilig vor? Ach, wissen Sie, in der Politik gibt es keine einfachen Allianzen. Man muss sich heutzutage nun mal mit komplexen Situationen herumschlagen. Ich bin dagegen, dass man das zum Anlass nimmt, nichts zu tun. Geht es vor allem darum, Gaza zu helfen oder Israel zu schaden? Ich weiss, dass bei der Freedom Flotilla Gruppen dabei sind, die eine Auslöschung des israelischen Staates verlangen. Diese Einstellung kritisiere ich. So wie ich die Hamas kritisiere. Sind die Veränderungen in Nordafrika der Lösung des Konflikts im Nahen Osten förderlich oder eher abträglich? Ich halte den arabischen Frühling für einen Glücksfall – auch für Israel. Denn das, was man in Israel Demokratie nennt, ist eine andere Form von Diktatur. Israel hat jetzt eine Chance, seinen eigenen Frühling zu erleben. Soll die Schweiz Palästina als Staat anerkennen? Ich denke, ja. Es ist keine perfekte Lösung, ich gebe es zu. Aber man sollte es tun, weil es auf Israel eine Signalwirkung haben wird. Was halten Sie von der Politik der Guten Dienste, wie Sie von der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey betrieben wird? Die ist mir gar nicht aufgefallen. Im Gegensatz zu den rassistischen Plakaten, mit welchen die Populisten bei Ihnen

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