February 2013

Der Papst schreit

Der Papst schreit Ewa Hess | 28. Februar 2013 – 09:05 Francis Bacons obsessiv gemalten Bilder des schreienden Papstes gehören zu den erschütterndsten Bildern der Nachkriegszeit. Er malte 45 Variationen des berühmten Porträts von Diego Velázquez, auf dem Papst Innozenz X. abgebildet ist. Doch während auf dem Bild des Spaniers (gemalt 1650) der Papst mürrisch und misstrauisch dreinschaut, malte ihn Bacon schreiend. Hier einige Gedanken dazu (es ist der Text meiner Kolumne «Expecting Art» für die Aprilnummer der Kulturzeitschrift «Du»). Als Benedikt XVI demissionierte, tauchte Innozenz X aus der Versenkung auf. Aber was sage ich: Versenkung. Die gab es ja nur in meinem Kopf. In Tat und Wahrheit stolpert man über Francis Bacons schreiende Päpste geradezu. Erstens gibt es ihrer fünfundvierzig. Ja, 45 schreiende Päpste – wenn man sich vorstellt, dass sie nebeneinander hängen, wird man fast wahnsinnig. Zweitens gehören einige unter ihnen zu den teuerst gehandelten Leinwänden unserer Zeit (erst im November ging eins bei Sotheby’s für 29.7 Millionen Dollar weg). Und drittens sind sie alle so intensiv, dass sie, einmal gesehen, dem Betrachter immerfort hinterherschreien. Nur mit konzentrierter Willenskraft bringt man sie wieder aus dem Kopf. Was mir bisher gut gelungen ist. Erst als Papst Ratzinger mit leiser Stimme das Unerhörte verkündet hatte, dass er nämlich geht, einfach so seinen Rücktritt auf den letzten des Monats Soundso angekündigt hat, ganz als wäre er nicht Stellvertreter Gottes auf Erden sondern sein angestellter Buchhalter mit Kündigungsfrist und Vertrag, da explodierte dieser Schrei jäh im Schädel. Uaaaaaaaaah. Den Papst hats verjagt. Der rätselhafte Entschluss des Papstes hat Gemeinsamkeiten mit dem rätselhaften Bild. Denn da ist einerseits ein konservativer Papst, der seinem Vorgänger Johannes Paul II eine Stütze und ein Berater war und aus nächster Nähe zusehen durfte, wie der andere seinen Kampf mit Krankheit, Müdigkeit und dem Alter vor den Augen der ganzen Welt zelebrierte – ohne je daran zu denken, die heilige Pflicht niederzulegen. Und Ratzinger wäre nicht Ratzinger, wenn er nicht bemerkt hätte, wie dieses Verhalten auch strategisch einen starken christlichen Kontrapunkt zur Entsorgungsmentalität unserer Zeit setzte. Nein, aus Müdigkeit hat er kaum resigniert. Was war aber dann der Grund für Ratzingers Rücktritt? Steht es um unsere Welt und die katholische Kirche mittendrin wirklich so schlimm bestellt, dass er diese Bürde auf seinen 86-jährigen Schultern nicht mehr tragen konnte? «Es scheint, als wolle das Böse ständig die Schöpfung Gottes beflecken, um Gott zu widersprechen und seine Wahrheit und Schönheit unerkennbar zu machen», flüsterte der Papst bei einem seiner letzten Auftritte. Wenn das kein stummer Schrei war. Die in ihrer Schönheit bedrohte Schöpfung ist ja andererseits auch Bacons Thema. Er wollte den Schrei des Papstes, eigentlich jedes Bild, «schön» hinkriegen. «Ich wollte den Schrei des Papstes als etwas darstellen, welches die Intensität und die Schönheit von Monets Sonnenuntergang haben würde», sagte er anfangs der siebziger Jahre zu seinem Vertrauten Peter Beard. Da hatte er vom Papst-Sujet schon seit einer Weile Abschied genommen – seit der Mitte der Sechziger Jahre liess diese Obsession nach. Es war eine Besessenheit, die ihresgleichen sucht. Während zwanzig Jahren hat das ursprünglich von Diego Velázquez 1650 gemalte Bildnis vom Papst Innozenz X den irischen Gegenwartsmaler Bacon gefangen gehalten. Wenn er das das Velázquez-Bild irgendwo abgebildet sah, kaufte er das Buch, riss die Seite mit dem Papst heraus und pinnte sie an die Wand seines Ateliers in London. Als er aber 1954 nach Rom fuhr, entschied er sich gegen den Besuch des Originals, welches dort in der Sammlung Doria Pamphili hängt – ganz so, als ob er vor dieser Begegnung Angst haben würde. Zwanzig Jahre, in welchen er immer wieder den schreienden Papst malte, haben Bacon nicht einmal an den Rand des Verstädnisses herangeführt. Als er die Päpste aufgab, war es nicht, weil er ihr Geheimnis ergründet hatte. Nein, nein. Es wurde ihm schlicht zu blöd. «Silly», das war sein Wort. Er nahm es dem Sujet übel, dass es ihn so lange genarrt hat, ohne ihn wirklich hereinzulassen: «Ich mag diese Päpste wirklich nicht», sagte er zu Peter Beard. «Wenn der Papst schrie, schrie das Bild nicht. Ich hätte es viel besser machen können». Was ja aus heutiger Sicht überhaupt nicht stimmt. Der von einem Vorhang erstickte Schrei des Papstes, kombiniert mit seiner starren Sitzhaltung auf dem Thron, der auch ein elektrischer Stuhl sein könnte, gehört zu den erschütterndsten Bildern der Nachkriegszeit. Es ist eine schmerzhaft erstickte Intensität in diesem Schrei drin: der lautlos geöffnete Maul mit Zähnen, die unnatürliche Körperhaltung, die Hände, die sich krampfhaft um die Armlehnen schliessen. Dass es sich um einen Ausdruck der vergangenen Kriegsgreuel handelt, und dass mit dem Bild des Papstes die zwiespältige Rolle der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg symbolisiert wurde, gehört denn auch zu den häufigen Interpretationen dieser Bildserie – natürlich nebst vieler anderen. Wie könnte es bei Bacon anders sein. (Im Übrigen hat man in seinem Atelier durchaus auch Bilder von Pius XII gefunden, dem Kriegspapst, der trotz seines Wissens um den Holocaust lange und hartnäckig schwieg, was immer noch ein wundes Thema innerhalb der katholischen Kirche ist.) Der ursprüngliche Velázquez-Papst, Innozenz X, schreit ja nicht. Er schaut mürrisch und misstrauisch drein, die zusammengepressten Lippen verraten einen illusionslosen Machtpolitiker. Innozenz X, aus der Prinzenfamilie der Pamphilis, stand unter der Fuchtel seiner geldgierigen Schwägerin Olimpia Maidalchini, führte selbst ein strenges Regiment und war für seinen Zorn bekannt. Er soll das gnadenlose Porträt mit dem säuerlichen Spruch «troppo vero», zu wahr, kommentiert haben. Der Schrei ist Bacon aus anderen Quellen zugefallen. Da war einerseits ein Buch über Mundkrankheiten, das ihn seit früher Jugend fasziniert hat. Und auch der Schrei des vom Gewehrfeuer niedergestreckten Kindermädchens in der berühmten Treppensequenz des Films «Panzerkreuzer Potemkin» von Sergej Eisenstein. «Potemkin» ist ein Stummfilm, auch dieser schreckliche Schrei bleibt also lautlos. Michael Peppiatt, Francis Bacons Biograph, erinnert sich in seinem Erinnerungsband «Gespräche in der Nacht» an lange Nächte mit Bacon im Colony Room, dem Lieblingsclub des Malers in Soho, und wie in ihnen ein Riss aufklaffen konnte. Nach Stunden des Redens und des Trinkens, beschreibt Peppiatt, «riss etwas auf, eine Lücke, ein Spalt», plötzlich

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Szeemanns Archiv bei Getty

Szeemanns Archiv bei Getty Ewa Hess | 14. Februar 2013 – 07:59 Nachdem Getty Harald Szeemanns Archiv gekauft hatte, wird es jetzt dem Publikum zugänglich gemacht. Ein warmherziges neues Video erinnert an den grossen Schweizer Ausstellungsmacher. Die von Getty realisierte 10-min-Version erklärt auch zwischen den Zeilen, weshalb Ingeborg Lüscher und Uma Szeemanns das Archiv an Getty verkauft haben, obwohl es dadurch aus Europa verschwand – weil die Kuratorin dort die Bedeutung des Konvoluts erkannte und fest entschlossen war, es so schnell wie möglich den Studenten zugänglich zu machen. http://www.youtube.com/watch?v=C-Z6hMdWcNU&feature=player_embedded About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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Die besten Richards III

Die besten Richards III Ewa Hess | 6. Februar 2013 – 22:18 Es sind nicht die Knochen, welche einen Monarchen ausmachen. Die besten Richards sind jene, die unser Denken regieren. Also: 1. Al Pacino in «Looking for Richard». Eine rastlose, halb dokumentraische Suche nach Shakespeares Geheimnis, nach dem Abfgrund von Richards Herz, nach der Essenz der Schauspielerei. 2. Frederick Warde im Stummfilm von 1912, der angeblich der älteste erhaltene amerikanische Film sein soll. Schon damals ein Brite, der von New York aus die Welt erobert. Wird zum vorbild aller Richards – dabei ist der Film ja stumm! So beredt können wortlose Monologe sein. 3. Laurence Olivier natürlich, der Shakespeare rezitieren kann, als ob er sein Mittagsmenü erzählen würde, zwanglos, charmant. 4. Ian McKellen in Uniform, in einem protofaschistischen England der 30-er Jahre. Eine böse, erschreckende Interpretation, in der der spätere Gandalf einen reptilienartigen Charme entwickelt. 5. Peter Selters, wie er Laurence Olivier nachäfft, und den grossen Richard-Monolog mit dem Songtext von Beatles‘ «Hard Day’s Night” rezitiert. About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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Neue Kunstrituale in Rio

Neue Kunstrituale in Rio Ewa Hess | 4. Februar 2013 – 07:44 In Rio de Janeiro erwacht eine neue Kunstszene – anlässlich einer Reise im Zusammenhang mit der bevorstehenden Eröffnung der Casa Daros im Quartier Botafogo habe ich mich mal unter dem Zuckerhut umgesehen. Foto: Fred Merz/Rezo Rio ist eine Schleuder. Das behauptet der Künstler José Bechara. Und er muss es wissen, denn er schaut täglich von oben auf seine Heimatstadt. Auf der Terrasse seines Ateliers im Villenviertel Santa Teresa breitet er Leinwände vor uns aus. Eine tropisch verschleierte Sonne legt sich derweil zu Füssen des Zuckerhuts schlafen. «Die lateinamerikanische Kunst», sagt José und unterstreicht die Aussage mit einer dezidierten Bewegung seiner kubanischen Zigarre, «wird von Rio aus die Welt erobern.» Denn nur von hier aus fliegen Ideen mit Zentrifugalkraft in die Welt – wie einst der entspannte Rhythmus des Bossa nova. Darum sei es klug von den Schweizern, mit ihrer Casa Daros nach Rio zu kommen. Bechara selbst ist ein cooler Typ mit Dächlikappe und rauer Stimme. Jeder seiner Sätze klingt wie ein Sprichwort. «Geld kommt nach Rio wegen seiner Ölfelder», sagt er etwa, «Künstler aber kommen nach Rio, weil diese Stadt bereit ist, sich zu verschwenden.» Obwohl keines seiner eigenen Werke von Daros Latinamerica angekauft wurde, ist er auf die Sammlung gut zu sprechen. Er ist überzeugt, dass es ein Fehler der Kunstszene war, die Gründung eines Ablegers des Guggenheim-Musems in Rio, damals 2003, durch Proteste zu verhindern. «Abwehr», sagt er, «ist eine so altmodische Idee.» «Ist der Umbau der Casa Daros endlich fertig?», will Bechara jetzt wissen. Ein Schaufenster für Kunst verschiedener lateinamerikanischer Länder in Rio einzurichten, hält er für eine grossartige Idee. Fügt aber nach einigem Nachdenken hinzu: «Falls es funktioniert.» Der Nachsatz ist berechtigt. Die Kunstszene Rios ist bisher eine recht überschaubare Gemeinschaft. Sie organisiert sich rund um das Museu de Arte Moderna (MAM Rio), einer von Brasiliens grossartig kühlen, modernistischen Betonbauten im Quartier Flamengo unten am Meer. Mit seinen 200 000 Eintritten pro Jahr erlaubt das Beispiel des Museums keine brillante Prognose für die hochfliegenden Daros-Pläne, die mit dem Potenzial einer kunsthungrigen Sechs-Millionen-Metropole rechnen. Dass aber Kunst, Geld und Macht in Rio gerade anfangen, Gefallen aneinander zu finden, das lässt sich beim Besuch im Haus auf Betonpfeilern nicht übersehen. Der Enkel des Medienmoguls buhlt um Museumssponsoren Der Aufsichtsrat-Präsident des Museums, Carlos Alberto Gouvea Chateaubriand, empfängt seine Besucher im Restaurant im ersten Stock. Sein Grossvater, Francisco de Assis Chateaubriand, war einer der einflussreichsten Männer des Landes, ein gefürchteter Medienmogul der Nachkriegsjahre, der als «brasilianischer Citizen Kane» in die Geschichte einging. Im neuen, um eine vorzeigbare politische Korrektheit bemühten Brasilien von heute steht sein Name für alles, das es zwar noch gibt, aber nicht mehr geben sollte: Erpressung, Korruption, Bereicherung durch Macht. Den Namen von Napoleons Botschafter Chateaubriand hat der damalige Emporkömmling aus Nordostbrasilien als Jüngling für sich usurpiert – er ist in der Familie geblieben. Das nach dem gleichen Mann benannte Stück Fleisch wird im Museumsrestaurant Laguiole nicht serviert, dafür ein hauchzarter Blanc manger aux truffes. Wenn man die Vorspeise lobt, ruft der Präsident mit einem Fingerschnippen den Koch, der im perfekten Französisch das Rezept verrät. Alles hier ist darauf ausgerichtet, die Reichen und die Einflussreichen zu verwöhnen. Denn sie sollen zahlen – Staatssubventionen für Museen stehen im Boomland Brasilien nicht zuvorderst auf der politischen Agenda. Weder das MAM Rio noch das auf der anderen Seite der Guanabara-Bucht gelegene, von Brasília-Planer Oscar Niemeyer erbaute Museu de Arte Contamporânea de Niteroi, erhalten Budget-Zuwendungen. Für jede Ausgabe muss ein Sponsor her. Der zerschlissene Spannteppich im Innern des in jedem Touristenführer als Weltwunder gepriesenen Niemeyer-Baus in Niteroi erzählt von diesen Zuständen. Da hat es das MAM Rio besser. «Ich weiss, wie man mit diesen Leuten spricht, damit sie uns Geld geben», sagt der Enkel des Medienzaren und prostet dem Telenovela-Produzent Luiz Barreto zu, der gerade hereinkommt. Grossvater Chateaubriand pflegte die Industriemagnaten seiner Zeit zu erpressen, um Modiglianis, Tizians und Picassos fürs Museum in Sa?o Paulo zu kaufen. Heute undenkbar – und doch wecken diese ältere Herren in hellen Anzügen, die im Museumsrestaurant ein- und ausgehen, einschlägige Mafiafilm-Klischees. «Wie geht es der Tochter, Mario?», «Setzt dich zu uns, Paulo»: – damit sind der mächtige Chairman des Energieunternehmens Enel Endesa, Mario Santos, oder der CEO des Elektrizitätsgiganten Light, Paulo Roberto Pinto, gemeint. Einander in ihrer weichen Sprache Witzchen und Koseworte zurufend, kontrastieren diese Patriarchen mit den kargen Räumen des Museums, wo einst, in den 60er- und 70er-Jahren, zur Zeit der Militärdiktatur, Oppositionelle zusammenkamen «um zu besprechen, was getan werden musste und wer gerade verhaftet worden ist» – wie uns der Künstler Antonio Dias erzählt. Dias ist der Doyen der Kunstszene in Rio. Vor der Verfolgung des Militärregimes flüchtete er nach Europa, lebte lange in Mailand. Er ist jetzt 69 Jahre alt und krank. Er hat sich ein Auge verletzt, bei der Behandlung wurde Krebs diagnostiziert. Vor zwei Jahren kam er zurück, nach Hause, um hier wieder heil zu werden. Er ist der Meister Yoda von Rios Kunstszene, ein Weiser, der in Rätseln spricht. Die um Jahrzehnte jüngere italienische Frau Paola und Tochter Nina gehen im Haus umher, schwatzend, rauchend, Getränke schlürfend. Die Kunstvermittlungskurse in der Favela laufen schon Dias ist ein typischer Daros-Künstler. In der von Ruth Schmidheiny und Hans-Michael Herzog angelegten Sammlung lateinamerikanischer Kunst ist diese Generation bisher am stärksten vertreten. Die ganz jungen Künstler sind den bedächtigen Einkäufern oft noch nicht «reif» genug, haben die Probe der Zeit noch nicht bestanden. Die Werke älterer Künstler, etwa der beiden Säulenheiligen der brasilianischen Moderne, Helio Oiticica oder Lygia Clark, waren im Jahr 2000, als Daros Latinamerica anfing, bereits sehr teuer. «Dennoch», erklärt Hans-Michael Herzog, «konnten wir uns einige wichtige Positionen dieser Künstler sichern.» Auf die Frage nach der Bedeutung der kommenden Eröffnung der Casa Daros für Rio antwortet Antonio Dias gewohnt vage – ja, das Kulturhaus sei wichtig. Er würde sich wünschen, dass dort eine Kunstzeitschrift initiiert werde. Er vermisse ein Forum. «Die Daros-Leute setzen schon jetzt Standards», gleicht Paola freundlich die nicht gerade überbordende Begeisterung ihres wortkargen Mannes

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