Pipilottis Heimspiel
Pipilottis Heimspiel Ewa Hess | 6. März 2016 – 14:33 Anlässlich der grossen Schau im Kunsthaus darf ich ein langes Interview führen mit der Künstlerin, deren Werk ist schon seit zwei Jahrzehnten beobachte und schätze. Herzlich und grosszügig schenkt mir die Frau, die sich selbst als Kobold in spe bezeichnet, ihre kostbare Zeit im Vorfeld der Eröffnung einer Ausstellung, die sie tief bewegt.Wir treffen die Künstlerin im Tram. Als wir vor dem Kunsthaus am Zürcher Heimplatz aussteigen, werden wir sofort von Menschen angesprochen. Sie erkennen Pipilotti Rist und gratulieren ihr zur Ausstellung. «Toll!», sagen sie oder «Bravo!». Die Räume ihrer Kunsthausschau «Dein Speichel ist mein Taucheranzug im Ozean des Schmerzes» sind dunkel, das pulsierende Licht der Projektionen flimmert. Pipilotti posiert in diesem geheimnisvollen Interieur für den Fotografen. Weil die Ausstellung sehr gut besucht ist und die Menschen neugierig zuschauen, wirkt die Fotosession schnell wie eine Performance.Pipilotti Rist, war es Ihnen peinlich, in der Ausstellung fotografiert zu werden?Ach, das ist kompliziert. Ich will auf keinen Fall wie eine Diva wirken! Anderseits weiss ich, dass ich den Besuchern der Ausstellung zutrauen kann, dass sie wissen, dass das Fotografiertwerden zu meinem Job gehört. Sind Sie denn gar nicht eitel?Doch, ich bin es, aber meine Eitelkeit ist auf die Arbeit bezogen. Es soll künstlerisch und technisch alles perfekt sein!In der Zürcher Ausstellung wird auf ein Bett projiziert, Monitore stecken in den Handtaschen. Gibt es einen Gegenstand, in den Sie keine Technik verpacken würden?Vieles kann ein Giver und fast alles ein Catcher sein. Giver und Catcher?Giver nenne ich die Projektoren und Monitore, Catcher die Objekte, Wände oder Stoffe, auf die projiziert wird.Stimmt das, dass Sie in Ihrem Team nur Frauen für die Technik anstellen?In der Videotechnik stimmt es. Für Holz, Metall und Architektur arbeite ich mit einem talentierten Quotenmann.Sind Frauen bessere Technikerinnen?Ja. Und sie sind transparenter. Ich will immer wissen: Wie haben wir ein Resultat erreicht? Die Forschung, die Fehlerbehebung ist eine wichtige Inspirationsquelle. Auch diese Ausstellung hat den Pixeltussis viel Kopfzerbrechen bereitet…… die Mitarbeiterinnen wissen, dass Sie sie Pixeltussis nennen?So nennt uns alle der Quotenmann. Aber ich muss meine Aussage zur Transparenz revidieren. Ich habe inzwischen jüngere Männer getroffen, die sehr mitteilsam sind. Man merkt: Das ist die «Open source»-Generation. Ich selber stamme aus einer Zeit, als man jede Maschine, die man beherrscht hat, gehütet und verteidigt hat, weil man Angst hatte, dass einem jemand das Know-how stiehlt.Seit wann merken Sie den Generationenwechsel?Erst kürzlich habe ich es bei den Dallas Cowboys festgestellt.Was machen Sie bei den Dallas Cowboys?Sie haben mich angefragt, für ihr American-Football-Stadion eine Kunstinstallation zu machen, die über ihre 3500 Monitore flimmert. Und da habe ich Männer getroffen und staunte, von ihnen sehr ernst genommen zu werden. Die haben den grössten LED-Screen der Welt, wussten Sie das?Und Ihre Kunst soll während eines American-Football-Matches laufen?Ja, es ist trickreich, weil ich zwar etwas entwerfen soll, aber es nicht in der Hand habe, wann es eingespielt wird.Funktioniert Kunst mitten in der Werbung und den Spielresultaten?Das wird dann meine Aufgabe sein, etwas zu entwerfen, das funktioniert. Ich habe das am Beispiel einer Installation der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer live gesehen. Also die Stimmung im Stadion heizt sich auf, es ist sehr intensiv, und plötzlich leuchtet so ein Schriftband Holzers auf, etwa: «Abuse of power comes with no surprise.» Stark.Wissen Sie schon, was Sie vorschlagen?Nein, ich bin erst dran.Ihre Themen sind oft intim. Etwa das Werk «Ginas Mobile» in der Zürcher Ausstellung, in der die Kamera den weiblichen Genitalien entlanggleitet.Ich will erst zur Bezeichnung «intim» etwas sagen. Es kommen Bilder in unserer Welt vor, die scheinbar intim sind. Aber solange ich kein Gefühl von der Person dazu erfahre, ist es für mich nicht intim, auch wenn ich nahe ans Fleisch gehe.Ist nun «Ginas Mobile» intim?Eher universell denn intim. Das Video basiert auf mehreren hoch aufgelösten Aufnahmen von Vulven, die wir wie teure Uhren ausgeleuchtet haben, mit goldenen Reflexen und warmem Licht. Die ganze Projektion ist wie ein Mobile auf einem dünnen Faden aufgehängt…… Mobile im Sinne einer beweglichen Skulptur?Genau, und gerade das fragile Gleichgewicht der Installation symbolisiert, wie wir Menschen aus dem Konzept kommen, wenn wir an unterschiedlichen Stellen unserer Haut berührt werden. Unsere Schleimhäute, also Lippen oder Geschlechtsteile, sind Haut, wie der Handrücken auch. Und doch können uns Berührungen an gewissen Stellen komplett aus dem Gleichgewicht bringen, unser Herz aufreissen.Das gilt auch für Männer, nicht wahr?Natürlich, das gilt genauso für die Haut auf der Eichel.Dieses Spiel mit der Pornografie, die nicht pornografisch ist, war schon früh Ihr Thema, etwa im «Pickelporno» von 1992.«Pickelporno» war damals ganz klar aus der Pornografiediskussion entstanden. In den 90er-Jahren haben sich viele daran gestört, dass die Sexualität so ausgeschlachtet wird. Mich hat mehr interessiert, darzustellen, wie sich diese Gefühle aus einer weiblichen Sicht zeigen.Ist Sex überhaupt darstellbar?Nur schwer, weil jede Darstellung nur an der Oberfläche kratzt – oder sollte ich sagen reibt?Heute ist Pornografie allgegenwärtig, Jugendliche schauen sie auf den Handys an. Verändert das etwas an der Aufgabe der Künstlerin?Es ist umso wichtiger, sie auch zum Thema zu machen. Die pornografische Darstellung blendet einen wichtigen Teil der Realität aus, den muss man erklären. Mit der extremen Hochauflösung, die heute möglich ist, kommt noch das Thema der Körperdarstellung dazu – jede Unreinheit der Haut wird wegretuschiert, was ein falsches Bild vermittelt. Jugendliche sollen lernen, wie man Filme macht, und selber welche machen.Machen sie ja auch, mit dem Handy, und schicken dann die Nacktaufnahmen von sich herum. Ein Problem?Eher Anreiz dazu, junge Menschen anzuleiten, wie man mit den Medien kompetenter umgeht. Gewisse Schulen lehren es ja bereits.Sie sind ja selber Mutter eines 14-jährigen Jungen. Sind solche Fragen ein Thema im Hause Rist?Jugendliche sprechen nicht über alles mit den eigenen Eltern. Das war schon immer so, denn sie lösen sich ab und müssen ein eigener Mensch werden.Ihre Zürcher Ausstellung wird von vielen Familien besucht, da gucken Mama, Papa und die Kinder gemeinsam zu, wie sich in Ihrer Installation «Mutaflor» der Mund öffnet, der After zusammenzieht…Vielleicht lachen sie gemeinsam darüber, wie sie vom Bild gefressen werden, das würde mir gefallen. Mir geht es auch
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