Gesellschaft

Büchels Moschee in Venedig

Büchels Moschee in Venedig Ewa Hess | 27. Mai 2015 – 10:57 Ich war an der Eröffnung von Christoph Büchels Kunstprojekt in Venedig dabei. Der Island-Schweizer liess an der Biennale die Muslime in einer umgenutzten katholischen Kirche beten. Bis die Stadt das Gebäude schloss. Nach den starken, intensiv positiven Emotionen der Eröffnung, die zu einer wunderbaren Versöhnungsfeier der Religionen wurde – unverständlich und dumm. Also doch. Am Freitag schlossen die venezianischen Stadtbehörden die Installation «The Mosque» des Schweizer Künstlers Christoph Büchel. Nach zwei Wochen der Diskussionen, der Anzeigen und der darauf folgenden staatlichen Kontrollen teilte die Stadtverwaltung von Venedig den Verantwortlichen des isländischen Pavillons und der Biennale mit, dass die Genehmigungen zurückgenommen worden seien. Die Gebetswilligen erhielten keinen Einlass mehr. Der Fall ist interessant. Es geht um den Umgang mit Religion und um unsere Bereitschaft, die liberalen Tendenzen des Islam zu stärken. Eine politische Kunst hatte der Biennale-Leiter Okwui Enwezor gefordert. Und «The Mosque» löste diese Forderung besser ein als die beiden Hauptausstellungen der Biennale. Die Projekte des in Island lebenden Schweizers zielen immer in die Mitte ­einer schwelenden sozialen Unruhe. In Venedig, der traditionellen Pforte zum Orient, sind die islamischen Kultur­einflüsse überall anzutreffen. Trotzdem gab es im historischen Zentrum der Stadt nie eine funktionierende ­Moschee. Ein Lager wird zur Moschee Diese zu finden, war eine Aufgabe nach Büchels Gusto. Nur – und das ist der provokative Teil seines Beitrags –, er richtete diese Kunst-Moschee in einer katholischen Kirche ein, in der Santa Maria della Misericordia de L’Abazia, die er nach langer Suche fand. Die Kirche wurde Anfang der 70er-Jahre privatisiert und desakralisiert (die Gegner behaupten zwar, der Akt der Desakralisierung habe nicht stattgefunden, doch die Isländer haben Belege). Die ehemalige Kirche wurde bisher als Lagerraum gebraucht und kann gemietet werden. Büchel stattete die Kirche als Moschee aus, mit Teppich samt aufgemalten Gebetsnischen, orientalischem Lüster, Koransprüchen über den Türen, einer Mihrab-Nische, welche die Gebetsrichtung anzeigt, und einem LED-Display mit aktuellen Gebetsstunden. Die Eröffnung am 8. Mai geriet zu einer herzerwärmenden Feier der Verbrüderung. Mohammed Amin al-Ahdab, ein Architekt und Präsident der islamischen Gemeinde Venedigs, dankte in einer Rede für die «Magie der Kunst», welche die «Herzen der Muslime» erleuchte. Manche Männer beteten vom ersten ­Moment an. Frauen fühlten sich auf ihrer Empore wohl, Kinder kreischten. Das Kunstvolk zog folgsam die Schuhe aus. Trotzdem: Die Proteste begannen sofort nach der Eröffnung und kulminierten in einer Anzeige, die der venezianische Kunsthistoriker Alessandro Tamborini erstattete. Er weigerte sich, beim Besuch seine Schuhe auszuziehen: Da dies ein Pavillon der Biennale sei, könne es sich nicht um einen Kultort handeln. Also schloss die Stadtverwaltung um der Ruhe willen jetzt die «Mosque». Unter dem formalistischen Vorwand, dass die Maximalzahl von Besuchern überschritten wurde. Das befriedigt nun aber weder die Gegner, die ein Exempel statuieren wollten, noch die Organisatoren, die auf eine offene Diskussion über den Umgang mit den Grundrechten der islamischen Minderheit in Italien hofften. Denn nach der Schliessung regt sich auch in Kunstkreisen Kritik. Kritik an Büchel Büchel spiele mit dem Feuer, heisst es, er provoziere eine mediale Schlammschlacht, die auch islamische Fanatiker alarmieren könnte. Indem er darauf ­bestehe, seine Aktion in einer Kirche zu ­inszenieren, riskiere er verletzende ­Bemerkungen und befeuere eine Hetze gegen just die Menschen, bei deren ­Integration er helfen wollte. Dass «The Mosque» dennoch ein Projekt ist, das die liberalen Tendenzen des Islams stärkt, zeigte sich deutlich an der Eröffnungsfeier. Es ist doch immerhin erstaunlich, dass die islamische Gemeinde Venedigs sich dem Biennale-«Tross» vorbehaltlos geöffnet und die zwar wohlmeinenden, aber schrillen Kunstliebhaber aus aller Welt in ihrer Mitte mit offenen Armen empfangen hat. Wem übrigens die Vermischung von Kunst und Religion nicht ganz geheuer vorkommt, kann einen Abstecher in eine der vielen anderen Kirchen der Stadt machen. Dort werden die grössten Werke der abendländischen Kunst von Touristenmassen bestaunt, während ­venezianische Omas inbrünstig beten. Publiziert im Tages Anzeiger am 27. Mai 2015 About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Previous PostNext Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. 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Katja N., Aktivistin

Katja N., Aktivistin Ewa Hess | 16. Juni 2015 – 11:54 Die russische Aktivistin Ekaterina Nenaschewa (rechts) nähte zusammen mit der Pussy-Riot-Frau Nadja Tolokonnikowa (links) auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz eine Fahne, bis sie verhaftet wurde. Die Bilder, die sie aus dem Gefängnis twitterte, gingen um die Welt. Einen Tag später wurde sie entlassen. Ich hörte von der Aktion, als ich für eine Kunstreportage in Moskau war und bat Katja über Facebook um ein Interview. Sie sagte zu und kam in der Sträflingsuniform, die sie selbst genäht hat und aus Protest gegen die schlechte Haftbedingungen in Russland während 30 Tagen trug. Wir sprachen in meinem Hotelzimmer über ihr Engagement. Die klare Weltsicht, präzise Sprache und psychische Reife der jungen Frau haben einen grossen Eindruck auf mich gemacht. Hier das daraus entstandene Interview. Katja, was ist passiert? Am 12. Juni, einem Nationalfeiertag, wurden wir zwei Frauen während einer Performance am Bolotnaja-Platz in Moskau verhaftet. Nadja Tolokonnikowa – die ein Mitglied der Band Pussy Riot und ehemalige Strafgefangene ist – half mir beim Nähen, als die Polizisten kamen. Der Name Bolotnaja weckt Erinnerungen an die Proteste 2012. War die Adresse bewusst gewählt? Natürlich. Viele Teilnehmer der Demonstration vom 6. Mai sind noch im Gefängnis. An diesem symbolträchtigen Ort wollten wir unsere Performance aufführen: In Uniformen der Strafgefangenen eine russische Fahne nähen. Sie tragen diese Uniform schon seit Wochen? Ja, die Performance fand im Rahmen meiner Aktion «Habe keine Angst» (russisch: «Ne bojsja») statt. Diese Aktion thematisiert die Wiedereingliederung von ehemaligen Strafgefangenen. Sie soll eine breitere Öffentlichkeit für diese Problematik schaffen. Worin besteht die ganze Aktion? Ich trage dreissig Tage lang die Uniform einer Gefangenen. Ich gehe in ihr arbeiten, ins Restaurant, ins Theater, in die Metro oder zum Coiffeur und setze mich den Reaktionen aus, die diese Kleidung hervorruft. Oft sind sie gereizt, aggressiv. Viele Menschen verstehen gar nicht, dass das eine Gefangenenuniform ist, dennoch macht sie diese schlichte Kleidung mit aufgenähter Gefangenennummer unwirsch oder ängstlich. Das ist für mich unangenehm, und dieses ungute Gefühl kommt meinem Werk zugute. Inwiefern? Bei der Aktionskunst geht es ja darum, die Gefühle eines Menschen in einer solchen Situation zum Thema zu machen: Trauer, Unsicherheit, Niedergeschlagenheit und vor allem sehr viel Angst. Je stärker diese Gefühle in mir sind, desto stärker die Herausforderung des Kunstwerks an die Welt. Wie hängt die Fahnenperformance damit zusammen? Gestern war der 18. Tag meiner Aktion, und Nadja Tolokonnikowa hat beschlossen, mitzumachen. Wir haben uns mit Stoff in den russischen Nationalfarben und einer kleinen alten Nähmaschine an den Bolotnaja-Platz begeben. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit Pussy Riot? Ich habe am Vortag die MediaZona, eine von Pussy Riot initiierte Newsseite der Bürgerrechtsbewegung, über die Aktion informiert. Nadja hat mir dann sofort geschrieben, dass sie meine Aktion unterstützen will. Kurz vor der Performance haben wir uns erstmals gesehen. Wie hängt das Nähen mit Ihrem Thema zusammen? Das Nähen ist ein kreativer Prozess, kann auch sehr schön sein, ein Hobby, doch es ist ebenfalls ein Werkzeug zur Ausbeutung der Strafgefangenen, welche Kleidungsstücke ohne Lohn nähen müssen. Auf diesem Widerspruch hätte unsere Performance basieren sollen, wir sind aber nicht weit gekommen. Was kam dazwischen? Nach wenigen Minuten sind Polizisten aufgetaucht. Wir haben sie ignoriert und weitergenäht. Sie haben uns in den Kastenwagen gezwängt, Faden, Stoff, Nadeln mit eingepackt. Die Nähmaschine haben sie zuerst vergessen und mussten nochmals anhalten, um sie zu holen. Das hatte durchaus eine komische Wirkung. Haben die Polizisten Tolokonnikowa als Pussy-Riot-Mitglied erkannt? Erst als sie auf dem Polizeiposten ihren Pass zeigte. Mit welcher Begründung führte man Sie ab? Da gab es nicht viele Erklärungen. Die einzige, die wir gehört haben, war: Man näht nicht auf der Strasse. Ein konstruktives Gespräch kam während der ganzen Zeit nicht auf. Gab es Übergriffe? Eine Frau, deren Funktion mir unklar war, verlangte, dass wir unsere Uniformen ausziehen. Da wir keine anderen Kleider dabei hatten, wollten wir das nicht tun. Es hiess zu einem gewissen Zeitpunkt, dass wir in den Uniformen überhaupt nicht rauskommen werden, was mir lachhaft schien, denn diese «Uniformen» habe ich selbst genäht, sie sind eigentlich nichts anderes als ein normaler Bleistiftrock und Bluse. Waren die Beamten also ­ nicht aggressiv? Bei der Abführung gab es schon Kraftanwendung, aber keine Schläge. Es waren fünf Polizisten und wir nur zwei Frauen. Auf dem Kommissariat, und vor allem nachdem sie bemerkt haben, dass Nadja die Frau von Pussy Riot war, gab es grobe Witze und abschätzige Bemerkungen. Unhöflich, verächtlich, beleidigend, aber keine physische Bedrohung. Glauben Sie, dass Sie durch die Präsenz der weltberühmten Aktivistin Tolokonnikowa besser oder schlechter behandelt worden sind? Ohne sie, da bin ich mir sicher, wäre ich länger zurückgehalten worden. Als wir im Saal sassen, wurde ein junger Mann reingebracht, dem das Telefon und alle seine Sachen abgenommen wurden. Ich habe auch mit Nadja darüber gesprochen, dass wir wohl zu den besser Behandelten gehören. Sie haben aus dem Kommissariat getwittert, also durften Sie die Telefone behalten? Ja, diese hatten wir in unseren Blusentaschen. Aber die Nähutensilien nahm man uns weg, vor allem den Stofffetzen mit der Aufschrift IK-1. Was hat diese Aufschrift zu bedeuten? Ispravitelnaja kolonia odin – Strafkolonie eins. Wir wollten diesen Schriftzug auf die fertige Fahne nähen, als Metapher für Russland. Woher kommt Ihr Engagement für Gefangene? Ich arbeite in einem Sozialwerk, das sich um Kinder ohne Eltern kümmert. Dabei bin ich mit dem Phänomen konfrontiert worden, dass den gefangenen Frauen nicht erlaubt wird, mit ihren Kindern Kontakt aufzunehmen. In den russischen Straflagern gibt es eine grosse ­Anzahl von Frauen, die ganz allein sind. Niemand schreibt ihnen, niemand spricht zu ihnen, und sie verkümmern menschlich. Oft kommen diese Frauen freiwillig in die Straflager zurück, indem sie Vergehen anderer auf sich nehmen, weil sie vor dem Leben draussen schlicht Angst haben. Deshalb habe ich meine Aktion «Habe keine Angst» genannt. Welche Angst ist damit gemeint? Die Frauen haben Angst vor der Welt draussen, und die Menschen draussen haben Angst vor ehemaligen Strafgefangenen. Solange wir aber voreinander Angst haben, wird nur dem System geholfen, und die Welt wird nicht besser. Ein

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Biennale als Orakel

Biennale als Orakel Ewa Hess | 10. Mai 2015 – 10:25 Ich lese der Biennale aus der Hand! Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor stellt seine Hauptausstellung unter den Titel «All the World’s Futures» – 139 Künstlerinnen und Künstler leisten einen Beitrag zu den «Zukünften dieser Welt». Wir nehmen den Titel beim Wort und interpretieren die gezeigte Kunst als eine konkrete Prognose der gesellschaftlichen Zukunft. These 1. Das Kapital Es regiert unseren Planeten. Nirgends könnte das augenfälliger sein als an einer Weltversammlung der gut betuchten Kunstwelt. Die riesigen Jachten in der Lagune, die Champagnerkisten für die Empfänge in den Palazzi entlang des Canal Grande, die teuren Hotels Bauer und Cipriani zum Bersten voll, all das zeugt von der Weltherrschaft durch vermögende Eliten. Dieser verwöhnten Clique liest der aus Nigeria stammende künstlerische Leiter in seinem zentralen Ausstellungspavillon in den Giardini die Leviten, ähm, nein, er lässt ihnen «Das Kapital» von Karl Marx vorlesen. Und zwar integral. Über die gesamten sieben Monate der Biennale-Laufzeit, die ganze «Kritik der politischen Ökonomie», Produktionsprozess, Zirkulationsprozess, Gesamtprozess.Okwui Enwezor meint das ernst – Marx’ Analyse der herrschenden Verhältnisse gilt im Wesentlichen nach wie vor. Die techno- und pharmakologisch aufmunitionierte Wirtschaft macht sich die menschlichen Ressourcen mehr denn je untertan. Enwezor, ganz der optimistische Pädagoge, hat für die Lesung ein riesiges Auditorium mitten im Ausstellungsrummel bauen lassen – doch die zu unterrichtenden Massen bleiben aus. In den anderen Ausstellungssälen stehen sich die vielen Besucherinnen auf ihre Louboutins – die rote «Arena» bleibt eine tote Insel der wirkungslosen Ermahnung. Prognose: Marxlesung hin oder her – das Kapital ist und bleibt König, in der Kunst und auch sonst überall. These 2. Die Hoffnung Am stärksten tritt sie im ukrainischen Pavillon zu Tage: Der heisst «Hope»! Hoffnung worauf? Auf eine unabhängige Ukraina, erklärt der Pavillonkurator. Das Häuschen Ukrainas ist ganz aus Glas. Es steht nicht in den Giardini, sondern an der Uferpromenade zwischen San Marco und der Biennale. Transparent, frei, friedlich soll es wirken. Viele der hier ausgestellten Werke sprechen aber von Unterdrückung, Krieg, Hass. Trümmer der Autos, zu einer Skulptur zusammengeballt, Bilder aus der russischen «verbotenen Zone». Der Glaspavillon erweckt daher eine andere Assoziation als die gewünschte: Er wirkt fragil. Prognose: Dieser Konflikt wird noch lange der Hoffnung trotzen. These 3. Die Versöhnung Für die armenische Präsentation auf der Insel San Lazzaro hat die Schweizer Kuratorin mit armenischen Wurzeln, Adelina von Fürstenberg-Cüber­yan, auch einen Türken eingeladen. Der Künstler Sarkis, der sein Land Türkei an der Biennale ebenfalls repräsentiert, folgte ihrem Ruf, und die armenische Diaspora, um die es in der Ausstellung geht, protestiert nicht vor der Insel. Doch der Wunder nicht genug: Indien und Pakistan, seit Jahrzehnten im Bruderzwist um Territorialansprüche gefangen, treten gemeinsam in einem Pavillon auf. «My East is Your West», heisst der Auftritt, was nicht nur geografisch Sinn macht. Prognose: Der Mensch kann seine alten Ressentiments überwinden. Wenn das keine gute Nachricht ist? These 4. Die Bäume Die stehen stellvertretend für die Natur. Im französischen Pavillon bewegen sie langsam die Wurzeln (inszeniert vom Künstler Céleste Boursier-Mougenot), im finnischen Pavillon beschwört das Künstlerkollektiv IC-98 das «grüne Gold» der nordischen Wälder. Prognose: Die ist schlecht. Und zwar für die Natur. Menschen lieben Bäume, vor allem aber, wenn sie mit ihnen machen können, was ihnen passt. These 5. Die Lebensmitte An den Biennalen zeigen die Kuratoren gern künstlerisches Frischfleisch. Oder aber entdecken die ganz Alten (wieder). An dieser Biennale sind erstaunlich viele Künstler in der Mitte ihrer Karriere vertreten: etwa der deutsche Olaf Nicolai, 53, die Engländerin Sarah Lucas, 52, ihr Landsmann Chris Ofili, 46, der Türke Kutlug Ataman, 54. Prognose: Bis zum Greisen­alter auf Jung machen ist vorbei. Der Lebenszyklus darf gleichmässig ablaufen. These 6. Der Brainpower Trifft man jüngere Künstler in den Pavillons, staunt man über ihr flinkes ­Denken. Das beste Beispiel: die Schweizerin Pamela Rosenkranz. Das vielschichtige Bezugssystem ihres Werks hat mit Neurowissenschaft, Genetik, Biochemie zu tun. Ihre blubbernde rosa Masse «Our Product», die den Schweizer Pavillon füllt, ist nicht nur wunderschön, das Werk regt auch zum Denken an. Oder der Rumäne Adrian Ghenie, auch 35, der sich mit seiner eindrücklichen Malerei mit Darwins Theorien auseinandersetzt. Prognose: Nach Jahren des hedonistischen Bling-Bling wird nun die Intellektualität Trumpf. 7. Die «Singularity» Was ist denn das? Mit diesem Wort bezeichnen die Technologie-Theoretiker den Moment, in dem die künstliche Intelligenz die natürliche (sprich menschliche) überholen wird. Das erklärt die katalanische Kuratorin Chus Martinez, die seit kurzem die Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst leitet. In der SF-Literatur wird dieser Moment als der des grossen Schreckens inszeniert: Die Computer und Roboter gehen dem Menschen ans Eingemachte. Ganz falsch, lernen wir nun im katalanischen Pavillon, den Martinez als Kuratorin gemeinsam mit dem u. a. auch in Locarno ausgezeichneten Filmemacher Albert Serra bespielt. Um zu zeigen, wie angenehm eine solche Fusion sein kann, erinnern die Katalanen an die Geschichte des Kinos – und zeigen die Kinematografie als eine bereits domestizierte maschinelle Erweiterung des menschlichen Hirns. Die mit Handy und Internet aufgewachsene Generation sehnt sich offensichtlich nach der Verschmelzung mit der Maschine. Davon spricht auch die Installation im deutschen Pavillon, wo die Künstlerin Hito Steyerl die Besucher ins Innere ­einer durchaus freundlichen Matrix versetzt. Prognose: Seid umschlungen, Brüder und Schwestern Maschinen! 8. Das Kollektiv Die künstlerische Individualität, im romantischen Konzept des Malergenies scheinbar für ewig in die Hirne eingebrannt, weicht dem Idealbild des Kollektivkünstlers. Duos, Trios und ganze Gruppen von schöpferisch tätigen Menschen bestimmen in gemeinsamer Anstrengung zunehmend die Szene. Das indische Raqs Media Collective etwa dominiert die Aussenräume der Giardini. Die drei Künstlerinnen und Künstler schmücken die Alleen mit ihrem «Coronation Park», einer Serie grosser Skulpturen aus Fiberglas. Geistliche und militärische Autoritätsfiguren thronen hoch auf ihren weissen Sockeln, auch wenn ihr historisches Bröckeln schon weit fortgeschritten zu sein scheint. Auch der kanadische Pavillon wird von einem Kollektiv bespielt, das sich BGL nennt. Beim Anblick der ausufernden – und für einmal sehr heiteren – Installation wird es einem augenblicklich klar, weshalb sechs Hände hier erfolgreicher waren als zwei. Die norwegische Vertreterin Camille Norment, die ihrer Glasharfe die wundersamsten Töne entlockt, lädt die anwesenden Künstler

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Adieu, Nelson Mandela!

Adieu, Nelson Mandela! Ewa Hess | 9. Dezember 2013 – 11:57 Die Nachricht von Nelson Mandelas Tod hätte eine Filmsequenz sein können. Erste Szene: Johannesburg, 21 Uhr. Der 95-jährige Mann stirbt in seiner Wohnung. Zweite Szene: London, 22 Uhr. Die Nachricht erreicht seine Töchter Zindzi und Zenani im dunklen Kinosaal. Still schleichen sie hinaus, während Prinz William samt Gattin und weiterem Premierenpublikum die neuste Mandela-Biografie «Long Walk to Freedom» zu Ende schaut. Dritte Szene: Paris, Freitag, 9 Uhr. Der französische Präsident François Hollande hält gemeinsam mit 53 afrikanischen Staatsoberhäuptern, die gerade zum «Gipfel für Frieden und Sicherheit in Afrika» angereist sind, eine Schweigeminute. Das Zusammenfallen der Ereignisse ist filmreif – und typisch. Auch zur Ikone der Popkultur wurde Nelson Mandela in Abwesenheit. Er betrat mit dem Song «Free Nelson Mandela» der Band Special AKA 1984 die Bühne und verliess sie danach nie wieder. Während die britische Band mit dem seltsam fröhlichen Protestsong ihren einzigen wahren Welterfolg feierte, sass Mandela bereits seit 21 Jahren im Gefängnis. Obwohl er hinter Gitter war, gelang es ihm, die Welt so zu beeindrucken, dass U2-Sänger Bono in seinem am Freitag veröffentlichten Mandela-Nachruf sagt, der Anti-Apartheidkämpfer sei schon seit seinen Teenagerjahren sein wichtigster Berater gewesen (Bono wurde 1960 geboren). Es war Mandelas Stimme. Das höfliche, dezidierte Auftreten. Das undurchdringliche Lächeln. Die Unerschütterlichkeit seines politischen Konzepts, das er bereits in seinem allerersten Fernsehinterview vollständig beieinanderhatte. In diesem Interview, das der polizeilich Gesuchte dem britischen Fernsehsender ITN aus seinem Versteck gab, sieht man einen Mann, den die Öffentlichkeit nie kannte: den jungen, 42-jährigen Mandela. Er sieht keinem der neun Schauspieler ähnlich, die ihn später verkörpern werden. Das wacklige, schwarzweisse Fernsehbild zeigt weder einen athletischen Hünen wie Idris Elba im neusten Film noch einen eleganten Sympathieträger wie Sidney Poitier in «Mandela and De Klerk» von 1997. Der Mann, der im Dokumentarvideo dem perfekt gescheitelten weissen Interviewer gegenübersitzt, hat seinen eigenen Scheitel in die schwarzen Locken mit einem Rasierapparat hineingefräst. Er wirkt untersetzt, sein Blick hinter den zusammengekniffenen Augen ist hart, die Antworten kommen wie aus der Kanone geschossen: «Südafrika ist ein Land, in dem es Platz für alle Rassen gibt. Unsere Forderungen sind sehr klar: ein Mann, eine Stimme.» Als er vier Jahre später seine berühmte Rede im Rivonia-Prozess hält, ist keine Kamera dabei. Doch auch in der Tonbandaufzeichnung erkennt man den Reifungsprozess – da hat er schon zwei Jahre Gefängnis hinter sich. Die Worte folgen langsamer, bedeutungsvoller, bis der erschütternde Schlusssatz fällt: «But if needs be, it is an ideal for which I am prepared to die.» Als Held der Popkultur ist Nelson Mandela keine romantische Identifikationsfigur wie die früh verstorbenen Revolutionäre Che Guevara oder der Südafrikaner Steve Biko. Vielleicht weil er erst nach seiner Befreiung so richtig sichtbar wurde, ist er eine Vaterfigur. Man will nicht Mandela sein, man will ihn zum Berater haben, wie Bono das ausdrückt. Vielleicht scheitern darum so viele dieser Biografien, Filme, Theaterstücke und Opern, die er inspiriert hat. Selbst in Clint Eastwoods «Invictus» von 2009 wirkt die von Matt Damon gespielte Figur des Rugbykapitäns François Pienaar plastischer als die des charismatischen Staatschefs. Auch der gewohnt tolle Schauspieler Morgan Freeman kann einer Figur, an der alles Licht ist und so gar nichts Schatten, kaum Leben einhauchen. Mandelas dunkle Seiten – seine Verzweiflung, seine Wutausbrüche, sein Schürzenjägertum, die Vernachlässigung, die seine sechs Kinder und drei Ehefrauen in Kauf nehmen mussten, sind schwer fassbar. Selbst jenes Buch, welches sich die Aufdeckung der Abgründe hinter dem Monument zur Aufgabe gestellt hatte, David James Smiths Biografie «Young Mandela», tut sich schwer damit. Zwar wird in Smiths Buch ein Mandela sichtbar, dem es leichter fällt, den Fremden gegenüber Herzlichkeit zu zeigen als seinem eigenen Sohn Makgatho, der dem Alkoholismus verfällt und 2005 an Aids stirbt. Doch die Bewunderung des Autors bleibt spürbar, und die Gründlichkeit, mit der jedes noch so kleine Vergehen Mandelas ans Licht gezehrt wird, hat etwas Angestrengtes. Raubtierhafter Jungpolitiker mit Vorliebe für schnelle Autos Immerhin muss William Nicholson, Drehbuchautor des neusten Mandela-Films, der in Südafrika bereits ein Kassenhit ist und auch bei uns bald in die Kinos kommt, Smiths Buch genau gelesen haben. Obwohl «Long Walk to Freedom» eigentlich auf der gleichnamigen Autobiografie Mandelas basiert, enthält der Film auch Elemente des echten Jung-Mandela: ein raubtierhafter Jungpolitiker, der schicke Anzüge und schnelle Autos liebt und dem kaum eine Dame in der pulsierenden Metropole Johannesburg widerstehen konnte. Noch 2007 bezeichnete Nicholson, der zehn Jahre lang am Drehbuch zu «Long Walk to Freedom» sass, seinen künftigen Film-Mandela in einem Interview als eine «Einmann-Gefahrenzone». Er würde alle Menschen, die ihm nahe kamen, unwillentlich zerstören, sagte Nicholson, darunter auch seine beiden ersten Frauen Evelyn und Winnie. Im Film, dessen Londoner Premiere auf eine schicksalshafte Weise mit der Nachricht über das Ableben des grossen Mannes zusammenfiel, strahlt Mandelas Stern weit weniger getrübt, als diese Ankündigungen vermuten liessen. Der von Harvey Weinsteins mächtiger Produktionsfirma verantwortete Film ist ein sicherer Oscar-Kandidat. Das hat mit der Qualität des Films nicht einmal so viel zu tun. Sondern ist eine weitere Verbeugung der Welt vor einem Staatsmann, der mit schierer Willenskraft die Geschichte in eine bessere Richtung lenken konnte. Publiziert in der Sonntagszeitung am 08.12.2013 About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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House of Cards

House of Cards Ewa Hess | 29. November 2013 – 09:02 vergingen wie im Flug, und dann konnte ich sofort die nächsten 50 anfangen. Meine zwei Tage mit «House of Cards» und der kurze Text dazu, erschienen in der SonntagsZeitung am 17.11.2013 Zähflüssiges Gift Er gab dem Geld den Vorzug über die Macht. Ein Fehler, den in dieser Stadt fast jeder macht. Dabei ist Geld wie eine geschmacklose Villa in Florida – nach zehn Jahren reparaturbedürftig. Die Macht dagegen ist wie eine steinerne Burg, die Jahrhunderte überdauert. Jemanden, der diesen Unterschied nicht versteht, kann ich nicht achten. Ich? Nein, diese eines Machiavelli würdige Ansprache stammt nicht von mir. Beau Willimon schrieb sie für die amerikanische TV-Serie «House of Cards». Und dann legte sie der Regisseur David Fincher dem Schauspieler Kevin Spacey in den Mund. Dieser sondert jedes Wort in kalter Verbissenheit ab, wie zähflüssiges Gift. Als ein übergangener Politiker, dessen Ränkespiele im Weissen Haus andere Menschen ihre Karrieren, ihre Gesundheit und Selbstachtung kosten, ist Spacey der Liebling der Saison. Mitten in seinem kalt berechnenden Tun dreht er den Kopf, schaut dem Publikum vor dem Bildschirm tief in die Augen und erklärt die Welt. Seine Welt. Eine ohne Gnade. Das ist wie Shakespeare, aber auch wie Brecht: grosses moralisches Theater. Nur, dass es Fernsehen ist. Oder nicht mal das. Denn Netflix, der Produzent von «House of Cards», ist eine Online-Videothek. Lange Jahre war Netflix in den USA das leicht verachtete Portal, auf dem man DVDs bestellte und alte Fernsehserien schaute. Doch dann verlangte Netflix Gebühr. Man musste plötzlich Abos haben, eins für die Miete und eins fürs Online-Schauen. Die Kunden kündigten in Scharen. Da ging Netflix ein Lichtchen auf. 100 Millionen Dollar soll Netflix die Produktion von «House of Cards» gekostet haben. Ein Klacks, verglichen mit den Werbekosten im amerikanischen Riesenland. Das Prädikat «genial» verdiente sowieso nicht die Produktion an sich. Sondern die Tatsache, dass man sie gratis ins Netz stellte. Und zwar alle Folgen aufs Mal. Diesem Gift kann man schlicht nicht widerstehen. 50 Minuten vergehen wie im Flug, und dann fangen schon die nächsten 50 an, Kevin Spacey hat gerade den Gouverneur von Pennsylvania aufgestellt, noch 50 Minuten und man kann sehen, wie dieser vor die Hunde geht. Jedenfalls, Netflix konnte seine Kunden alle wieder anfixen. Und verkauft jetzt die Serie an Fernsehstationen. Denn etwas hat Kevin Spacey vergessen zu erwähnen: Hat man erst die Macht über die Menschen erlangt, kommt das Geld hinterhergerannt. «House of Cards» am Montag 23.45 auf SRF 2. Netflix ist in der Schweiz übrigens bis jetzt offiziell nicht verfügbar About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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