Kunst

Keanu liest Gauguin

Keanu liest Gauguin Ewa Hess | 24. April 2015 – 11:15 Anlässlich der Paul-Gauguin-Ausstellung der Fondation Beyeler liest der Schauspieler Keanu Reeves aus dem Tahiti-Tagebuch «Noa Noa». Dabei ist seine Begeisterung für das Werk des Malers ziemlich neu. Keanu Reeves kommt nach Basel mit einer Mission: Er möchte – als Teil-Polynesier – dem Publikum die Augen für den grossen französischen Malerei-Erneuerer Gauguin öffnen. Mit dem «Matrix»- und «Speed»-Star sprachen wir im Wintergarten der Fondation Beyeler am Vortag seines Auftritts. Keanu Reeves, Sie lesen aus Gauguins poetischem Tahiti-Tagebuch «Noa Noa». Nach welchen Kriterien wählten Sie den Text?Am liebsten würde ich den ganzen Text vorlesen, doch dafür reicht die Zeit nicht. Ich lese aus jedem Kapitel eine Passage und erzähle Persönliches dazu. Woher kommt Ihr Engagement für das Werk Gauguins? Das ist ganz neu. Bisher kannte ich Gauguin nur dank Anthony Quinn. Sie spielen auf den Film «Lust For Life» an, einen Klassiker von Vincente Minelli aus dem Jahr 1956? Ja. Kirk Douglas spielt darin Van Gogh und Anthony Quinn Gauguin. Er spielt ihn grossartig. Doch jetzt, da ich die Biografie Gauguins besser kenne, stelle ich fest, dass mir eigentlich damals vor allem Quinns Schauspielkunst gefiel. Und jetzt? Natürlich kannte ich einige Gauguin-Werke auch früher – die, die jeder kennt. Aber nachdem ich Sam Keller zugesagt hatte, begann ich Gauguin zu lesen – seine Briefe und Aufzeichnungen. Er ist ein sehr suggestiver Schreiber. Mir kam es plötzlich so vor, als ob ich mit einem lebenden Künstler in eine Diskussion verwickelt würde. Auch Sie betätigen sich als Schriftsteller, kommt daher Ihr Interesse? Sie meinen die «Ode an das Glück»? Ja, Ihre poetische Auseinandersetzung mit dem gauguinschen Thema. Ich kann mich nicht mit Gauguin vergleichen. Aber ja, in meinem Buch geht es darum, wie man das Glück wiederfinden kann nach einer dunkleren Zeit. Jeder kennt eine solche von Zeit zu Zeit. Gauguin hatte solche sogar in seinem selbst gewählten Paradies. Die gängige Meinung ist, dass er das Paradies auch malte. Erst wenn man diese Bilder wirklich anschaut, merkt man, dass das nicht stimmt. Nein? Wie interpretieren Sie sie also? Er verführt den Zuschauer mit einem Versprechen des Paradieses, das stimmt. Gauguin war ein grosser Verführer. Aber am Ende konfrontiert er uns immer mit der Erkenntnis, dass das Leben ebenso bitter wie süss ist und dass es prekär bleibt, wer wir sind und wie wir sind. Dass es also, im Gegenteil, ein Paradies gar nicht gibt. Ist Gauguin darin ehrlicher als andere Maler? Hier in der Beyeler-Sammlung hat man gute Vergleichsmöglichkeiten. Und ich merkte gestern bei einem Rundgang, dass viele grosse Maler auf diese Weise ehrlich sind. Ich empfinde Gauguin aber in dieser Beziehung als besonders angriffig. Seine Bilder fordern einen fast physisch heraus, die Emotionen sind so stark! Er springt in unsere Augen, zwingt uns, ihn zu verstehen, ihn nicht zu verurteilen. Mir kommt es fast so vor, als ob seine Bilder den Blick des Zuschauers auf ihn selbst zurückwerfen würden. Es klingt fast, als ob Sie mit ihm verwandt wären … Könnte es sein? Man sagt, dass in Polynesien ganze Inseln mit seinen Ururenkeln bevölkert sind. Na hören Sie, ein Teil der Familie meines Vaters kommt aus Hawaii, das ist sehr, sehr weit weg von Tahiti und den Marquesas. Aber sind wir nicht alle Gauguins Kinder? Wie stark ist Ihre Verbindung zu der polynesischen Kultur? Ich habe meine Cousins auf Hawaii schon als Kind besucht. Doch Hawaii ist stark amerikanisch, sozusagen kolonisiert. Ich merkte aber, wie teuer den Menschen die Reste der ursprünglichen Kultur sind, wie sehr sie sich daran halten. Die Art, wie Gauguin selbst mit der Bevölkerung Tahitis umging, wurde von der feministischen Sicht kritisiert. Nehmen Sie ihm das als Teil-Polynesier nicht übel? Ich habe davon gelesen, dass ihn manche Menschen als Sextouristen, ja sogar als Pädophilen sehen, da einige seiner Frauen, etwa die erste, nur 13 Jahre alt waren. Und ich muss zugeben, dass die Art, wie er diese Zustände beschreibt, nicht etwa entschuldigend ist. Es gibt nur ihn und seine Malkunst, die Familie, andere bedeuteten ihn wenig. Immerhin findet er oft sanfte, poetische Worte, um die Frauen der Inseln zu beschreiben. Diese Zärtlichkeit spiegelt sich auch in den Gemälden. Sammeln Sie selber auch Kunst? Nein, ich kann mir meinen Geschmack nicht leisten. Oh, das klingt, als ob Sie am liebsten das «Nafea»-Bild Gauguins kaufen würden, das gerade für angeblich 300 Millionen den Besitzer gewechselt hat und zum letzten Mal in Basel zu sehen ist. Ja, sehen Sie? Das könnte ich mir nicht leisten. Aber Gott sei Dank gibt es Museen. Grosse Kunst sollte allen zugänglich sein. About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Kentridge und die «Nase»

Kentridge und die «Nase» Ewa Hess | 12. Juni 2015 – 11:27 Eine der Folgen der südafrikanischen Apartheid war die kurz nach dem Fall des Regimes eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission. Die von Nelson Mandela erfundene und von Desmond Tutu präsidierte Para-Behörde ermutigte die Verbrecher aus der dunklen Zeit der Rassentrennung dazu, ihre Untaten vor Zuhörern zu bereuen. Damit hatte es sich auch. Die öffentliche Beschämung und Reue, so die Prämisse, sollte eine juristisch verhängte Strafe durch eine gesellschaftlich konstruktivere Praxis ersetzen. An diese interessante, aber auch seltsam ambivalente gesellschaftliche Einrichtung muss man beim Anblick von William Kentridges Werken oft denken. Öffentliche Beschämung statt Strafe ist am Ende vielleicht auch kein besonders humanes Konzept; die Farce eines lärmigen Bauerngerichts, bei dem die Schuld verhandelt, aber nicht wirklich gefunden wird, steht oft im Hintergrund der Filme und Werke des 61-jährigen Künstlers. Auch jetzt, im Haus Konstruktiv, in dem der südafrikanische Künstlerstar seine von der russischen Avantgarde inspirierten grossartigen Videos zeigt. Ein Schritt in den Erdgeschosssaal, und schon ist man mitten in der schrillen Kentridge-Welt: groteske Figuren, absurde Rituale und – Musik! Hereinspaziert, meine Damen und Herren, Musik! Mit komödiantisch verbrämter Verzweiflung zappeln hier Pferde, Menschen und Nasen, sie steigen auf Leitern, bilden Prozessionen, tanzen Kasatschok oder klagen einander mit Zitaten aus stalinistischen Schauprozessen der 30er-Jahre an. Die ganze Suite von acht nur wenige Minuten langen Filmstücken läuft simultan und trägt den rätselhaften Titel «I am not me, the horse is not mine», was die ins Englische übersetzte russische Entsprechung von «Mein Name ist Hase» ist, also eine Formel, die jede Schuld weit von sich weist. Spätestens nach der Klärung der Redewendung wird klar, was William Kentridge an Schostakowitschs Oper «Die Nase» – und an der ihr zugrunde liegenden Erzählung Nikolai Gogols – fasziniert haben mag: das südafrikanische Thema der sich diffus in alle Lebensbereiche einschleichenden Schuld. Repetieren, variieren Es war Kentridge, der auf die Anfrage der New Yorker Metropolitan Opera 2006 die skurrile «Nase» vorschlug. Die Premiere fand 2009 statt, auf einer virtuos von Kentridge eingerichteten Bühne. In den drei Jahren dazwischen entstanden unzählige Werke, in welchen der Künstler sich das Thema, wie das seine Gewohnheit ist, repetierend, variierend und verfremdend aneignete. So entstanden Radierungen, Zeichnungen, Collagen, Skulpturen, ja sogar Teppiche – alles im Haus Konstruktiv zu sehen, – und überall geistert die ominöse Nase des Petersburger Kollegien-Assessors Kowaljow herum. Was hat es mit dieser Nase auf sich? Der russische Schriftsteller Nikolai Gogol (1809–1852), realistischer Vorläufer des Surrealismus, erzählt in seiner rätselhaften Novelle die abstrusen Erlebnisse des Petersburger Beamten, der eines Tages ohne Nase aufwacht. Es stellt sich heraus, dass der unsubordinierte Körperteil sich in eine höhere Stellung als sein Besitzer hineinzumogeln vermochte. Unangenehm: Kowaljow begegnet seiner eigenen Nase in der Kirche; zu seinem Entsetzen trägt sie die funkelnde Uniform eines Staatsrats. 100 Jahre nach Erscheinen der Novelle wendet sich der erst 24-jährige Dmitri Schostakowitsch der Burleske zu. Man schreibt das Jahr 1930, das starre Beamtensystem des alten Russlands ist Geschichte, doch der junge Sowjetstaat erlebt den Aufstieg einer neuen, ebenso dumpf machtgierigen Klasse, die der Parteifunktionäre. Diese neuen Kleinbürger, von den avantgardistischen Höhenflügen des Jahrhundertanfangs bereits Lichtjahre weit entfernt, sahen in der Musik Schostakowitschs lediglich «Wirrwarr». Ähnlich verdächtig erschien ihnen die Farce von Gogol – kein Wunder. Sie mussten sich in dem Wettstreit um Macht und Einfluss, den Kowaljow mit seiner Nase ausficht, diffus veräppelt vorkommen. Die Oper verschwand nach ihrer Uraufführung 33 Jahre lang in der Ver­senkung, wird seither aber oft aufgeführt. Der Kuratorin Sabine Schaschl ist es nun gelungen, den ganzen Reichtum von Kentridges Auseinandersetzung mit der «Nase» nach Zürich zu holen. Da die Schau einen thematischen Schwerpunkt hat, ist es keine klassische Retrospektive, was ihr keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, konzentriert und unterhaltsam bekommt man die Vielseitigkeit des Künstlers vorgeführt, der in den meisten der gängigen Rankings unter den wichtigsten zehn weltweit gelistet wird. Der Sohn eines jüdischen Juristenpaars (das sich während der Apartheid auf die Verteidigung von Menschen dunkler Hautfarbe spezialisiert hatte) ist in den 90er-Jahren mit dem Vermischen von Kunst, Film und Theater bekannt geworden. Seine Trickfilme, für die er in archaisch anmutender Stop-Motion-Technik Zeichnungen und Puppen animiert, wurden auf der Documenta, an der Biennale, in New York, Paris, London gezeigt. Zurzeit wird seine Inszenierung von Alban Bergs «Lulu» in Amsterdam gespielt. Die furiose Schau um «seine Majestät die Nase», wie es Kentridge in einem seiner Werke ausdrückt, bringt sein künstlerisches Universum endlich in die Schweiz. Veröffentlicht am 9. Juni im Tages Anzeiger. About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Biennale als Orakel

Biennale als Orakel Ewa Hess | 10. Mai 2015 – 10:25 Ich lese der Biennale aus der Hand! Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor stellt seine Hauptausstellung unter den Titel «All the World’s Futures» – 139 Künstlerinnen und Künstler leisten einen Beitrag zu den «Zukünften dieser Welt». Wir nehmen den Titel beim Wort und interpretieren die gezeigte Kunst als eine konkrete Prognose der gesellschaftlichen Zukunft. These 1. Das Kapital Es regiert unseren Planeten. Nirgends könnte das augenfälliger sein als an einer Weltversammlung der gut betuchten Kunstwelt. Die riesigen Jachten in der Lagune, die Champagnerkisten für die Empfänge in den Palazzi entlang des Canal Grande, die teuren Hotels Bauer und Cipriani zum Bersten voll, all das zeugt von der Weltherrschaft durch vermögende Eliten. Dieser verwöhnten Clique liest der aus Nigeria stammende künstlerische Leiter in seinem zentralen Ausstellungspavillon in den Giardini die Leviten, ähm, nein, er lässt ihnen «Das Kapital» von Karl Marx vorlesen. Und zwar integral. Über die gesamten sieben Monate der Biennale-Laufzeit, die ganze «Kritik der politischen Ökonomie», Produktionsprozess, Zirkulationsprozess, Gesamtprozess.Okwui Enwezor meint das ernst – Marx’ Analyse der herrschenden Verhältnisse gilt im Wesentlichen nach wie vor. Die techno- und pharmakologisch aufmunitionierte Wirtschaft macht sich die menschlichen Ressourcen mehr denn je untertan. Enwezor, ganz der optimistische Pädagoge, hat für die Lesung ein riesiges Auditorium mitten im Ausstellungsrummel bauen lassen – doch die zu unterrichtenden Massen bleiben aus. In den anderen Ausstellungssälen stehen sich die vielen Besucherinnen auf ihre Louboutins – die rote «Arena» bleibt eine tote Insel der wirkungslosen Ermahnung. Prognose: Marxlesung hin oder her – das Kapital ist und bleibt König, in der Kunst und auch sonst überall. These 2. Die Hoffnung Am stärksten tritt sie im ukrainischen Pavillon zu Tage: Der heisst «Hope»! Hoffnung worauf? Auf eine unabhängige Ukraina, erklärt der Pavillonkurator. Das Häuschen Ukrainas ist ganz aus Glas. Es steht nicht in den Giardini, sondern an der Uferpromenade zwischen San Marco und der Biennale. Transparent, frei, friedlich soll es wirken. Viele der hier ausgestellten Werke sprechen aber von Unterdrückung, Krieg, Hass. Trümmer der Autos, zu einer Skulptur zusammengeballt, Bilder aus der russischen «verbotenen Zone». Der Glaspavillon erweckt daher eine andere Assoziation als die gewünschte: Er wirkt fragil. Prognose: Dieser Konflikt wird noch lange der Hoffnung trotzen. These 3. Die Versöhnung Für die armenische Präsentation auf der Insel San Lazzaro hat die Schweizer Kuratorin mit armenischen Wurzeln, Adelina von Fürstenberg-Cüber­yan, auch einen Türken eingeladen. Der Künstler Sarkis, der sein Land Türkei an der Biennale ebenfalls repräsentiert, folgte ihrem Ruf, und die armenische Diaspora, um die es in der Ausstellung geht, protestiert nicht vor der Insel. Doch der Wunder nicht genug: Indien und Pakistan, seit Jahrzehnten im Bruderzwist um Territorialansprüche gefangen, treten gemeinsam in einem Pavillon auf. «My East is Your West», heisst der Auftritt, was nicht nur geografisch Sinn macht. Prognose: Der Mensch kann seine alten Ressentiments überwinden. Wenn das keine gute Nachricht ist? These 4. Die Bäume Die stehen stellvertretend für die Natur. Im französischen Pavillon bewegen sie langsam die Wurzeln (inszeniert vom Künstler Céleste Boursier-Mougenot), im finnischen Pavillon beschwört das Künstlerkollektiv IC-98 das «grüne Gold» der nordischen Wälder. Prognose: Die ist schlecht. Und zwar für die Natur. Menschen lieben Bäume, vor allem aber, wenn sie mit ihnen machen können, was ihnen passt. These 5. Die Lebensmitte An den Biennalen zeigen die Kuratoren gern künstlerisches Frischfleisch. Oder aber entdecken die ganz Alten (wieder). An dieser Biennale sind erstaunlich viele Künstler in der Mitte ihrer Karriere vertreten: etwa der deutsche Olaf Nicolai, 53, die Engländerin Sarah Lucas, 52, ihr Landsmann Chris Ofili, 46, der Türke Kutlug Ataman, 54. Prognose: Bis zum Greisen­alter auf Jung machen ist vorbei. Der Lebenszyklus darf gleichmässig ablaufen. These 6. Der Brainpower Trifft man jüngere Künstler in den Pavillons, staunt man über ihr flinkes ­Denken. Das beste Beispiel: die Schweizerin Pamela Rosenkranz. Das vielschichtige Bezugssystem ihres Werks hat mit Neurowissenschaft, Genetik, Biochemie zu tun. Ihre blubbernde rosa Masse «Our Product», die den Schweizer Pavillon füllt, ist nicht nur wunderschön, das Werk regt auch zum Denken an. Oder der Rumäne Adrian Ghenie, auch 35, der sich mit seiner eindrücklichen Malerei mit Darwins Theorien auseinandersetzt. Prognose: Nach Jahren des hedonistischen Bling-Bling wird nun die Intellektualität Trumpf. 7. Die «Singularity» Was ist denn das? Mit diesem Wort bezeichnen die Technologie-Theoretiker den Moment, in dem die künstliche Intelligenz die natürliche (sprich menschliche) überholen wird. Das erklärt die katalanische Kuratorin Chus Martinez, die seit kurzem die Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst leitet. In der SF-Literatur wird dieser Moment als der des grossen Schreckens inszeniert: Die Computer und Roboter gehen dem Menschen ans Eingemachte. Ganz falsch, lernen wir nun im katalanischen Pavillon, den Martinez als Kuratorin gemeinsam mit dem u. a. auch in Locarno ausgezeichneten Filmemacher Albert Serra bespielt. Um zu zeigen, wie angenehm eine solche Fusion sein kann, erinnern die Katalanen an die Geschichte des Kinos – und zeigen die Kinematografie als eine bereits domestizierte maschinelle Erweiterung des menschlichen Hirns. Die mit Handy und Internet aufgewachsene Generation sehnt sich offensichtlich nach der Verschmelzung mit der Maschine. Davon spricht auch die Installation im deutschen Pavillon, wo die Künstlerin Hito Steyerl die Besucher ins Innere ­einer durchaus freundlichen Matrix versetzt. Prognose: Seid umschlungen, Brüder und Schwestern Maschinen! 8. Das Kollektiv Die künstlerische Individualität, im romantischen Konzept des Malergenies scheinbar für ewig in die Hirne eingebrannt, weicht dem Idealbild des Kollektivkünstlers. Duos, Trios und ganze Gruppen von schöpferisch tätigen Menschen bestimmen in gemeinsamer Anstrengung zunehmend die Szene. Das indische Raqs Media Collective etwa dominiert die Aussenräume der Giardini. Die drei Künstlerinnen und Künstler schmücken die Alleen mit ihrem «Coronation Park», einer Serie grosser Skulpturen aus Fiberglas. Geistliche und militärische Autoritätsfiguren thronen hoch auf ihren weissen Sockeln, auch wenn ihr historisches Bröckeln schon weit fortgeschritten zu sein scheint. Auch der kanadische Pavillon wird von einem Kollektiv bespielt, das sich BGL nennt. Beim Anblick der ausufernden – und für einmal sehr heiteren – Installation wird es einem augenblicklich klar, weshalb sechs Hände hier erfolgreicher waren als zwei. Die norwegische Vertreterin Camille Norment, die ihrer Glasharfe die wundersamsten Töne entlockt, lädt die anwesenden Künstler

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Prost Dieter Roth

Prost Dieter Roth Ewa Hess | 1. Mai 2015 – 10:58 Trinken musste sein. Da duldete Dieter Roth keine Kompromisse. Auch sonst neigte der 1998 verstorbene Schweizer Künstler wenig zu Diplomatie. Eine Bar, die musste einfach her. So versprach ihm der Galerist Iwan Wirth im Frühling 1997, dass es während der ersten Schau des Kunststars in seiner Galerie zu trinken geben würde. Der damals erst seit einem Jahr existierende Zürcher Kunstkomplex Löwenbräu, in dem die Galerie situiert war, kam Roth nämlich viel zu zwinglianisch vor: weisse Wände und nirgends ein Glas. Und so kam es, dass gleich um die Ecke des Löwenbräu, an der Fabrikstrasse 21, die erste der Bars entstand, die im Werk des berühmten Schweizer Kunstberserkers bis heute eine besondere Rolle spielen. An diese legendäre Fabrikstrassen-Bar erinnern sich viele Akteure jener Zeit, die als die Geburtsstunde des Zürcher Kunstwunders gilt. Junge Künstler wie Urs Fischer standen hinter dem Tresen, und jede Bierflasche, die rübergeschoben wurde, jede Unterhaltung war Kunst, wurde aufgenommen und archiviert. «Ich glaube nicht daran, dass die Askese irgendjemandem guttut, ausser dass sie einen Triumph darstellt – derer, die sie üben», pflegte Roth zu sagen. Die Lebensfülle, mit allem, was dazu gehört, mit Freude und Verzweiflung, mit Sex und Verwesung, war der Gegenstand seiner einzigartigen, wegweisenden Kunst. Er hat Schimmel, Kot und auch Mayonnaise in seine Werke eingelassen, er schrieb Scheisse-Gedichte und gab Literaturwurst heraus. Das Atelier und die Bar wurden in Roths Universum zum Symbol der zwei antiken Lebenspole – der apollinischen Inspiration und des dionysischen Rauschs. 17 Jahre nach Dieter Roths Tod ist Zürich zwar schicker und polyglotter geworden, dem Löwenbräu wurden gentrifizierte Manieren beigebracht – doch die Kunst an der Limmatstrasse 270 sitzt nach wie vor auf dem Trockenen: weit und breit keine Bar. «Anstatt den guten alten Zeiten nachzuweinen», sagt der neue Hauser-&-Wirth-Direktor James Koch, «baten wir Björn und Oddur, uns die Economy-Bar in die Galerieräume einzubauen». Dieter Roths Sohn Björn hat schon immer mit dem Vater zusammengearbeitet, hat sein Werk beeinflusst und wurde davon selbst geformt. Für Dieter Roth, der sich zeitlebens als Aussenseiter aller Kunstszenen sah, waren Familienmitglieder und Freunde alles. Seit seinem Tod führen Björn – und auch dessen Sohn, Oddur, das Werk des Vaters und des Grossvaters fort. «Nein, wir führen es nicht fort», präzisiert Björn, «es ist das gleiche Werk.» Die beiden grossgewachsenen Roths hantieren in der Galerie mit Ölbohrrohren und riesigen Blöcken Schwemmholz. Die Roth’sche Economy-Bar (so genannt, weil es da hin und wieder free drinks gibt), ist ein wildes Durcheinander von Alltagsgegenständen und anderem Sammelgut wie Monitore, Modellautos oder Hafenpoller. Nichts für feine Pinkel, könnte man meinen. Doch als die Bar vor einem Jahr in Mailand in Betrieb war, drängte das Volk in feinem Prada- und Armani-Tuch scharenweise an den Tresen. In Zürich wird die Bar bis Ende Mai professionell betrieben. Es gibt Performances, Musik, Wort und Kunst. Dieter Roth sendet Grüsse – und an der Eröffnung auch free drinks für jedermann. «Roths Bar & Studio», Hauser & Wirth Zürich, bis 29.5. Opening Party am Freitag 27.3., ab 18 Uhr. Bar-Öffnungszeiten: Do., Fr., Sa., jeweils ab 18 Uhr bis spät nachts About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » One Response to Prost Dieter Roth Pet Liberty Rudin says:3. September 2016 at 10:43Eine tolle Schreiberin, die Ewa Hess, fehlte nur noch dass „E“ und es würde eine spannende Belletristin aus ihr ! Gute und spannende Fragen vorbereitet ! Ich lese diese Berichte sehr gerne ! Irgendwann werden wir uns auch begegnen, über den Weg laufen, Dann werden wir über „Appollo“ in der „Wshren Kunst“ – ein vergessenes Wort – und den aktuell trium-phierenden „Dyonisos“ in einer hedonistischen, existenzialistischen, nihilistischen, utilitaristischen, mammonitisch dominierten und pervertierten (Kunst-)Welt sprechen ! Die ernst zu nehmende ratio-dominierte „Zeitgenössi-sche KUNST“ ist nur noch zur provokativen AB-BILDUNG gesellschaftlicher Miss-/Zuständestände geworden ! „Botschaften“ für eine „Neue Welt“ fehlen !„Akademisierung ist Mediocrisierung“ ! Von banaler, alltäglicher „Event- und JeKaMi-Kunst“ mit bestenfalls „Schein-Innovationen“ und philosophischen Frag-menten – meist im Namen Mammons – muss man sprechen ! KOMMERZ tötet KUNST“, hiess die Losung „Wahren Kunst“ mal ! Kein GEIST mehr, vor dem man sich verneigen könnte, keine „Weiter- und Höherentwicklung“ auf dem „Kunstevolutinsbaumes“ gleich einer Spirale, stets eine Stufe höher über der darunterliegenden ! Alles endet auf Seitenästen in Sackgassen !Die Meister der „Klassischen Moderne“ lassen grüssen ! @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Blumige «Frieze»

Blumige «Frieze» Ewa Hess | 21. Oktober 2013 – 18:46 An der Frieze in London sieht man zurzeit sehr viele zeitgenössische Maler mit klassischen Blumenbildern vertreten, wie hier John Currin mit „Rosebush“ am Stand von Sadie Coles Gallery (London) oder Elizabeth Peytons „Untitled(Les 3 Graces)“ bei Chantal Crousel Gallery (Paris). Lustig, gerade zum Thema der Blumenbilder schrieb ich in der letzten Nummer der Zeitschrift „Du“ meine Kolumne „Expecting Art“. (Es ist übrigens eine ganz tolle Du-Nummer, die von Maurizio Cattelan mitgestaltet wurde.) Hier der Text: Blumen und Pilze „Expecting Art“ von Ewa Hess Die Filmregisseurin Bettina Oberli erkennt einen vierblättrigen Klee mitten in einer Wiese sofort. Die überzählig ausgestatteten Kleepflanzen erscheinen ihr wie Blinksignale inmitten des homogenen Grüns. Das hat sie meinem Kollegen erzählt – er traf sie für ein Interview auf einer Wiese. Das von ihr enttarnte Kleeblatt brachte Matthias auf die Redaktion mit – es hatte tatsächlich ein Blättchen zu viel. Es handle sich dabei, erklärte man mir später, um eine leicht autistische Deviation. Um einen Blick, dem eine Unregelmässisgkeit so ungeheur vorkommt, dass sie wie ein Sandkorn in der Auster – physisch – stört. Eigentlich müsste man annehmen, dass ein so gearteter Blick eine notwendige Voraussetzung für alles Künstlerische sein müsste. Ich stelle es mir allerdings so vor, dass ein grosser Künstler die Unregelmässigkeit, das spezifisch Ungeheuerliche, auch in einem dreiblättrigen Klee erkennen kann. Gerade der Blick auf die ansonsten unverdächtige Flora offenbart oft eine visionäre Dimension. Visionär klingt dabei entschieden freundlicher als autistisch – und schliesslich hängt das eine mit dem anderen irgendwie zusammen. Das weiss man nicht nur aus dem Studium von Biographien grosser Forscher (aber auch daraus). Die modernsten der modernen Künstler wurden beim Anblick von Blumen schwach. Und zeigten gerade in der Darstellung ihrer Lieblichkeit, die leicht Gefahr laufen könnte, dem Trivialen zugeordnet zu werden, das ganz Besondere ihres Blicks auf die Welt. Von Piet Mondrian über Andy Warhol bis Robert Mapplethorpe und Fischli/Weiss: Blumen. So weit das Auge reicht. Edouard Manet behauptete einst, dass «die Früchte, die Blumen und die Wolken» alles seien, was ein wirklicher Maler brauche, um alles auszudrücken, was es für ihn auszudrücken gebe. Das stimmte zwar nicht einmal für sein eigenes Werk – l’herbe wäre ohne die verschieden vollständig angezogenen Menschen darauf nicht zu diesem Grundstein der modernen Kunst geworden, als welches das Gemälde heute unverrückbar gilt. Doch für einen modernen Künstler ist es auf jeden Fall ein Akt des vorwitzigen Trotzes, der Askese-Erwartung, die ihm ja meistens gilt, mit Blümchen, Zweigchen und Blättchen ein Schnippchen zu schlagen. Warhol etwa schickte seine Blumen nach Paris, um Europa eins auszuwischen. Es war zwar nicht seine allererste europäische Ausstellung, wie Bob Colacello in seinem Buch «Holy Terror» kolportiert, sondern die zweite in der Pariser Galerie von Ileana Sonnabend. Für die allererste Schau bei Sonnabend, die 1964 stattfand und tatsächlich seine erste in Europa war, schickte Warhol «hard stuff», also Bilder aus der Serie «Death and Disaster», die zu seinen am wenigsten zugänglichen und künstlerisch raffiniertesten gehören. Die zweite Pariser Schau, im Mai 1965, blieb aber im Gedächtnis der Zeitzeugen besser haften. Vielleicht weil Warhol an der Eröffnung seinen Rückzug von der Kunst ankündigte (er wollte damals gerade hauptsächlich Filmer werden, ein Entschluss, an den er sich später bekanntlich nicht gehalten hatte). Oder aber weil er in seinen 1980 gemeinsam mit Pat Hackett herausgegebenen Tagebüchern «Popism» von dieser zweiten Ausstellung erzählt. Demnach war sogar die ausbleibende Reaktion auf die erste Ausstellung für die Wahl der Werke für die zweite ausschlggebend: «In Frankreich interessierte man sich damals nicht für neue Kunstrichtungen», schrieb Warhol, «das brachte mich zu dem Entschluss, ihnen nur die Flowers zu schicken; ich dachte mir, das würde ihnen gefallen». Das tat es tatsächlich auch. Dabei gilt die Blume in der klassischen Sprache der Malerei als Sinnbild sterblicher Zerbrechlichkeit und auch wenn bei Warhols stilisierten roten und blauen Knallern die Raupen und die Käfer fehlen, die bei den Holländern das baldige Vergehen der üppigen Pracht anzeigten, so haftet seinen monumentalen Flowers durchaus auch eine Aura von Verletzlichkeit und Nostalgie an. Nicht ohne Grund kam er erst nach den Autounfällen auf das Motiv der Allerweltsblume – als eines gut getarnten Schlags ins Gesicht des deftigen Lebens. Noch mysteriöser geht es mit der Blume dem Maler Piet Mondrian. Mondrian, also jenem Maler, dessen Name mit der Vorstellung eines abstrakten Rasters schwarzer Linien mit roten, gelben oder blauen Farbfeldern untrennbar verbunden ist. Er wollte zur «reinen Gestaltung» vordringen und schwor den «launenhaften Naturerscheinung» ab. Es wird von ihm berichtet, dass er Bäume hasste und dass er sich in den Häusern immer so plazierte, dass er das Laub vor dem Fenster nicht sehen musste. Er malte aber Blumen – meist einzelne, selten Sträusse. Sein bekanntestes Blumenbild ist vielleicht die Chrysantheme im Guggenheim – die mit ihrem Gewirr an expressiv gebogenen schmalen Blütenblättern an einen van Gogh erinnert. Doch es gibt noch die anderen – Lilien im zarten Pastell. Amaryllis! Iris! Mondrian selber behauptete, Blumen nur als Brotzustupf zu malen. Die verkauften sich nun mal besser. Aber er malte sie noch lang nach dem Eintritt in die abstrakte Phase und auch wenn die Meinung über die Qualität seiner Blumenaquarelle auseinander gehen, für mich stimmt die Behauptung des amerikansichen Dichters Joel Shapiro, der einst schrieb, niemand, der Mondrians Blumen kenne, könne ihrem Charme widerstehen. Die geistige Disziplin, welche Mondrians Suche nach dem Absoluten verlangte, brauchte vielleicht doch ein künstlerisches Ventil. Sieht man darum diesen Lilien so gar keine Geometrie an? Sie sind ganz zarte Schönheit. Kitsch? Und da kommen unsere Schweizer Helden Fischli/Weiss ins Spiel. Die mit ihrer Serie «Blumen» ein für alle Male dem Kitschvorwurf der Blumenamalerei auf der Nase tanzten. Ihre überblendeten Photographien der lebendigen, ungeordneten, von Ameisen, Schnecken und Schmetterlingen angeknabberten Natur sind auf ihre Weise die unverschämteste Annäherung an das Sujet – bis heute noch. Die Arbeit stammt aus dem Jahr 1997/1998 und die Künstler entschieden sich, in der ihnen gewidmeten Ausstellung im Musée d’art moderne de la ville de Paris (eine Anspielung an Warhol?) 1998 nur diese Projektionen zu zeigen

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Pilets Affen

Pilets Affen Ewa Hess | 16. Februar 2014 – 19:40 Ich traf den Lausanner Künstler Guillaume Pilet und die Kuratorin Sabine Rusterholz in den schönen Räumen des Kunsthauses Glarus. Mitten unter den Affen, und zwischen den Bildern, die Gitter zeigen, unterhielten wir uns über die Freiheit, ein Mensch zu sein. Der junge Künstler – erst 29 – hat ein beeindruckendes Universalwissen. Hier mein Text zu seiner Ausstellung, veröffentlicht am 16.2.2014 in der Sonntagszeitung. Nachhilfe im MenschseinWas macht der Affe im Museum? Er trinkt Tee. Aus feinstem Porzellan. Dabei spreizt er aber nicht den kleinen Finger ab, sondern benimmt sich ungebührlich. Er schnappt sich die Teekanne und giesst sich das bernsteinfarbene Elixier der Zivilisation direkt ins freche Mäulchen hinein. «Zoo Manners» heisst die Skulptur des Lausanners Guillaume Pilet, welche den äffischen Schabernack in gewollt grob geformter Keramik abbildet. Solche Teestunden mit Affen, sagt Pilet, ein ernsthafter junger Mann mit Bart, habe es im Londoner Zoo in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts jeden Tag gegeben. Die Krux dabei war, dass die Affen zu schnell lernten. Nach einigen Vorführungen waren die klugen Tiere bereit, die Tassen sitzend zum Mund zu heben. Das Publikum fand es aber weniger witzig, weshalb die Wärter den Primaten ihre guten Manieren wieder abtrainieren mussten. Solche Paradoxien im Verhältnis des Menschen zu seinem nächsten Verwandten sind für den Künstler ein gefundenes Fressen. Seit zwei Jahren schon lassen ihn die Affen nicht los. Er sammelt alles: von Postkarten bis zu den Schriften des amerikanischen Verhaltensforschers Harry Harlow. Einen Teil dieser Sammlung hat er in seiner Ausstellung im Kunsthaus Glarus ausgebreitet. Auf grob gezimmerten Regalen liegen die Zeugen des unentwegten menschlichen Interesses an seiner haarigen Vorstufe: Bücher der Forscherinnen Jane Goodall, Dian Fossey oder Francine Patterson, Spielzeuge in Affenform, Kassetten mit der filmischen Trilogie des «Planeten der Affen» sowie unzählige Ausgaben der Zeitschrift «National Geographic», auf deren Umschlag ein fotografierender, malender oder herzzerreissend dreinschauender Affe prangt. «Nicht ich bin von den Affen besessen», sagt Pilet, «die Menschen überhaupt sind es.» Sowohl in der Populärkultur wie in der hohen Kunst: lauter Affen. Pilets Erklärung dazu: Indem wir die Affen beobachten, erkennen wir unser eigenes Verhältnis zur Zivilisation. Darum ist es uns oft lieber, wenn wir über die tollpatschigen Vettern lachen können. Bei seiner eigenen Auseinandersetzung mit der Affenforschung geht Pilet wie ein Künstler, nicht wie ein Wissenschaftler vor: Er fantasiert sich seinen eigenen Affen. Meistens spielt diesen sein Kollege in einem Affenkostüm. Daraus entstehen Experimentalfilme wie etwa «I ape therefore I am». In diesem stellen die beiden Darsteller – Pilet als Forscher, der Kollege als Affe – die berühmten Harlow-Experimente nach. Darin werden etwa die Affenkinder verschiedenen Mutterfiguren zugeführt. Eine ist weich, die andere gibt Nahrung. Interessanterweise wählen die Affenbabys die weiche Mama. Daraus schloss damals Harlow, dass Kinder, auch menschliche, Zuneigung und Berührung der Mutter dringender noch als Nahrung brauchen. Ein Schlag ins Gesicht der in den 50er-Jahren modischen «Hygienisten», welche Kinder in aseptische Kammern sperren wollten. Lieben lernen, «Learning To Love», nennt Pilet darum seine Ausstellung in Glarus, die seine erste museale Einzelschau ist. In dem schönen kleinen Kunsthaus am Fuss des Tödi hat schon manche Künstlerkarriere begonnen: Urs Fischer stellte hier aus, auch Ugo Rondinone. Pilet ist nebst seiner Studienkollegin Claudia Comte ein herausragender Repräsentant der neuen Lausanner Künstlerszene. Diese hat sich um die Künstler John Armleder, Philippe Decrauzat und Stéphane Dafflon gebildet, die an der Lausanner Kunsthochschule als Professoren tätig sind. Bis 2016 will Pilet sein grosses Projekt «Learning From Aping» zu Ende bringen. Bis dann werden seine Affen, ob aus Keramik oder im Kostüm, der Welt noch einige höchst vergnügliche Lektionen erteilen. «Learning To Love», Kunsthaus Glarus, bis 4. Mai About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Vincents Rückkehr nach Arles

Vincents Rückkehr nach Arles Ewa Hess | 14. April 2014 – 11:01 Vincent van Gogh hat in Arles die fruchtbarsten Jahre seiner Künstlerlaufbahn verbracht. Doch er hatte wenig Freunde, die Bürger der Stadt wollten den Störefried so schnell wie möglich wegschicken. Wenn also jetzt Touristen nach Arles kommen, um auf Van Goghs Spuren zu wandeln, finden sie: nichts: Das gelbe Haus abgebrochen, das gelbe Kaffee eine Touristenfalle, und keine Werke weit und breit. Das heisst, es war bis jetzt so. Jetzt wird alles anders. Denn die neueröffnete Fondation Vincent van Gogh in Arles macht eine Rückkehr Vincents in die Stadt der starken Farbkontraste möglich. Ich war dort, habe die Bewohner und die Ermöglicher gesprochen. Hier mein Bericht. (veröffentlicht in gekürzter Form in der SonntagsZeitung am 6.4.2014) Es ist die gleiche Sonne. Damals traf sie den düster dreinblickenden Neuankömmling mitten in die Pupille. Dreizehn Monate blieb er danach in Arles. Eine Zeit, die in den Kunstgeschichtsbüchern gern mit Ausrufzeichen versehen wird: 189 Bilder! Hunderte von Zeichnungen! Ausbruch der Farbe! Warum Vincent van Gogh am 20. Februar 1888 nach Arles kam, weiss man nicht. Er wollte eigentlich nach Marseille. Warum gerade hier dem gequälten Genie der Knopf aufging, kann man auch nur vermuten. Jedenfalls, alles, was er suchte, brach hier aus ihm heraus. Manisch malte er, Bild um Bild, ohne Unterbruch. Die Sonnenblumen, das gelbe Haus, das nächtlich erleuchtete Café. Es war eine Offenbarung. Es ist die gleiche Sonne, am 26. März 2014 knallt sie wieder mit dem ganzen Ungestüm des Frühlings auf die alten Mauern des Städtchens, auf die Ruinen des Amphitheaters, leuchtet schräg in die engen Gassen. Vor dem Hôtel Léautaud de Donines hält ein schwerer Panzerwagen. Unter den Blicken der dunkel uniformierten Sicherheitsleute laden Kuriere gelbe Kisten aus. Vincent van Gogh kehrt zurück nach Arles. «Arles hat immer noch ein Van Gogh Trauma», erzählt Bice Curiger, während die Bilder, die aus Amsterdam, Paris und Zürich kommen, in den Kisten aufs Auspacken warten. Die Zürcher Kuratorin, bis vor Kurzem für die Gegenwartskunst am Kunsthaus Zürich verantwortlich, ist schon seit fast einem Jahr in der provenzalischen Stadt am Einrichten. «Die Stadt schämt sich, dass ihre Bürger damals den irren Maler einfach nur los werden wollten». Kein einziges der unerschwinglich gewordenen Bilder ist in den Familien der allzu aufrechten Bürger geblieben. Endlich kann Arles jetzt die Schande vergessen. Muss den auf den Spuren Van Goghs anreisenden Touristen nicht mehr erklären, dass es hier nichts, aber gar nichts Vangoghsches zu sehen gibt: Sein gelbes Haus abgebrochen, sein Lieblingscafé verkauft und kein einziges Bild im Museum. Dass diese Zeit nun zu Ende ist, hat Arles einem Menschen zu verdanken, der wie einst der Maler aus dem Zug stieg und blieb. Anders als Van Gogh war das kein armer Schlucker. Sondern ein Hoffmann, wie Hoffmann-La Roche. Luc Hoffmann, der Enkel des Firmengründers. Luc war das stille Kind des Pharmamagnaten Emanuel Hoffmann. Seit den Schultagen schlug sein Herz für die Natur, die Vögel. In die Camargue folgte er dem Ruf der Flamingos, deren Habitat von der Landwirtschaft bedroht war. Als er später heiratete und eine Familie gründete, liess er sich in der Gegend der starken Lichtkontraste ganz nieder. Er rettete den Camarguer Naturpark als der Umweltschutz noch nicht mal einen Namen hatte und hob, nicht ohne sein immenses Vermögen grosszügig in die Wagschale zu werfen, den WWF aus der Taufe. «Van Gogh wurde in Arles das gleiche Schicksal zuteil wie dem Schwemmland», lässt der 91-jährige Medienscheue an die Presse ausrichten. «Nach langer Vernachlässigung wird nun endlich dessen entscheidende Rolle im Wirken der Natur anerkannt. So ist auch Van Gogh, insbesondere wegen des Schaffens aus seiner Zeit in Arles, als Wegbereiter der Moderne und der zeitgenössischen Kunst angesehen». Langer Rede kurzer Sinn: 2010 schenkte Luc Hoffmann der Stadt die nötigen Mittel, um den bestehenden Verein Van Gogh in eine Stiftung umzuwandeln, die ein Museum betreiben kann. Wie viel es war, weiss man nicht, doch allein schon die Verwandlung des historischen Patrizierhauses aus dem 15. Jahrhundert in ein modernes Musentempel kostete 11 Millionen Euro. In dem vom französischen Archtekten Guillaume Avenard auf Schweizer Standard getrimmten Haus herrschen die kunstfreundlichsten Verhältnisse. Endlich lassen sich die grossen Museen dazu bewegen, Bilder nach Arles zu leihen. Zur Eröffnungsausstellung kommen schon mal ihrer zehn. Mindestens eines pro Jahr ist auch in Zukunft vertraglich versprochen. Um die Veranstaltung noch weiter anzureichern, wird auch die zeitgenössische Kunst ins Konzept eingebunden. Man stellt die Kunsthaus-Spezialistin und ehemalige Biennale-Dompteurin Bice Curiger an, um den Geist Van Goghs mit den Werken der heutigen Kunsthelden in die Zukunft zu extrapolieren. Die Stadt empfängt die Initiative Hoffmanns wie man Manna vom Himmel auffängt. Die Wirtschaftskrise traf das das schöne Arles mit der Wucht eines wilden Mistrals. 5000 Industriestellen sind innerhalb von einem Jahrzehnt verschwunden. Die Werkstätten der SNCF sind weggezogen, und auch die hier ansässige Papier- und Metallverarbeitungsindustrie wanderte in Billiglohnländer ab. Von den 53 Tausend Einwohnern zahlen 60 Prozent keine Steuern. Arbeitslosenquote liegt bei 14 Prozent, das ist weit über dem französischen Durchschnitt. Touristen, die einzige verbliebene Einkommensquelle, bewundern zwar immer noch die romanische Kathedrale St. Trophime, die römischen Ausgrabungen, die mittelalterlichen Gässchen – doch die Fondation Van Gogh schafft Stellen. Ihrer 40 sind es schon jetzt. Die Beschäftigung für lokale Handwerker zählt vielfach. Endlich naht der Moment: man darf die Bilder aufhängen. Die Wände wurden vom britischen Künstler Gary Hume in den Tönen der holländischen Pallette farblich vorbereitet. Gedämpft, doch strahlend: Wie Van Goghs «Kartoffelesser» mit einem Schuss Absinth. «Farben des Nordens, Farben des Südens», heisst die erste Ausstellung sinnig. Sie soll zeigen, wie die Sonne der Provence die Leinwände des grossen Autodidakten aufhellte. Die parallel stattfindende Schau «Van Gogh Live» muss sich daneben keinewegs verstecken. Es ist die Crème de la Crème der zeitgenössischen Kunst, die Bice Curiger hier mit feiner Hand arrangiert. Auch viele Schweizer: eine wundersame Glasinstallation von Raphael Hefti streut farbige Reflexe ins ganze Haus, Fritz Hausers akustisch-optische Scratch-Installation belebt das Treppenhaus und auch Thomas Hirschhorn hat sich ein köstliches Thema für seine lückenlos raumfüllende Installation einfallen lassen: Sie stellt dar, wie

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Roman Signers Skiplausch

Roman Signers Skiplausch Ewa Hess | 12. Januar 2014 – 21:32 Mein Winter ist gerettet! Denn es gibt nichts Erbauenderes als ein Gespräch mit Roman Signer. Seine Ernsthaftigkeit stimmt versöhnlich, seine spitzbübische Spielfreude wirkt ansteckend. Warum ich mich mit dem 75-jährigen Meister in eine stille Ecke des Hotels Bernerhof in Gstaad zurückziehen darf? Hier die Erklärung, warum, und auch das Interview. Von Uneingeweihten noch unbemerkt, nimmt in der verschneiten Landschaft um Gstaad ein Kunstereignis der Superlative Form an: die Alpen-Biennale «Elevation 1049». Schweizer Kunststars verwandeln Gstaad in den kommenden Monaten in einen Parcours mit Skulpturen und Installationen im Freien. Am Eröffnungstag (24. 1.) erwartet das Publikum ein besonderes Vergnügen: eine Live-Aktion von Roman Signer. Der international bewunderte Schweizer Künstler wird einem Holzchalet das Skifahren beibringen. Die SonntagsZeitung durfte den vorwitzigen Zeremonienmeister bei den Vorbereitungen zu «Alles fährt Ski» begleiten. Roman Signer, mögen Sie Songs vom Trio Eugster? Sie meinen, wegen des Titels «Alles fährt Ski»? Ich wusste gar nicht, dass das Lied vom Trio Eugster gesungen wurde. Hat Sie der Schlager aus den 70er-Jahren zu Ihrer neuen Arbeit inspiriert? (singt) Alles fahrt Schii, alles fahrt Schii, Schii fahrt die ganzi Nation. D Mamme, dr Bappe, dr Sohn. Es git halt nüt Schöners, juhe, juhe, als Sunneschy, Bärge und Schnee … (lacht). Nein, am Anfang stand nicht der Song, sondern die Vorstellung von einem Häuschen auf Ski, das die Piste runterfährt. Erst später ist mir dieses Lied in den Sinn gekommen, das wir gesungen haben. Wir lassen es aus dem Lautsprecher laufen, während die Hütte fährt. Wie kann denn das Häuschen überhaupt Ski fahren? Genau wie die Menschen auch. Wir stellen es auf Ski. Wahrscheinlich werden wir vier Paar unten anmachen. Und das Licht wird brennen, als ob die ganze Familie während der Fahrt am Tisch sässe und Fondue essen würde. Eben, alles fährt Ski. In Gstaad jetzt auch Chalets. Wird es nicht auseinanderfallen? Nein, da sorgen wir schon dafür. Es sollte nach seiner Fahrt neben der Piste stehen bleiben bis im März. Wir filmen die Aktion, und das Video wird dann im Häuschen gezeigt. Es klingt lustig, aber es ist eine verwegene Idee, ein Chalet die Piste runtersausen zu lassen. Ja, schon. Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit niemand zu Schaden kommt. Welche? Wir werden Proben durchführen. Wir lassen das Häuschen erst ein Drittel des Berges runterfahren und schauen, wie es reagiert, dann ziehen wir es wieder hoch und versuchen das Gleiche mit dem halben Weg. Es darf ja nicht passieren, dass es in den Parkplatz unten reinfährt. Wie schwer ist es? 500 Kilo. Es ist ein kleines Häuschen, drei auf fünf Meter und drei Meter hoch. Gerade genug, dass eine Familie an einem Tisch drin Platz nehmen könnte. Wir waren gerade beim Gstaader Chaletbauer Albert Bach, der Ihr Wunschhäuschen baut. Er staunte über das Spitzdach. Warum soll es so steil sein? Ich bin es mir von der Ostschweiz gewohnt, dass das Dach ca 43 Grad Neigung hat. Hier dagegen macht man etwas flachere Dächer, 30 Grad Neigung. Das ist dem Chaletkonstrukteur aufgefallen. Ich bleibe aber dabei, mir gefällt das so. Da setzt sich ein Ostschweizer im Berner Oberland durch? Ja. Warum nicht? Bei uns gibt es ja auch Simmentaler Kühe. Da darf unser Spitzgiebel hier Gastrecht geniessen. Ist ja nur temporär, bis März. Haben Sie nicht Angst, dass das Stahlseil, an dem das Häuschen angemacht ist und das Sie durchschneiden, ausschlagen und Sie verletzen könnte? Um mich habe ich keine Angst. Nur um die Zuschauer. Eine gewisse Spannung muss bleiben, das gehört dazu. Der Chaletbauer hat vorgeschlagen, dass man das Häuschen an einem Seil runterlässt und eine Bremse einbaut. Das wollten Sie aber nicht. Nein, nicht so. Ich hätte andere Ideen. Man könnte zum Beispiel einen Schiffsanker dranmachen. Oder an einem Gummi anmachen, dann spickt es wieder zurück (lacht). Auch eine Sicherheitssprengung am Schluss wäre denkbar, so fährt es unten nicht zu weit (lacht noch mehr). Aber das wäre wieder zu gefährlich. Purzeln bei Ihnen auch im Alltag solche Ideen? Sehen Sie alles in Bewegung geraten oder explodieren? Nein. Aber man sieht viel Interessantes im Alltag. Ich war mal in Island, hatte eine Ausstellung dort, und als ich den Schlüssel zu meiner Unterkunft suchte, rutschte vor mir ein Riesenhaufen Schnee vom Dach runter. Wäre ich einen Schritt weiter vorne gestanden, wäre ich darunter gewesen. Der Schlüssel hat mir das Leben gerettet. Ist also im Alltag die Gefahr ebenso präsent wie in Ihrer Kunst? Der Alltag ist das Gefährlichste überhaupt. Schnee oder Eiszapfen können einen erschlagen, oder man kann von einer Leiter fallen. Der Tod ist immer auf der Lauer. Man erlebt es gerade bei Michael Schumacher. Genau! Bei all den Rennen, den Unfällen, die er überstanden hat – hier hat plötzlich das Schicksal zugeschlagen. Beschäftigt Sie das? Natürlich. Da sind unheimliche Kräfte im Spiel. In Ihrer Kunst treiben Sie Ihr Spiel mit den Kräften der Natur. Macht das die Faszination Ihrer Werke aus? Könnte schon sein. Die Menschen leben mit der Gefahr, ohne sie zu bemerken. Ich selbst habe mal in Utrecht in Holland gesehen, wie ein Riesenast vom Baum runtergefallen ist, direkt hinter einem Velofahrer. Der Fahrer sauste weiter, hat nichts bemerkt. Fordern Sie mit Ihren Aktionen Ihr Glück manchmal heraus? Ich mache ja nicht immer Aktionen. Nächstens zeige ich Skulpturen – in Zürich, in meiner Galerie Hauser & Wirth. Überhaupt mache ich weniger Aktionen als früher. Sie sind auch weniger gefährlich. Die, bei der ich aufs Eis rauslaufe, auf die Gefahr hin, dass es einbricht, würde ich jetzt nicht mehr machen. Zu gefährlich? Man soll das Schicksal nicht zweimal mit dem Gleichen herausfordern. Hier in Gstaad ist Ihre Installation ein Teil der Schau «Elevation 1049». Hat sie die Idee einer Alpenbiennale sofort überzeugt? Es ist verrückt, was hier entsteht! Ich muss allein schon die Organisation bewundern. Mir ist Gstaad sympathisch, bin lieber hier als in St. Moritz. Es ist «gemütlicher». Auch Gstaad ist mondän und wird durch diese glamouröse Kunstschau noch mondäner. Stört Sie das? Nein, ich freue mich, wenn im Simmental das Verständnis für zeitgenössische Kunst

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Alpenbiennale: Elevation 1049

Alpenbiennale: Elevation 1049 Ewa Hess | 12. Januar 2014 – 18:16 Drei Wochen, bevor es los geht, beginne ich den Tag in Gstaad, indem ich Roman Signer, Peter Fischli, Bernhard Hegglin und Marco Baettig, die am Frühstückstisch im Bernerhof sitzen, «guten morgen» sage. Dann geht es los – zum Chaletbauer Albert Bach, dann auf die Piste zum Eggli-Skilift, wo Signer ein Chalet die Piste runtersausen lässt. Am Nachmittag darf ich die wunderbare «Garage» Peter Fischlis besichtigen, danach mit Olympia Scarry an den Lauenensee. Hey, was für ein Tag! Hier mein Artikel darüber: 1049 Meter – so hoch liegt der Bahnhof Gstaad über Meer. Doch das höchste Werk der Freiluftschau «Elevation 1049» kommt viel höher, auf 3000 Meter, zu stehen. Olivier Mosset wird auf dem Diablerets-Gletscher eine Eisskulptur in Form von Panzersperren aus dem 2. Weltkrieg installieren. Ihr Titel: «Toblerone». Mosset, 69, ein wichtiger Pionier der minimalistischen Kunst und Schweiz-Amerikaner aus Arizona, ist bei der in Gstaad stattfindenden Alpenbiennale in guter Gesellschaft. Denn alles, was Rang und Namen hat in der Schweizer Kunst, wird in der verschneiten Landschaft vertreten sein. Noch ist wenig zu sehen, doch manche Werke werden unübersehbar den Berner Oberländer Skiort prägen, wie etwa zwei neue grosse Skulpturen von Urs Fischer, die beim Chälblibrunnen an der Promenade zu stehen kommen oder Ugo Rondinones Trafostation Aebnit an der Bellerivestrasse, die mit einer farbigen Folie verkleidet zu einem psychedelisch anmutenden «magic tower» wird. Andere Kunsteingriffe in die Gstaader Wirklichkeit hingegen wird man ohne Anleitung kaum bemerken. Ihrer Wirkung tut der diskrete Auftritt indes keinen Abbruch. Bei einer zufälligen Begegnung mit dieser Kunst ist man zunächst irritiert, danach aber umso mehr begeistert. Wie bei der Arbeit von Peter Fischli. Seit dem Tod von David Weiss vor zwei Jahren entwickelt Fischli die Signatur des weltberühmten Kunstduos Fischli/Weiss weiter. Hinter der Shell-Tankstelle in Saanen, in umittelbarer Nähe der Postautostation Oberdorf, hat Fischli einen Raum eingerichtet. Diese Arbeit, die zunächst wie eine mit Gerümpel vollgestellte Garage aussieht, trägt alle grossartigen Merkmale eines Fischli/ Weiss-Werks: Mir nichts, dir nichts offenbart sie eine schwindelerregende philosophische Tiefe. Denn erstens ist das vermeintliche Gerümpel ein Artefakt. Alles, was man in dem Raum herumstehen sieht, ist geschnitzt. Die Nachbildungen aus Polyurethan imitieren täuschend echt alte Moonboots, eine vergessene Motorsäge, einen Plattenspieler mit einer Reggae-Platte drauf, sogar einen alten Coop-Sack. Was nicht heisst, dass die Patina nicht echt ist. Denn solche geschnitzen Gegenstände kommen seit 1982 im Werk von Fischli/ Weiss vor. Was Fischli hier zu einem wunderbaren Tableau arrangiert hat, sind Überbleibsel früherer Arbeiten. «In einer Ausstellung, die im öffentlichen Raum stattfindet, spricht unsere Arbeit über den privaten Raum und kann als ambivalente Heterotopie gelesen werden», sagt Peter Fischli, gerade fertig geworden mit der Einrichtung des Werks. Das Fenster zur Garage – man sieht das Innere nur, wenn man hindurchspäht – spiegelt die Berggipfel gegenüber und das eigene Gesicht. Für die Organisation der Ausstellung hat die private Initiantin, die Luma&-Stiftung der Kunstmäzenin Maja Hoffmann, ein mondänes Kuratorenpaar aus New York verpflichtet: Neville Wakefield und Olympia Scarry, die Enkelin des bei uns weniger bekannten, im angelsächsischen Raum aber populären Kinderbuchautors Robert Scarry, der in Gstaad wohnte. Es ist den beiden gelungen, die Elite der Schweizer Kunst (auch Christian Marclay, Pipilotti Rist, John Armleder, Sylvie Fleury, u.a.) sowie interessante Newcomer, etwa Claudia Comte oder Pamela Rosenkranz, zu gewinnen. Das sei nicht allzu schwierig gewesen, erzählt Kurator Neville Wakefield bei einem Grüntee im Hotel Bernerhof, denn die Künstler seien nur allzu bereit, den sterilen weissen Raum der Galerien zu verlassen und sich mit dem mystischen Weiss der Landschaft auseinanderzusetzen. Eine der poetischeren Arbeiten stammt gleich von der Co-Kuratorin Scarry selbst. In der Abgeschiedenheit des zugefrorenen Lauenensees steckt sie mit Pfosten, die zur Gebäudemarkierung verwendet werden, ein imaginäres Haus aus. Die Spitzen sind vergoldet, sie wiegen sich im Wind und erzählen dem hier Vorbeiwandernden ein Märchen von unsichtbaren Eisschlössern und einem verzauberten Goldschatz. Eröffnungswochenende: 24., 25., 26. Januar 2013 www.elevation1049.org   Veröffentlicht in der SonntagsZeitung am 12.1. 2014 About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Wollen Museen Gurlitts Werke?

Wollen Museen Gurlitts Werke? Ewa Hess | 10. November 2013 – 15:56 Da Hildebrand Gurlitt, dessen wiederentdeckte Bilder nun schon seit Tagen grosse Aufregung verursachen, ein Spezialist für deutsche Avantgarde war, sind die meisten Werke in seiner Sammlung „entartete Kunst“, also solche, die in den deutschen Museen beschlagnahmt wurde. Wollen aber die Museen diese Werke zurück? Nicht sicher. Denn Werke, die er sich leisten konnte, sind höchstens «ganz gut», also eher Füllmaterial für Museumsdepots und Kunsthistoriker-Futter. Hier mein Text aus der Sonntagszeitung Am 6. Oktober 1952 geht beim Sammler Emil Bührle in Zürich eine schriftliche Anfrage ein. Ein gewisser Hildebrand Gurlitt möchte gerne die famose Sammlung des Industriellen besichtigen. Wenig später führt Bührles Sekretär den Deutschen durch die Zimmer an der Zürcher Zollikerstrasse. Zu einer Begegnung kommt es nicht. Die Anfrage bleibt wohlverwahrt im Archiv der Bührle-Stiftung. Falls sich Hitlers Kunsthändler Gurlitt mit der Absicht trug, dem damals im grossen Stil einkaufenden Bührle eines der Werke aus seiner eigenen Sammlung anzubieten, muss ihn der Besuch in Zürich entmutigt haben. Denn eines wird ihm klar geworden sein: Keines seiner eigenen Werke kann den Grosssammler verlocken. Aussergewöhnliche Weltklasse, Bührles bevorzugtes Sammelgut, besitzt Gurlitt nicht. Ebenfalls keinen geschäftlichen Kontakt mit Gurlitt hatte der in Zürich tätige Kunsthändler Walter Feilchenfeldt. Weder Hildebrand Gurlitt noch sein wunderlicher Sohn Cornelius hatten je versucht, dem Kunsthandel Feilchenfeldt Werke anzubieten. Mit gutem Grund, denn nach einem Blick auf die ihm unterbreitete Liste der Gurlitt-Werke stellt Sohn Feilchenfeldt lakonisch fest: «Ich würde mich um diese Liste nicht bemühen.» Und doppelt entschieden nach: «Kein Grund, ein Casino aufzumachen!» Alle Zeichen weisen darauf hin, dass Milliardenerwartungen an die über sechzig Jahre in der Münchner Wohnung schlummernde Sammlung ins Reich der Märchen gehören. Die von der amerikanischen Spezialeinheit der Kunstretter (siehe Seite 38) angefertigte und hier abgebildete Liste der Gurlitt-Sammlung ist zwar nicht vollständig, doch gemeinsam mit den an der Pressekonferenz vom Dienstag in Augsburg gezeigten weiteren Bildern erlaubt sie eine Einschätzung des Sammlungscharakters: Ganz klar spielte Hildebrand Gurlitt nicht in der Topliga der Nazikunsthändler mit. Zugang zur Raubkunst, aber nicht zu Meisterwerken Hätten sich unter den in München gefundenen Bildern die berühmtesten der noch verschollen bleibenden Meisterwerke, wie etwa Franz Marcs «Der Turm der blauen Pferde», befunden, hätte sie die Augsburger Staatsanwaltschaft bestimmt an der Pressekonferenz gezeigt. Hat sie aber nicht. Die ebenfalls gezeigten «Pferde in der Landschaft» von Marc scheinen also das wertvollste Bild der Gurlitt-Sammlung zu sein, sein Verkaufswert wird auf 45 Millionen Euro geschätzt. Danach folgt das Porträt der sitzenden Frau von Matisse, welches offenbar aus dem von den Nazis geplünderten Pariser Banksafe des Kunsthändlers Paul Rosenberg stammt und ca. 10 Millionen Euro wert sein dürfte. Die Nachfahren Rosenbergs haben bereits ihre Besitzansprüche angemeldet. Nur ausnahmsweise scheint es dem bereits vor dem Krieg von den Nazis angefeindeten Museumsdirektor Gurlitt gelungen zu sein, seine im Dienste Hitlers schmutzig gewordenen Hände auf Meisterwerke zu legen. Dennoch hatte er bei seinen Reisen nach Paris Zugang zu Raubkunst. Aus Frankreich stammen möglicherweise seine alten Meister (etwa Guardi, Listennummer 1937/11, Fragonard, Listennummer 1957/5, oder Jacob Ruisdael, Listennummer 1974/3, sowie der an der Pressekonferenz gezeigte Canaletto). Diese Werke erzielen heute ebenfalls Millionenpreise. Raubkunst-verdächtig, also zu jener Kunst gehörend, die von den deutschen Stellen im Ausland beschlagnahmt worden ist, sind auch die Werke von Edgar Degas (Listennummer 1951/2 und 1951/3), die unbekannte Chagall-Gouache (2004/4) und die in Augsburg gezeigten Bilder von Matisse und Courbet. Weitere Nachforschungen verlangt die Listennummer 2004/5: Von den «Monuments Men» zunächst als «German, 20th. Century» bezeichnet, entpuppt sich das Werk später als die «Frau mit zwei Nasen» von Picasso. Davon sprechen die US-Akten. Überhaupt gehört die Kunst, welche zu Hitlers Zeit in Bedrängnis geriet, zu den bestdokumentierten Kapiteln der jüngsten Kunstgeschichte. Umso unverständlicher erscheint in diesem Licht die Tatsache, dass die mit der Sammlungssichtung betraute Kunsthistorikerin Meike Hoffmann nach anderthalb Jahren Beschäftigung zu gar keinen Resultaten in ihren Nachforschungen gekommen sein soll. Nun läuft die ganze Welt gegen Deutschland Sturm Eine erste grobe Sortierung wäre bereits in den ersten Monaten möglich gewesen. Neben der Raubkunst, die dank der vorbildlichen Datenbank Looted Art identifiziert werden kann, hätten noch die Kategorien «Fluchtkunst», «entartete Kunst» und «zwangsveräusserte Kunst» berücksichtigt werden müssen. Nur: Fluchtkunst hatte Hildebrand Gurlitt keine. Denn es handelt sich dabei um Kunst, die aus Deutschland ausgeführt und von Privaten im Ausland verkauft worden ist, oft um ihre Amerika-Überfahrt zu finanzieren. Als Käufer solcher Werke kam der Nazihandlanger Gurlitt nicht infrage. «Keiner, der mit einem Picasso über die Grenze gekommen war, ging damit zu Gurlitt», sagt ein Kenner der Verhältnisse. Ebenfalls schnell identifiziert müsste die «entartete Kunst» sein, also Werke, die in einem gross angelegten Raubzug durch deutsche Museen von den Nazis beschlagnahmt und im Ausland versilbert wurden. Bei dieser Aktion dürfte Hildebrand Gurlitt eine besondere Rolle zugekommen sein, denn der ehemalige Museumsdirektor aus Zwickau liebte die Werke der deutschen Avantgarde. Es sind wohl seine Insiderkenntnisse, die es ihm erlaubten, trotz seiner nicht ganz arischen Herkunft sich im Tross von Hitlers Käufern und Wiederverkäufern zu behaupten. Aber auch hier: Die Topwerke bekam er nicht. All die Mackes, Grosz, Dix, Noldes, Liebermanns, Rohlfs, Schmidt-Rotluffs und Pechsteins auf der Liste scheinen gute, doch nicht herausragende Werke zu sein. Was die Amerikaner als «painting» bezeichnen, ist oft eine Arbeit auf Papier. Wie jenes kolorierte druckgrafische Mädchenporträt von Ernst Ludwig Kirchner, von dem Meike Hoffmann an der Pressekonferenz schwärmte. Dass allerdings Frau Hoffmann nach all der Zeit nicht imstande war, wenigstens eine Liste der «entarteten Kunst» aus der Gurlitt-Sammlung vorzulegen, ist ein Skandal. Denn niemand anderer als sie selbst führt an der Freien Universität Berlin die entsprechende Forschungsstelle, inklusive einer Datenbank. Ihr Spruch, dass sie mittlerweile «500 Werke anrecherchiert hat», dürfte als ein unfreiwilliger Witz in die Geschichte der Restitutionsforschung eingehen. Es mag sein, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft von der «Focus»-Veröffentlichung überrumpelt worden ist. Doch den darauf folgenden kommunikativen Unfall hat sie ganz allein sich selbst zuzuschreiben. Denn nun läuft die ganze Welt gegen Deutschland Sturm. Kanzlerin Angela Merkel muss sich um den Zwischenfall kümmern, man ruft nach einem internationalen Kunsttribunal. Das alles wäre nicht nötig

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