Kunst

Uli Sigg über M+

Uli Sigg über M+ Ewa Hess | 7. Oktober 2013 – 11:32 In China habe er sich drei Karrieren erarbeitet, erzählte mir Uli Sigg, 67. Im Zug von Ermattingen nach Zürich sprachen wir über eines der grössten Museumsprojekte des Jahrhunderts. Wir kamen vom «Pan-Asia» Art Forum der UBS in Wolfsberg zurück, wo Sigg neben Monique Burger und Sebastian Noe über die Entwicklung der Kunstszene in Hong Kong berichtete. Seine drei Karrieren, das sind jene des Geschäftsmanns, des Diplomaten und des Kunstsammlers. Als er 1979, erst 33-jährig, im Auftrag von Schindler nach China kam, gründete er das erste Joint Venture eines westlichen Industriekonzerns mit einem chinesischen Staatsbetrieb – ein Geschäftsmodell, das heute breit angewandt wird. Danach war er 1995 bis 1998 Schweizer Botschafter in China. Seit den Siebzigerjahren sammelt Sigg zeitgenössische Chinesische Kunst. Er besuchte früh die Ateliers der noch im Verborgenen arbeitenden Künstler (die damals kein Mensch kannte), unterstützte ihr Tun und kaufte ihre Werke. So kam seine einzigartige Sammlung zustande, die Sigg in verschiedenen Ausstellungen, u. a. «Mahjong» im Kunstmuseum Bern (2005), der Öffentlichkeit zeigte. Den grössten Teil dieser Sammlung hat Uli Sigg nun M+, dem geplanten Museum of Visual Culture in Hongkong, geschenkt. Uli Sigg, Ihre legendäre Sammlung wird bald nach Hongkong verlegt. Haben Sie schlaflose Nächte? Nein, warum auch? Schliesslich sind es Herzog & de Meuron, die als Architekten des neuen Museum bestimmt wurden. Damit ist das Projekt in guten Händen. Die Grundsteinlegung ist im März 2014. Ist China nicht ein riskanter Standort für zeitgenössische Kunst?Der Standort ist zwar China, aber Hongkong – für mich die beste Wahl. Die Hongkonger Regierung hat den Ehrgeiz, ein Museum von Weltformat auf die Beine zu stellen, weil es so etwas dort noch nicht gibt. Und in Hongkong herrscht «freedom of speech». Ist Hongkong wirklich freier? Für weitere 35 Jahre gilt Deng Xiaopings Slogan: «Eine Nation, zwei Systeme.» Hongkong bewahrt damit sein Rechtssystem, das im Blick auf die Meinungsäusserungsfreiheit noch britisch geprägt ist. War die Gefahr der Zensur ein Grund, weshalb Sie die Sammlung nicht dem Hauptland geschenkt haben? Bestimmt einer davon. Vor allem, dass man mir nicht genau sagen konnte, was unter die Zensurmassnahmen fallen und deswegen nicht gezeigt werden könnte. Diese Rahmenbedingungen zu kennen, war eine wichtige Voraussetzung für mich. China war nicht zu Kompromissen bereit?Jenen Funktionären, die sich Kenntnis verschafften, war es klar, was diese Sammlung repräsentiert und dass sie für China einzigartig ist. Doch die Entscheidung für dieses Projekt war mit zu vielen Risiken behaftet. Welcher Art? Sich dafür einzusetzen, hätte einzelne Karrieren gefährdet. Mir ist aufgefallen, dass Sie Ihre Sammlung in Interviews oft «das Dokument» nennen. Warum? Es war von Anfang an mein Ziel, eine Sammlung zusammenzutragen, welche die chinesische Kunst von den 1970er-Jahren bis jetzt kontinuierlich dokumentiert. In diesem Sinn ist die Sammlung ein gewichtiges Zeitdokument. Es klingt so sachlich, als ob Sie damit auch die eigene emotionale Bindung verhindern wollten. Normalerweise kann ich mich selbst nicht mit einem semantischen Trick überlisten. Aber wer weiss? Ist die Trennung schwierig? Natürlich. Auch wenn es mir und meiner Frau immer klar war, dass wir die Sammlung mal ihrem Ursprungsland zurückschenken, gibt es darin Werke, die einem sehr ans Herz gewachsen sind. Meine Frau empfindet das stärker als ich. Die Trennung ist zum Glück nicht abrupt. Die Sammlung ist bis 2017 noch bei uns. «Das Dokument» umfasst 2100 Objekte, davon gehen 1500 nach Hongkong, Sie behalten 600. Nach welchen Kriterien haben Sie ausgewählt? Ich wollte, dass die Sammlung, die ins Museum kommt, eine kohärente Geschichte erzählt, die chinesische Kunstproduktion der letzten 40 Jahre spiegelt. Es geht zwar um Kunst, aber auch um ein Abbild des dramatischen Wandels der Gesellschaft in dieser Zeitspanne. Zurückgeblieben sind Werke, die den schon Gewählten ähneln oder qualitativ nicht mithalten. Aber einige Lieblingsstücke behalten Sie doch? Gerade von diesen habe ich den grössten Teil weggegeben. Weil sie ganz besonders zur Geschichte gehören. Zum Beispiel?Das Werk von Ai Weiwei, das 132 4000-jährige neolithische Vasen umfasst. Von dieser Arbeit Abschied zu nehmen, fällt mir tatsächlich schwer. Andererseits ist sie so wichtig, dass sie in diese exemplarische Sammlung hineingehört. Man spricht von einer Schenkung, doch Hongkong kauft Ihnen auch Teile der Sammlung für 22 Millionen Franken ab. Wie funktioniert das? Ich bin bereit gewesen, die Sammlung dem Hauptland vollständig zu schenken. Als Hongkong als Standort ins Spiel kam, bot man mir die Bezahlung von 10 Prozent des Wertes an, was ich akzeptiert habe. Das wird mir ermöglichen, weiterzusammeln und meinen Kunst- und Kunstkritiker-Preis für China weiterzubetreiben. Demnach ist der Wert Ihres Geschenks rund 200 Millionen Franken? Man spricht bereits vom grössten Geschenk, das je einem Museum gemacht worden ist. Es war meine Absicht, China etwas zurückzugeben, auch aus Dankbarkeit für die Erfahrungen, die ich dort über 33 Jahre machen durfte. Es war eine unglaubliche Reise, deren intensivsten Teil die Begegnungen mit den chinesischen Künstlern ausmachten. Diesen will ich nun Präsenz an einem Ort sichern, wo ein Dialog mit dem eigenen Volk möglich ist. Und das soll Hongkong sein? Gerade dort! Schon heute reisen gegen 50 Millionen Chinesen jährlich nach Hongkong, viele als Touristen. Bestimmt werden viele ein so aussergewöhnliches Museum besuchen, um dort der Kunst ihres Lands zu begegnen. Ist das chinesiche Volk überhaupt bereit, sich auf diese Kunst einzulassen? Vielleicht nicht sofort, aber mit der Zeit bestimmt. Die meiste Kunst, die in China gekauft wird, sind aber immer noch die traditionellen Tuschmaler. Sie meinen die sogenannten Modern Masters, Tuschmaler des 20. Jahrhunderts. Die sind darum so allgegenwärtig, weil sie dem traditionellen Kunstideal entsprechen und enorm produktiv waren – oft mit Tausenden von Bildern. Gab es Reaktionen in China, als es klar wurde, dass die Sammlung nach Hongkong geht? Das offizielle China hat sich dazu nicht geäussert. Es gab Stimmen im Internet. Viele positive, die es grossartig fanden, dass die Sammlung sicher aufgehoben sei. Und auch negative, die bezweifelten, dass sich ein Sammler von etwas wirklich Wertvollem trennen würde. Aber da in China die Sammlung noch nie gezeigt wurde, entspricht diese Einschätzung keiner eigenen Anschauung. Sie haben sich für Ai Weiwei eingesetzt in Wort und Schrift.

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Basler Atomreaktor

Basler Atomreaktor Ewa Hess | 1. September 2013 – 16:32 Die Basler Ausstellung Mondrian-Newman-Flavin elektrisiert mich im Voraus. Ich erwarte, dass es die spannendste Ausstellung der Saison wird. Eine ruhige dennoch unüberhörbare Intervention, die mitten in der Geschwätzigkeit der Gegenwartskunst wie eine Detonation hochgeht. (Irgendwie werde ich im Zusammenhang mit dieser doch durch und durch friedlichen Ausstellung die Kriegsterminologie nicht los. Schon im SonntagsZeitungs-Artikel sprach ich vom Atomreaktor.) Mondrian und Newman… Die haben vielleicht schon etwas von Kreuzrittern? Hier der SoZ-Text: KUNST AUF DIÄT Das Kunstmuseum Basel zeigt drei Visionäre, die mit ihrer Askese nicht nur die Kunst, sondern auch die Welt erneuerten Von Ewa Hess Das Kunstmuseum Basel begibt sich unerschrocken in karge Gefilde. Mit der Ausstellung «Mondrian, Newman, Flavin» zeigt es ab nächsten Sonntag drei der sprödesten Künstlerpersönlichkeiten der letzten zwei Jahrhunderte, vielleicht auch der Kunstgeschichte überhaupt. Piet Mondrian, Barnett Newman und Dan Flavin haben – jeder auf seine Weise – die Kunst auf Abmagerungsdiät gesetzt. Doch so karg ihre Formensprache auch sein mag, die Intensität ihrer Werke ist umso grösser. Die mit Spannung erwartete Ausstellung ist so etwas wie ein künstlerischer Atomreaktor. Unter der stillen Oberfläche der Werke vibriert gefährliche Energie. In nur drei aufeinanderfolgenden Generationen haben Piet Mondrian, Barnett Newman und Dan Flavin die Kunst beinahe abgeschafft. Und ihr damit eine neue Freiheit geschenkt. Dass der Kunstmuseum-Direktor und Kurator der Schau, Bernhard Mendes Bürgi, gerade diese drei auswählt, um eine zentrale Geschichte der Moderne zu erzählen, ist raffiniert. Er hätte ja auch Kandinsky, Picasso und Warhol zeigen können. Auch von diesen Künstlern besitzt das Basler Haus gute Werke, die, um Leihgaben ergänzt, eine tolle Schau ergäben. Dank den besessenen Asketen Mondrian, Newman und Flavin weitet sich allerdings das Thema. Mit ihnen steht nicht nur die Kunstgeschichte im Zentrum, sondern die Sinngebung der ganzen Gesellschaft. MONDRIANS VIERECKE Nach dem grossen Blutvergiessen des Ersten Weltkriegs wollte Piet Mondrian der Menschheit zu einem neuen Anfang verhelfen. Ihm schwebte eine Kunst vor, die nicht die Differenzen zwischen den Menschen betonen würde, sondern das Verbindende: ein universelles Regelwerk. Darum reduzierte er seine Mittel auf Farbe, Form, Linie und Raum. Er beschränkte sich dabei auf die Primärfarben Rot, Blau und Gelb und wechselte lediglich zwischen zwei geometrischen Formen: Quadrat und Rechteck. Auch verwendete er ausschliesslich senkrechte und waagrechte Linien. Wahre Freiheit war für Mondrian nicht Gleichheit, sondern das Gleichgewicht. Seine asymmetrischen Kompositionen ins Gleichgewicht zu bringen, das betrachtete er als seine grösste Herausforderung. Er suchte die reinste Form der abstrakten Kunst. Die Kraft seiner ästhetischen Vision beeinflusste vor allem die Architektur- und Designwelt. Yves Saint Laurent, der ihn verehrte und vier seiner Bilder besass, sagte einmal: «Weiter kann man in der Malerei nicht gehen.» NEWMANS REISSVERSCHLÜSSE Das sah der Amerikaner Barnett Newman ganz anders. Auch er suchte ein universelles Konzept, welches über die Kunst hinausweist, doch ihm war das geometrische Korsett Mondrians zu eng. Per Zufall fand er an seinem 43. Geburtstag, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Lösung. Anstatt das auf die bereits bemalte Leinwand aufgeklebte Klebeband zu entfernen, schmierte er Farbe drauf. So entstand der erste «zip» (engl. für Reissverschluss). Fortan malte Newman immer so. Er trennte die homogenen Farbflächen mit vertikalen Linien, die für ihn ein Symbol für den höheren Sinn waren. Diese Linien machten nicht nur die Bilder komplett. Sie waren auch so etwas wie Öffnungen oder Startbahnen, dank welchen der Betrachter an einer erhabenen Erfahrung teilhaben konnte. FLAVINS LEUCHTSTOFFRÖHREN Das Licht war schon immer ein Element der Malerei. Wenig verwunderlich also, dass der Minimalist Dan Flavin auf seiner Suche nach einer weiteren Befreiung der Kunst auf fluoreszierende Leuchtröhren stiess. Er legte sich die Regel auf, nur handelsübliche Formen und Farben zu verwenden. Wie alle Künstler der Minimal Art bestand Flavin darauf, dass sein Werk keine versteckten Bedeutungen enthielt. Dennoch betrachtete er seine Skulpturen als Ikonen, die «begrenzte Erleuchtung» spenden. Seine Werke verschmelzen manchmal so diskret mit der Umgebung, dass sie gar nicht wie Kunst wirken. Andere wiederum ziehen Besucher, wie Insekten, magisch an. Populär war Flavins Leuchtröhren-Kunst immer. In der letzten Zeit erfährt sein Werk eine weitere Aufwertung. Diese zeigt auch sein Einschluss in das in Basel gefeierte Heldentrio der asketischen Moderne. Kunstmuseum Basel, «Mondrian – Newman – Flavin», 8.9. bis 19.1.2014www.kunstmuseumbasel.ch Publiziert am 01.09.2013 About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Martin Eder in Zürich

Martin Eder in Zürich Ewa Hess | 29. August 2013 – 17:08 Jetzt geht die Kunst in Zürich wieder los und bei meiner kleinen Preview habe ich wunderbare Sachen gesehen: Eva Rothschilds magischen Raum bei Presenhuber im Löwenbräu, und auch dort das „Ding“ von Martin Eder bei Hauser&Wirth. War ganz begeistert, vom Künstler, der mir sehr freundlich Auskunft gab und vom Ding selbst, das wirklich Eindruck macht. Die Gemälde von nackten Damen, die dazugehören, bestehen übrigens auch aus Schichten und Lagen, etwas Kristallines scheint sich über die Oberfläche auszugiessen, so dass der grosse Schwarze in der Mitte (der übrigens aus Styropor ist und innen hohl, wie mir Eder verriet) und die gemalten Bilder an der Wand eine Verwandtschaft aufweisen. Die Skulptur, sagte mir Eder, wurde in der Galerie an Ort und Stelle geklebt (musste ja sein, sonst ginge sie ja gar nicht rein). Zu acht haben sie da gearbeitet, sagte Eder. Er aber nicht wie ein Dirigent überwachend, sondern auch klebend – „leider!“ About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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Sam Keller über «seinen» Cattelan

Sam Keller über «seinen» Cattelan Ewa Hess | 10. Juni 2013 – 10:40 «Stecken sie in der Wand fest oder wollen sie mit dem Kopf hindurch?» antwortet mir Sam Keller mit einer Frage nach seiner Interpretation des neuen Kunstwerks von Maurizio Cattelan, das er in der Fondation Beyeler ausstellt. Als ich ihn treffe einige Tage vor dem Beginn der Art Basel, eilt der wundersame Fundation-Beyeler-Chef und Art-Basel-Präsidentdurch die Räume seines Museums in Riehen. Als sich zuhinterst die Pferdeskulptur von Maurizio Cattelan offenbart, leuchten seine Augen auf. Mit 46 Jahren ist der Direktor der Fondation Beyeler und Präsident der Art Basel eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der internationalen Kunstwelt. Sechs Jahre unter der Leitung des von Ernst Beyeler persönlich ausgewählten quirligen Chefs verwandelten die edle Fondation in ein pulsierendes Weltmuseum. Zur Eröffnung der Art Basel bietet Keller eine Sensation an: Ein neues Werk des Kunststars Maurizio Cattelan, dessen Ankündigung, sich von der Kunst zurückzuziehen, für Schlagzeilen gesorgt hat. Sam Keller, war es schwierig, Maurizio Cattelan zu überzeugen, trotz seinem Rückzug doch in der Fondation Beyeler auszustellen? Nein, eigentlich nicht. Wir arbeiten ja schon vor seiner Retrospektive im Guggenheim daran. Als ich von seinen Rückzugsplänen erfuhr, war ich verunsichert. Doch noch an der Eröffnung in New York sagte mir der Künstler, dass er unser Projekt weiterhin verwirklichen möchte. Im Vorfeld der Ausstellung ist spekuliert worden, was genau in der Fondation Beyeler gezeigt wird. War es von Anfang an klar, dass es die fünffache Pferdeskulptur sein wird? Nein, zunächst war das Projekt klein angedacht. Danach gab es verschiedene Phasen, und tatsächlich war eins der möglichen Projekte die schwere Skulptur, über die spekuliert wurde. Wir haben Abklärungen getroffen, wie wir diese ins Museum reinkriegen, die dann publik wurden. Doch dann hatte Cattelan den Geistesblitz mit den Pferden. Was steht hinter der Idee? Eine der berühmtesten Arbeiten von Cattelan ist sein Pferd. Seine Idee war es, alle fünf Versionen dieser Arbeit von 2007 erstmals zusammenzubringen und als neue Werkgruppe zu zeigen. In Cattelans Werk spielen ausgestopfte Tiere eine wichtige Rolle: Tauben, Eichhörnchen, Esel oder Elefant. Und Pferde, auf die wir menschliche Eigenschaften projizieren. Hat diese Skulptur auch Provokation vorprogrammiert? Diese gehört bei Cattelan dazu, allerdings mit Tiefsinn. Seine Werke sind verführerisch und verstörend zugleich. Wie in Träumen. Gerade diese surreale Qualität macht die Stärke seiner Kunst aus. Sie stellt mehr Fragen, als dass sie Antworten gibt. Welche Fragen konkret? Wer sind diese Kreaturen, und warum haben sie den Kopf verloren? Stecken sie in der Wand fest oder wollen sie mit dem Kopf hindurch? Wollen sie fliehen oder in einen anderen Raum vordringen? Wird sich Cattelan tatsächlich von der Kunst zurückziehen? Maurizio Cattelan ist ein wahrer Künstler – einer der interessantesten unserer Zeit. Und man kann das Künstlersein nicht einfach so abstellen. Warum will er überhaupt aufhören? Er hat mir mal erklärt, dass er diese Entscheidung während der Vorbereitung seiner Retrospektive getroffen hat. Eine Schau sämtlicher Werke ist immer eine Art Bilanz, also auch ein Abschluss. Und wenn ein Künstler so berühmt und erfolgreich ist wie Cattelan, werden auch sehr viele Anfragen, Verpflichtungen an ihn herangetragen. Zu sagen: «ich höre auf» war also auch ein Befreiungsschlag und Neubeginn. Am Montag beginnt die Kunstmesse Art Basel, und in der Fondation Beyeler ist auch allerlei los – sehnen Sie in solchen Wochen auch eine Befreiung von Stress herbei? Nein, denn es macht Freude, Ausstellungen vorzubereiten, und es ist sinnvoll, sein Museum im besten Licht zu präsentieren, wenn die internationale Kunstwelt nach Basel kommt. Ich freue mich! Als Verwaltungsrats- präsident der Art Basel – wie zufrieden sind Sie mit der Premiere der Messe in Hongkong? Ich bin begeistert! Es war ein grosser Erfolg, grösser als erwartet. Vergleichbar mit der Premiere in Miami? Ja, absolut. Obwohl mit Miami und Hongkong ist es für die Art Basel ein bisschen wie mit dem ersten und zweiten Kind. Beim ersten ist alles noch neu, beim zweiten weiss man schon etwas besser, was einen erwartet. Ich bin glücklich für die Eltern, Marc Spiegler und Annette Schönholzer, dass ihr Kind so einen guten Start hatte. Wie muss man sich eigentlich Ihre Funktion bei der Messe vorstellen? Geben Sie dem Leitungsteam auch Ratschläge? Nein, das brauchen meine Nachfolger nach so vielen Jahren nicht. Sie machen einen super Job. In dem Gremium, in dem ich bin, geht es mehr um strategische und konzeptuelle Fragen. Die Fondation Beyeler wächst durch Geschenke und Kooperationen, etwa mit der Stiftung Daros oder mit dem Galeristen Bruno Bischofberger. Ist das ein neuer, expansiver Kurs? Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Sammlungen war immer ein Anliegen von Ernst und Hildy Beyeler. Wir intensivieren diese, wobei wir jetzt auch die Möglichkeit haben, mit weltbesten Museen zu kooperieren: mit der Tate Modern in London, dem Stedelijk in Amsterdam, der Albertina in Wien oder dem Guggenheim in New York. Mit der Daros Collection ist es eine langfristige Partnerschaft, mit der Sammlung Bischofberger eine Premiere. Sie zeigen eine neue Sammlungspräsentation, haben mehrere neue Ausstellungen im Haus, präsentieren Skulpturen von Thomas Schütte in Zürich – und dann veranstalten Sie noch ein Konzert von Element of Crime? Auch das war ein Anliegen des Gründerpaars, dass die Vermittlung der Kunst an möglichst breite Schichten und neue Generationen im Zentrum aller Bemühungen steht. Hat Element of Crime überhaupt einen Bezug zu Kunst? Klar! Wir haben die Mitglieder dieser populären Rockband gerade von der Art Basel her gekannt. Sie sind mit Künstlern befreundet und leben mit Kunst, jeder auf seine Weise. Wir werden ihre private Sammlungen nun parallel zum Konzert im Sarasin Park in der dortigen Orangerie ausstellen. Werden Sie an der Messe Ankäufe machen? Ja, die Fondation wächst auch in dieser Hinsicht. Letztes Jahr haben wir an der Art Basel mehrere wichtige Werke erworben: beispielsweise Skulpturen von Lucio Fontana oder Louise Bourgeois. Wie gross ist Ihr Ankaufsetat? Den kommunizieren wir nicht. Aber selbst Millionen sind heute oft nicht genug, wenn man auf dem Qualitätsniveau, welches die Sammlung Beyeler vorgibt, kaufen möchte. © SonntagsZeitung; 09.06.2013; Seite 41 Inmitten des Basler Kunst- Tornados bietet die Fondation Beyeler Exquisites. Jetzt gehts los, und wenn

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Die Rache des Raubvogels

Die Rache des Raubvogels Ewa Hess | 7. Juni 2013 – 11:04 Kunst mit aggressivem Potenzial gehört zu den Höhepunkten an der Biennale Venedig. Prinz Harry, dem königlichen Schlingel, verdankt die Biennale ihre Flügel. Denn er war es wahrscheinlich, der im Oktober 2007 ein Pärchen geschützter Greifvögel bei einem Jagdabenteuer in Norfolk vom Himmel schoss. Die Affäre fand kein juristisches Nachspiel, doch die Rache des Raubvogels bleibt nicht aus. Und gerät zum Highlight der diesjährigen Venedig-Kunstschau. Der Künstler Jeremy Deller, 47, inszeniert den englischen Pavillon als eine Bilderschau mit aggressiven sozialen Untertönen. Sein Rachevogel-Fresko wirkt befreiend: Der Artgenosse der getöteten Kornweihen (Circus cyaneus) hat sich auf der nächstbesten Autobahn einen Offroader gekrallt. Ob der frevelhafte Prinz drinsitzt, ist unerheblich, denn mit der Comic-artigen Aktion ist vor allem der Ton gesetzt: begeisternd, unkompliziert, gesellschaftlich relevant – so etwas wie die dunkle Seite von Danny Boyles Londoner Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012. Mit Dellers sozialer Skulptur (im nächsten Saal kommt der russische Oligarch Roman Abramowitsch an die Kasse) wird eine Biennale aufgewertet, die an ihren Eröffnungstagen nicht nur trist in kalten Regengüssen ersäuft, sondern auch seltsam kraftlos daherkommt. Mit einer gut gemeinten, aber blassen Hauptausstellung und vielen Pavillons, die sich als politisch korrekte Musterschüler zu etablieren versuchen. Die Deutschen und die Franzosen tauschen etwa ihre Pavillons, wie um Merkel-Hollande-Differenzen auf künstlerischer Ebene wieder wettzumachen. Dabei werden die beiden Länderauftritte sowieso von Fremden bestritten. Die Franzosen haben mit dem Videokünstler Anri Sala einen gebürtigen Albaner verpflichtet; die Deutschen durften mit Ai Weiwei den Superstar der Kunstszene als ihren Mann ins Rennen schicken. Gegenüber diesem politischen Pathos ist man froh um die Eleganz im Schweizer Pavillon. Die Installation des Walliser Künstlers Valentin Carron, 36, besticht durch ihre perfekte Zurückhaltung. Die Werke fügen sich scheinbar widerstandslos in die wohlproportionierten Säle des von Bruno Giacometti 1952 erbauten Pavillons. Eine metallene Schlange windet sich durch die Säle hindurch, schleicht durch die Tür nach draussen, auf einen kleinen Patio, wo, wie vergessen, ein altes Töffli der Marke Ciao steht. Bronzene Trompeten, wie ferne Echos einer Blasmusik, verschmelzen fast mit dem dunklen Gemäuer. Die Installation entfaltet dennoch einen subversiven Charme, der wie ein Hauch von Parfüm einen in die lauteren Ausstellungshäuser begleitet. Etwa in das benachbarte russische, wo der Moskauer Konzeptualist Vadim Zakharov unter der Leitung des deutschen Kurators Udo Kittelmann in einer plakativen Aktion einen Goldmünzenregen runterrieseln lässt. Das soll wohl Konsumkritik sein, bleibt aber eine hohle Geste. Nicht so Ai Weiweis Skulptur im vertauschten deutschen Pavillon – die ist stark. Antike Hocker aus dem Handwerksland China fliegen durch die Luft, türmen sich, schön wie ein Spinnennetz – und ebenso trügerisch. Das Werk soll an die im Wirtschaftswunderland China verloren gehende Tradition erinnern. Noch stärker ist allerdings ein anderes Werk Ai Weiweis in Venedig. Das hat er nicht den Deutschen ausgeliehen, sondern in einer Kirche in der Stadt inszenieren lassen. (Er selber ist immer noch mit einem Ausreiseverbot belegt, nur seine alte Mutter konnte zur Eröffnung nach Italien kommen.) In den sakralen Räumen der Kirche Sant’Antonin stehen nun Boxen, in welchen Szenen aus Ai Weiweis Gefangenschaft dargestellt werden: wie er schläft, duscht oder verhört wird, immer unter wachsamem Auge der uniformierten Schergen. Ai Weiwei, dessen neuste Fotos einen nachdenklichen Mann mit ergrautem Bart zeigen, ist damit in Venedig unübersehbar, auf der Höhe seines Könnens. Doch noch ein Bartträger schwebt inspirierend über der Lagunenstadt und will aus den Köpfen nicht weichen: der 2005 verstorbene Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Nicht nur zeigt die Fondazione Prada in der Stadt eine 1:1-Rekonstruktion von Szeemanns berühmter 1969er-Schau «When Attitudes Become Form» aus der Kunsthalle Bern. Auch Massimiliano Gionis Hauptausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» steht tief in seiner Schuld: Viele der Outsider, welche Gioni nun der Kunstwelt als Rettung aus der Umarmung des Markts präsentiert, wären ohne Szeemann verloren gegangen. Gionis Ausstellung führt Szeemanns Gedanken allerdings weiter. Sie postuliert, dass es in der Kunst kein Aussen und kein Innen gibt und dass neben den Pendlerinnen wie Emma Kunz und den Spiritisten wie Aleister Crowley auch Philosophen wie Roger Callois oder Psychologen wie C. G. Jung ihren Platz im Kunstpantheon beanspruchen sollen. Anders als seinem Schweizer Mentor gelingt es Gioni nicht ganz, die explosive Kraft, welche er sucht, in spannende Ausstellungsräume umzumünzen. Zwar gibt es sowohl im zentralen Pavillon der Giardini wie auch im Arsenale, den beiden Austragungsorten der Ausstellung, interessante Durchblicke und starke Momente (etwa die Installation des vietnamesischen Künstlers Danh Vo), doch am Ende bleibt der Eindruck von zu viel des Gleichen. Und zu wenig von ganz Neuem. Immerhin ist es Gioni gelungen, den an die Biennale gestellten Erwartungen ein Schnippchen zu schlagen. Es wird schwierig sein, die Schau dieses Jahr als ein Preis-Justierungsinstrument für die nachfolgende Kunstmesse Art Basel zu gebrauchen. Die Werke von Künstlern, welche Gioni ins Scheinwerferlicht stellt, sind nämlich oft gar nicht auf dem Markt, sie gehören bereits öffentlichen Archiven und Museen. Gemeinsam mit den politisch inspirierten Pavillons der Länder sendet Venedig 2013 damit ein starkes Signal: Die stets noch wachsenden Kunstpreise sollen nicht der einzige Gradmesser ihrer Werte sein. © SonntagsZeitung; 02.06.2013; Seite 37 Weltschau der Kunst an der Lagune Die Kunstbiennale in Venedig (1. 6.– 24. 11.) ist die führende Schau der Gegenwartskunst. Sie findet alle zwei Jahre statt. Die dieses Jahr von Massimiliano Gioni kuratierte Ausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» gesellt sich zu den nationalen Länderpavillons, in welchen 88 Nationen vertreten sind . Die Schweiz vertritt der Walliser Valentin Carron. Zu den Begleitveranstaltungen gehört auch der «Salon Suisse» im Palazzo Trevisan degli Ulivi. Darin werden Themenabende wie «Geschichte und Gegenwart» durchgeführt (www.biennials.ch). 10 Länder sind erstmals dabei, darunter auch der Vatikan. About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember

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Massimiliano Gionis Heimspiel

Massimiliano Gionis Heimspiel Ewa Hess | 5. Juni 2013 – 09:41 «Ich wollte mich selber überraschen» verriet mir der Direktor der diesjährigen Biennale, als ich ihn an den Eröffnungstagen sprach. Der netteste Kurator der internationalen Kunstszene zeigte zum ersten Mal seit ich ihn kenne leichte Stressanzeichen – verständlich bei dem Eröffnungs-Händeschüttel-Ansprachen-Interviewmarathon, den ein Biennale-Chef in diesen Tagen absolvieren muss. (Allerdings blieb Bice Curiger in diesen Tagen vor zwei Jahren gewohnt ruhig!). Seine Antworten waren aber genau so präzis und raffiniert wie man sich das von ihm gewohnt ist. Der Italiener Massimiliano Gioni, 39, ist der Glückspilz der internationalen Kunstszene. Was er anfasst, wird gut: grosse Ausstellungen wie diejenige von Urs Fischer im New Museum New York, temporäre Kunstinstallationen für die Fondation Trussardi in Mailand. Beim Treffen in seiner Ausstellung «Il Palazzo Enciclopedico» in den Giardini wirkt der Biennale-Chef gestresst, verdrückt während des Gesprächs ein Sandwich. Doch bald kehrt die gewohnt gute Laune zurück, und Gioni gibt Einblicke in die Hintergründe seines Heimspiels in Venedig. Sie sind der jüngste Biennale-Chef. Betrachtet man aber die Geburtsjahre der Künstler, ist Ihre Ausstellung die älteste. Ein Widerspruch? Nein, das ist nur logisch. Ich gehöre einer Generation an, die mit Computern und Internet mitten in einem gigantischen Archiv aufgewachsen ist. Für uns ist die Vergangenheit nie vorbei und vergessen. Wir haben die Freiheit, unsere Geschichte neu zu schreiben. Für Ihre neue Sicht haben Sie die Schweizer Heilerin Emma Kunz und den Spiritisten Aleister Crowley ausgegraben. Suchen Sie die Esoterik? Nein, die Ausstellung ist keine Abhandlung über den Spiritismus! Mich beeindruckt nicht, dass jemand malt, weil es ihm die Geister befohlen haben. Ich finde aber die Werke, die unter visionären Voraussetzungen entstanden sind, oft wunderschön. Sie entfalten eine ungeheure Intensität. Spielen für Ihre Biennale diese Outsider eine ähnliche Rolle wie die damals noch nicht bekannten Chinesen für Harald Szeemanns Biennale von 1999? Outsider in der Kunst sind nicht meine Erfindung, gerade wenn wir von Szeemann reden. Sie waren immer ein Thema, doch ihre Bedeutung steigt weiter. Das wollte ich deutlich machen. Auch der Titel der Schau ist von einem Fantasten geborgt: von Marino Auriti, der einen 136-stöckigen Palast bauen wollte, in dem das ganze Wissen der Welt gezeigt werden würde. Auritis Modell – das im Mittelpunkt der Biennale steht – repräsentiert den Traum von einem universellen Wissen. Auriti liess sein Modell 1955 sogar patentieren. Doch natürlich wurde der Palast nie gebaut, denn wie jeder Anspruch auf Totalität war sein Projekt zum Scheitern verurteilt. Sein Traum aber hat überlebt. Der Idee der Biennale liegt auch ein Traum zugrunde – dass man die ganze Kunst der Welt an einem Ort zusammenbringen kann. Meine Biennale ist eher wie ein Museum auf Zeit angelegt. Mich interessiert, wie Bilder entstehen und wie die Menschen mithilfe von ihnen die Welt erklären. Hat sich in diesem Prozess viel verändert? Ja und nein. Das Medium der Kunst – das sind in einem zunehmenden Mass unsere Körper und unsere Gehirne geworden. Darum mache ich keinen Unterschied zwischen einem Outsider, der sich als Medium im strikten Sinn des Wortes sieht, und etwa der jungen französisch-marokkanischen Künstlerin Bouchra Khalili. Sie zeigt, dass auch die Jungen besessen sind. Wovon? Von der unerschöpflichen medialen Bilderflut. Die ist nicht weniger gebieterisch als Geisterstimmen. Sehr viele junge Künstler … … ja, das muss man doch auch sagen, dass es ebenso viele junge Künstler in der Ausstellung gibt wie Tote oder Alte … … haben speziell für die Biennale entworfene Werke beigesteuert, die sich mit den Themen, die Sie vorgegeben haben, befassen. Zufall? Nein, nicht ganz. Ich war es müde, die Rolle des Kurators darin zu sehen, eine gut bestückte Adressliste sein eigen zu nennen. Sie verstehen, diese Attitüde: Ich fliege jetzt für 24 Stunden nach Nigeria und besuche Künstler, die man mir empfohlen hat. Ich wollte gemeinsam etwas entwickeln. Und die Künstler spielten mit? Ich erinnere mich, dass ich ganz vorsichtig in den E-Mails schrieb: «das klingt vielleicht interventionistisch, aber hast du schon mal über das oder jenes nachgedacht …» Und die Künstler haben es mir nicht übel genommen, sondern tolle Werke beigesteuert. Ihren Freund Maurizio Cattelan sucht man aber vergebens … Sie werden keinen einzigen Künstler finden, der an der letzten Biennale dabei war. Ich wollte mich selber auch überraschen. Welche Rolle hat es gespielt, dass für einmal ein Italiener die Biennale kuratiert? Die Erwartungen sind vielleicht schon grösser, auch meine eigenen. Zudem ärgere ich mich auf Italienisch etwas deutlicher als auf Englisch (lacht). Aber wie Proust mal sagte, der grösste Roman scheint immer in einer fremden Sprache geschrieben zu sein. Und in Venedig spricht man meine Muttersprache. Veröffentlicht in der SonntagsZeitung am 2. Juni 2013 About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Yang Fudong, Videodichter

Yang Fudong, Videodichter Ewa Hess | 7. April 2013 – 18:56 Yang Fudong ist der grosse Träumer unter Chinas Kunststars. In seinen hypnotischen Videos lungern junge Menschen in malerischen Gärten herum. Oder sie spazieren in Städten. Sie sind erregt, doch ziellos. Eine abgeklärte Weltmüdigkeit haftet den mandeläugigen Gesichtern an, es ist, als ob sie sich ihre Zeit nur vertrieben. Worauf warten sie? Das erste Mal traf ich Yang Fudong in Shanghai, im Herbst 2007. Ich besuchte ihn in seiner Wohnung und wir sprachen über den dritten Teil seines Video-Poems «Seven Intellectuals in a Bamboo Forest». Frühling 2013 treffe ich ihn wieder, in der Kunsthalle Zürich, er ist hier zur Eröffnung seiner grossen Retrospektive gekommen. Seine langen Haare sind ein bisschen grau geworden, doch er ist der gleiche ernste und sanfte Mann. Er spricht leise, fast ohne den Mund aufzumachen, und lächelt manchmal schalkhaft. Yang Fudong, 41, die Frisur mit Mittelscheitel bildet einen Rahmen für sein sanftes Buddha-Gesicht, beantwortet die Frage in der Kaffeeküche der Kunsthalle Zürich mit einem rätselhaften Lächeln. Und spricht leise vage Sätze wie: «Auch ein Künstler kann die soziale Wirklichkeit seines Landes nicht ausblenden.» Es stimmt, die Wirklichkeit Chinas ist in diesen Videos ebenso allgegenwärtig wie die Sehnsucht nach Schönheit. Eine Fotoserie etwa zeigt eine Dame, wie sie in Begleitung ihrer Verehrer den berüchtigten Shanghaier Club M besucht. Die Bilder in Schwarzweiss evozieren die Romantik der Gangsterfilme aus den 1920er-Jahren. Und doch erzählen sie auch von der existenziellen Leere des heutigen Geldadels. Den Saal daneben füllt – welcher Kontrast! – die erschütternde Installation «East of Que Village», die der Künstler in seiner Heimatgegend bei Bejing filmte (er wohnt jetzt in Shanghai). Auf den Monitoren der Installation tanzt der Wind, das Dorf Que ist verlassen und öde. Heimatlose Hunde, voll schwärender Wunden, laufen hier herum, nagen an Gerippen, beäugen magere Kühe. Auch hier Entwurzelung, Verlorenheit, unstillbarer Hunger – es stellen sich überraschenderweise ähnliche Gefühle ein wie beim Betrachten der Bilder von reichen Clubbern. Die Ausstellung, welche die Zürcher Kunstinstitution dem begehrten Videodichter einrichtete, ist die erste dieser Grösse im Westen. Dennoch ist es keine Retrospektive, wie Co-Kurator Philippe Pirotte erklärt. Das berühmteste Werk etwa ist weggelassen worden, «weil man es schon zu gut kennt». Mit jenem Werk, «Seven Intellectuals in a Bamboo Forest», ist Yang Fudong erst richtig bekannt geworden. Das mehrteilige Epos war das Highlight der Venedig-Biennale von 2007 und hat mit seiner Nouvelle-Vague-Anmutung das westliche Publikum erobert. Yang Fudongs jüngst fertig gestelltes Video für das Modehaus Prada lebt von ähnlicher Ästhetik. Nebst alten chinesischen Quellen (etwa der Geschichte über taoistische Weisen, die sich im 3. Jahrhundert von der Vulgarität des Stadtlebens in ein Bambuswäldchen zurückziehen) ist Yang Fudong auch von westlichen Vorbildern beeinflusst, vor allem von den Filmemachern, etwa Jean-Luc Godard oder Jim Jarmush. Zunächst ohne ihre Filme zu sehen – denn den Kunststudenten war in den 80er-Jahren ein Blick auf die verbotenen Früchte der westlichen Kultur nicht erlaubt. Sie stellten sich Filme, von welchen sie gehört hatten, aber lebhaft vor. Die spätere Begegnung mit den echten «A bout du souffle» oder «Stranger Than Paradise» war schön, wenn auch verwirrend. Die Zürcher Schau überrascht vor allem mit der Entdeckung von Yang Fudongs Humor. Die Groteske traut man dem ernsten Poeten weniger zu – und doch begegnet man ihr hier, vor allem in den früheren Werken. Etwa in der Auftragsarbeit für Siemens aus dem Jahr 2003, in der der Künstler die Idee der Corporate Identity mit Anzügen verhöhnt, welche die Angestellten zusammenzippen oder verknoten. Ein aufmüpfiger Witz im Stil Ai Weiweis blitzt in weiteren Werken auf. «The First Intellectual» etwa zeigt einen properen jungen Mann mit Anzug, Brille und Aktenköfferchen, der sich leicht linkisch anschickt, einen Pflasterstein zu schmeissen. Zu seiner künstlerischen Zukunft befragt, antwortet Yang Fudong gewohnt vieldeutig. Er werde weiterhin disparate Protagonisten wie Hunde und Clubgänger mit der Kamera verfolgen, kündigt er an. Die Ausbreitung des Bilds im Raum, also Videoinstallation, werde aber eine kleinere Rolle in seinem Werk spielen. Er wolle fortan eher «Freestyle Cinema» machen. Weitere Details werden – sanft lächelnd – nicht verraten. Yang Fudong, «Estranged Paradise», Kunsthalle Zürich, bis 26.5.   Publiziert in der SonntagsZeitung am 07.04.2013   About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! 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Martigny mon amour

Martigny mon amour Ewa Hess | 20. Mai 2013 – 23:05 Der Künstler Valentin Carron wird bald die Schweiz in Venedig vertreten – ich durfte ihn in seiner Walliser Heimat besuchen und einen fiebrigen Frühlingstag lang sein Martigny kennenlernen. von Ewa Hess / Bild Fred Merz Die scharfe Frühlingssonne steht Martigny nicht. Unbarmherzig bringt sie die Ungereimtheiten des Ortes zum Vorschein. In den verdunkelten Scheiben von stillos modernen Bürohäusern spiegeln sich malerische Schneegipfel. Das Bahnhofsgebäude aus einem vergangenen Jahrhundert steht verloren zwischen chaotisch angeordneten Parkplatzparzellen. Putzige Ästhetik eines intakten Schweizer Städtchens trifft auf die Zersiedelungsspuren einesaggressiven Baubooms. Valentin Carron entsteigt seinem bequemen Familienauto mit der entspannten Lässigkeit eines Bewohners des amerikanischen Mittleren Westens. So, dass man sofort spürt, wie sehr dieses Auto sein Zuhause ist. Und diese Gegend sein Jagdrevier. Dabei könnte man meinen, der 36-jährige Künstler sei längst seiner Heimatgemeinde entwachsen. Sein Name wird in Paris, New York und London in Grossbuchstaben geschrieben. Er ist der aufstrebende Star der Schweizer Kunst. Geheimnisvoll, eigenwillig, unübersehbar. Vor zwei Jahren verblüffte er die Kunstwelt mit der im Pariser Palais de Tokyo ausgestellten Kunstharz-Replik einer Walliser Weinlaube. In zwei Wochen wird er die Schweiz an der Biennale der Kunst in Venedig vertreten. Doch stur wie ein echter Bergler bleibt Valentin Carron in Martigny wohnhaft. Nur von hier aus, das spürt man, sind diese rätselhaften Skulpturen zu verstehen. Sie nehmen Elemente der Landschaft und ihrer Bebauung auf. Oft sehen sie wie Bergkreuze oder wie Rauverputz-Wände aus. Sie gleichen manchmal den Pergolas, manchmal den Strassenlampen. Doch das ist noch lange nicht das Geheimnis ihrer Wirkung. Ihre Präsenz ist es. Dass sie mit einer archaischen Kraft aufgeladen sind, dem schwarzen Monolith aus Stanley Kubricks berühmten Film «2001: A Space Odyssey» vergleichbar. «Hier, wo ich aufgewachsen bin», setzt Carron zu einer Erklärung an, «komme ich mir vor wie ein Fremder.» So wie er es sagt, muss es etwas Gutes sein. Im Kopf sei er in Zürich, vielleicht in Genf oder Paris zu Hause. Martigny aber sei sein Beobachtungsposten. Denn nur hier gebe es diese Mischung von heimelig und unbehaust, die ein Symptom unserer Zeit sei. Martigny, das sei die westliche Welt in Miniatur. «Nur hier bin ich real», sagt Carron. Ob das ein glücklicher Zustand ist, traut man sich nicht zu fragen. Während wir unseren Allerwelts-Cappuccino im Strassencafé schlürfen, geht schnellen Schrittes Pascal Couchepin mit einem schwarzen Rucksack an uns vorbei. Auch er ein unbeirrbarer Bewohner von Martigny – und sein ehemaliger Bürgermeister. Carron schaut dem Ex-Bundesrat mit einem kleinen Lächeln nach. Es ist ein menschenfreundliches, wenn auch verschmitztes Lächeln. Eine Mischung aus Melancholie und Spott. Noch vor wenigen Jahren wäre es Couchepin gewesen, der den Schweizer Pavillon an der Biennale eröffnet hätte. Wäre das schön, so ein Martigny-Gipfeltreffen in Venedig? Diesmal gilt das spöttische Lächeln der Frage. Diejenigen, die vermutet haben, dass Carron in Venedig etwas besonders Auffälliges inszenieren würde, etwa ein Riesenkreuz, wie 2009 vor dem Eingang zur Art Basel, bleiben auf ihren Erwartungen sitzen. In Valentin Carrons Schweizer Pavillon wird zwar eine 80 Meter lange Schlange die Besucher begrüssen, doch ihr schmaler schmiedeeiserner Körper wird nur dezent den Raum zur Geltung bringen. In Bronze gegossene Musikinstrumente, verbeult, als ob sie schon Generationen von Familienmusikanten gedient hätten, werden die strenge Form des Pavillons brechen. Als Bildelemente installiert der Künstler Remakes von Glasfenstern aus den 50er-Jahren. Er habe viel zu viel Respekt vor der Kunst, sagt Carron, um allzu plakativ auf das Ereignis einer Wettbewerbssituation einzugehen. Stünde dieser Pavillon nicht in den Giardini von Venedig, wohin die ganze Welt guckt, sondern in einem Kunstzentrum in, sagen wir, Portugal, würde er seinen Auftritt auch nicht anders gestalten. Er wolle nur eines: dem schönen, von Albertos Bruder Bruno Giacometti erbauten Pavillon gerecht werden. Seine Form respektieren – und ihr gleichzeitig durch die beharrlich irritierende Form der Werke lautlos widersprechen. Respekt und Widerstand – es ist der gleiche Widerspruch, der bei einem Spaziergang auf dem Friedhof, einem seiner Lieblingsorte, im Blick des Künstlers aufscheint. Wir bleiben bei einem Grab stehen. «Marc Morand – Anwalt und Notar», verkündet die Inschrift, «Bürgermeister von Martigny 1921-1960. Oberst im Generalstab». «Das ist Martigny!», sagt Carron. «Diese Macht, dieser Einfluss, kann man sich das vorstellen?» Hier, auf dem Kirchenacker, inmitten all der Morands, Couchepins, Constantins und auch Gianaddas, merkt man, wie stark die Walliser Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht – die heutigen Patrons tragen die gleichen Namen. Einer von ihnen, der Immobiliengigant Léonard Gianadda, ist im Wallis auch der Chef eines Kunstimperiums. Wenn Martigny eine Miniatur der westlichen Welt ist, dann ist die Fondation Gianadda eine Miniatur von Martigny. Auch hier trifft man auf eine Mixtur nicht zueinanderpassender Elmente: wunderschöne Aussicht, undefinierbares Gebäude und ein Museum, in dem Oldtimer-Autos, gallo-römische Ausgrabungsrelikte und Weltklassekunst leicht windschief nebeneinander existieren. Die Begegnung zwischen Gianadda und Carron muss ein besonderes Spektakel geboten haben – hier der flamboyante Unternehmer und wenig Widerspruch duldende volkstümliche Philanthrop Gianadda, dort der spröde, aber auch ruhig selbstbewusste Kunststar einer intellektuellen Elite. Sie fand jedenfalls statt, diese Begegnung, und resultierte in einem 700 Kilogramm schweren Geschenk – an Martigny. Es ist eine Skulptur in Form einer Aluminiumsäule, viereinhalb Meter hoch, die sich spiralförmig mitten auf der Strasse erhebt und einen Verkehrskreisel in eine archaische Andachtsstätte verwandelt. Wie ein Relikt einer ausgestorbenen Zivilisation wirkt diese Säule, aus der Zeit gefallen, fremd. Die anderen vierzehn Kreisel, die Léonard Gianadda seiner Heimat geschenkt hat, sind wie die meisten Kreisel auf der Welt mit Skulpturen lokaler Grössen ausgestattet, ergänzt durch einen Minotaur Hans Ernis und eine Assemblage Bernhard Luginbühls. «Es war ein Angebot, das man nicht ausschlägt», erklärt Valentin Carron seine Zusage, sich in die Riege der Kreiselkünstler einzureihen, und wir lachen über die Formulierung, die in einen anderen Kontext gehört. Aber er will damit nicht auf Mafiafilme anspielen. Er meint es ernst. Die Anfrage auszuschlagen, wäre ihm feige vorgekommen. Er wollte das gerne machen, für Martigny. Jetzt steht das Werk mitten auf jener Strasse, die nach Fully führt. Dort wurde er geboren. In Fully hatte die Familie des Künstlers ein Cheminée-Geschäft. Hier hat Carron als Kind

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Der Papst schreit

Der Papst schreit Ewa Hess | 28. Februar 2013 – 09:05 Francis Bacons obsessiv gemalten Bilder des schreienden Papstes gehören zu den erschütterndsten Bildern der Nachkriegszeit. Er malte 45 Variationen des berühmten Porträts von Diego Velázquez, auf dem Papst Innozenz X. abgebildet ist. Doch während auf dem Bild des Spaniers (gemalt 1650) der Papst mürrisch und misstrauisch dreinschaut, malte ihn Bacon schreiend. Hier einige Gedanken dazu (es ist der Text meiner Kolumne «Expecting Art» für die Aprilnummer der Kulturzeitschrift «Du»). Als Benedikt XVI demissionierte, tauchte Innozenz X aus der Versenkung auf. Aber was sage ich: Versenkung. Die gab es ja nur in meinem Kopf. In Tat und Wahrheit stolpert man über Francis Bacons schreiende Päpste geradezu. Erstens gibt es ihrer fünfundvierzig. Ja, 45 schreiende Päpste – wenn man sich vorstellt, dass sie nebeneinander hängen, wird man fast wahnsinnig. Zweitens gehören einige unter ihnen zu den teuerst gehandelten Leinwänden unserer Zeit (erst im November ging eins bei Sotheby’s für 29.7 Millionen Dollar weg). Und drittens sind sie alle so intensiv, dass sie, einmal gesehen, dem Betrachter immerfort hinterherschreien. Nur mit konzentrierter Willenskraft bringt man sie wieder aus dem Kopf. Was mir bisher gut gelungen ist. Erst als Papst Ratzinger mit leiser Stimme das Unerhörte verkündet hatte, dass er nämlich geht, einfach so seinen Rücktritt auf den letzten des Monats Soundso angekündigt hat, ganz als wäre er nicht Stellvertreter Gottes auf Erden sondern sein angestellter Buchhalter mit Kündigungsfrist und Vertrag, da explodierte dieser Schrei jäh im Schädel. Uaaaaaaaaah. Den Papst hats verjagt. Der rätselhafte Entschluss des Papstes hat Gemeinsamkeiten mit dem rätselhaften Bild. Denn da ist einerseits ein konservativer Papst, der seinem Vorgänger Johannes Paul II eine Stütze und ein Berater war und aus nächster Nähe zusehen durfte, wie der andere seinen Kampf mit Krankheit, Müdigkeit und dem Alter vor den Augen der ganzen Welt zelebrierte – ohne je daran zu denken, die heilige Pflicht niederzulegen. Und Ratzinger wäre nicht Ratzinger, wenn er nicht bemerkt hätte, wie dieses Verhalten auch strategisch einen starken christlichen Kontrapunkt zur Entsorgungsmentalität unserer Zeit setzte. Nein, aus Müdigkeit hat er kaum resigniert. Was war aber dann der Grund für Ratzingers Rücktritt? Steht es um unsere Welt und die katholische Kirche mittendrin wirklich so schlimm bestellt, dass er diese Bürde auf seinen 86-jährigen Schultern nicht mehr tragen konnte? «Es scheint, als wolle das Böse ständig die Schöpfung Gottes beflecken, um Gott zu widersprechen und seine Wahrheit und Schönheit unerkennbar zu machen», flüsterte der Papst bei einem seiner letzten Auftritte. Wenn das kein stummer Schrei war. Die in ihrer Schönheit bedrohte Schöpfung ist ja andererseits auch Bacons Thema. Er wollte den Schrei des Papstes, eigentlich jedes Bild, «schön» hinkriegen. «Ich wollte den Schrei des Papstes als etwas darstellen, welches die Intensität und die Schönheit von Monets Sonnenuntergang haben würde», sagte er anfangs der siebziger Jahre zu seinem Vertrauten Peter Beard. Da hatte er vom Papst-Sujet schon seit einer Weile Abschied genommen – seit der Mitte der Sechziger Jahre liess diese Obsession nach. Es war eine Besessenheit, die ihresgleichen sucht. Während zwanzig Jahren hat das ursprünglich von Diego Velázquez 1650 gemalte Bildnis vom Papst Innozenz X den irischen Gegenwartsmaler Bacon gefangen gehalten. Wenn er das das Velázquez-Bild irgendwo abgebildet sah, kaufte er das Buch, riss die Seite mit dem Papst heraus und pinnte sie an die Wand seines Ateliers in London. Als er aber 1954 nach Rom fuhr, entschied er sich gegen den Besuch des Originals, welches dort in der Sammlung Doria Pamphili hängt – ganz so, als ob er vor dieser Begegnung Angst haben würde. Zwanzig Jahre, in welchen er immer wieder den schreienden Papst malte, haben Bacon nicht einmal an den Rand des Verstädnisses herangeführt. Als er die Päpste aufgab, war es nicht, weil er ihr Geheimnis ergründet hatte. Nein, nein. Es wurde ihm schlicht zu blöd. «Silly», das war sein Wort. Er nahm es dem Sujet übel, dass es ihn so lange genarrt hat, ohne ihn wirklich hereinzulassen: «Ich mag diese Päpste wirklich nicht», sagte er zu Peter Beard. «Wenn der Papst schrie, schrie das Bild nicht. Ich hätte es viel besser machen können». Was ja aus heutiger Sicht überhaupt nicht stimmt. Der von einem Vorhang erstickte Schrei des Papstes, kombiniert mit seiner starren Sitzhaltung auf dem Thron, der auch ein elektrischer Stuhl sein könnte, gehört zu den erschütterndsten Bildern der Nachkriegszeit. Es ist eine schmerzhaft erstickte Intensität in diesem Schrei drin: der lautlos geöffnete Maul mit Zähnen, die unnatürliche Körperhaltung, die Hände, die sich krampfhaft um die Armlehnen schliessen. Dass es sich um einen Ausdruck der vergangenen Kriegsgreuel handelt, und dass mit dem Bild des Papstes die zwiespältige Rolle der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg symbolisiert wurde, gehört denn auch zu den häufigen Interpretationen dieser Bildserie – natürlich nebst vieler anderen. Wie könnte es bei Bacon anders sein. (Im Übrigen hat man in seinem Atelier durchaus auch Bilder von Pius XII gefunden, dem Kriegspapst, der trotz seines Wissens um den Holocaust lange und hartnäckig schwieg, was immer noch ein wundes Thema innerhalb der katholischen Kirche ist.) Der ursprüngliche Velázquez-Papst, Innozenz X, schreit ja nicht. Er schaut mürrisch und misstrauisch drein, die zusammengepressten Lippen verraten einen illusionslosen Machtpolitiker. Innozenz X, aus der Prinzenfamilie der Pamphilis, stand unter der Fuchtel seiner geldgierigen Schwägerin Olimpia Maidalchini, führte selbst ein strenges Regiment und war für seinen Zorn bekannt. Er soll das gnadenlose Porträt mit dem säuerlichen Spruch «troppo vero», zu wahr, kommentiert haben. Der Schrei ist Bacon aus anderen Quellen zugefallen. Da war einerseits ein Buch über Mundkrankheiten, das ihn seit früher Jugend fasziniert hat. Und auch der Schrei des vom Gewehrfeuer niedergestreckten Kindermädchens in der berühmten Treppensequenz des Films «Panzerkreuzer Potemkin» von Sergej Eisenstein. «Potemkin» ist ein Stummfilm, auch dieser schreckliche Schrei bleibt also lautlos. Michael Peppiatt, Francis Bacons Biograph, erinnert sich in seinem Erinnerungsband «Gespräche in der Nacht» an lange Nächte mit Bacon im Colony Room, dem Lieblingsclub des Malers in Soho, und wie in ihnen ein Riss aufklaffen konnte. Nach Stunden des Redens und des Trinkens, beschreibt Peppiatt, «riss etwas auf, eine Lücke, ein Spalt», plötzlich

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Szeemanns Archiv bei Getty

Szeemanns Archiv bei Getty Ewa Hess | 14. Februar 2013 – 07:59 Nachdem Getty Harald Szeemanns Archiv gekauft hatte, wird es jetzt dem Publikum zugänglich gemacht. Ein warmherziges neues Video erinnert an den grossen Schweizer Ausstellungsmacher. Die von Getty realisierte 10-min-Version erklärt auch zwischen den Zeilen, weshalb Ingeborg Lüscher und Uma Szeemanns das Archiv an Getty verkauft haben, obwohl es dadurch aus Europa verschwand – weil die Kuratorin dort die Bedeutung des Konvoluts erkannte und fest entschlossen war, es so schnell wie möglich den Studenten zugänglich zu machen. http://www.youtube.com/watch?v=C-Z6hMdWcNU&feature=player_embedded About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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