Literatur

Bärfuss vs. Berset

Bärfuss vs. Berset Ewa Hess | 17. Mai 2015 – 10:26 Nachdem die Solthurner Literaturtage eine Begegnung zwischen dem Schriftsteller Lukas Bärfuss und dem Bundesrat Berset angekündigt haben, bat ich Bärfuss um ein Treffen – im Vorfeld. Wir unterhielten uns dann im Bahnhofbuffet Zürich über die Sprache der Politik, die Macht des Virtuellen und Max Frisch als StrafaufgabeEwa Hess Ihre Diskussion mit Bundesrat Berset wird in der Presse als «Bärfuss gegen Berset» angekündigt. Ein Kräftemessen? Nein, ein Kampf ist nicht beabsichtigt. Ich kenne nur einen Gegner – das sage ich auf die Gefahr hin, ­eitel zu klingen –, das bin ich selbst. Deshalb fange ich mit der Kritik immer bei mir an. «Zur Sprache finden» heisst das Thema – diskutieren Sie auf Deutsch oder auf Französisch? Damit sind wir schon mitten in der Diskussion um die Schweizer Identität, in der es immer auch um die Vielsprachigkeit geht. Das wird interessant werden. Interessant oder intéressant? Ich versichere Ihnen, mein Französisch ist gut genug. Sie werden sich also auf Französisch unterhalten? Sicher auch. Sprechen Politiker und Schriftsteller vom Gleichen, wenn sie von der Sprache sprechen? Jedenfalls bewegen sich Politiker – wie die Schriftsteller auch – in einem System, das sprachlich ­definiert ist. Die Gesetze sind in Sätze gefasst. Die Bundesverfassung ist ein Text. In der Politik geht es aber um eine «Sprachregelung» – so nennt man die unverfänglichen Amtsformulierungen –, in der Dichtung hingegen um einen freien Umgang mit dem Wort. Dennoch ist ein Gesetz zuerst Sprache und muss also interpretiert werden. Deshalb geht den Anwälten die Arbeit nie aus. Mich als Schriftsteller interessiert aber vor allem das, was die Sprache nicht ausdrücken kann. Wie meinen Sie das? Der Schriftsteller ist einer, der die Sprache nicht versteht. Er bleibt ihr gegenüber kritisch, sucht ihre Grenzen. Erst dort gibt es etwas zu entdecken. Und der Politiker? Ein Politiker muss Interessen definieren und durchsetzen. Bei ihm heisst es: Wir bezahlen exakt so und so viel Steuern, die Höchst­geschwindigkeit ist siebzig, Frauen haben keine Quote und Ausländer weniger Rechte. Er setzt damit eine Wirklichkeit, und es gibt Menschen, die unter dieser Wirklichkeit leiden. Gerade darum verstecken sich doch Politiker gerne hinter sogenannten Unwörtern wie «Ventilklausel» oder «Klimakompensation». Politiker sind tatsächlich oft die Lieferanten dieser Worthülsen, doch nicht sie alleine schleusen sie in den öffentlichen Diskurs ein. Sehen Sie die Rolle des Schriftstellers darin, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren? Die Verantwortung für eine adäquate Sprache soll man weder an Schriftsteller noch an Politiker delegieren. Die Aufgabe haben alle. In Ihrem Buch «Stil und Moral» sprechen Sie von einer «wachen» im Gegensatz zu einer «schlafenden Öffentlichkeit». In diesem Essay, «Das Volk und ich», geht es um die Rechtfertigung der Volksinitiative als ein Instrument der Veränderung. Aber ohne Zweifel verändert sich die Öffentlichkeit gerade dramatisch. Woran erkennen Sie das? Es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Hypnose. Wir sind alle endlos fasziniert von unseren technologischen Möglichkeiten. Das Virtuelle definiert die Orte, Methoden und Prozesse des Öffent­li­chen um, während aber unser Staat und viele unserer Rechte noch eine physische Präsenz voraussetzen. Seit dem Erscheinen von «Stil und Moral» werden Sie als das Gewissen der Schweiz gefeiert, als neuer Max Frisch. Ist das ein Kompliment für Sie? Ich weiss, dass es als Kompliment gemeint ist, und darum freut es mich. Es hilft mir aber nicht bei der Arbeit. Zuschreibungen sind keine Denkhilfe. Wie stehen Sie zu Max Frisch? Ich habe zu Frisch eine lange Beziehung, die früh in meiner Schulzeit begann. Wie jeder Schweizer – seine Werke sind Schullektüre. Ich bekam seine Texte als Straf­aufgabe. Wie das? Ganz konkret, ich musste sie zur Strafe aus dem Lesebuch abschreiben. Die Höchststrafe war «Der selbstsüchtige Riese» von Oscar Wilde, das waren neun Seiten. Bei geringeren Vergehen gabs «Der andorranische Jude» von Frisch. Der war kürzer. Frisch war für mich also das kleinere von zwei Übeln. Sehen Sie sich selbst als seinen Nachfolger? Nein, der Vergleich ist unzulässig. Max Frisch und ich sind nicht Zeitgenossen. Er sah sich einer anderen geschichtlichen Situation gegenüber. Das bipolare politische System existierte damals noch. Und auch die atomare Bedrohung. Während jetzt … … ja, wie ist die Situation jetzt? Deutlich unübersichtlicher. Es fällt zudem schwer, die eigene ­Si­tuation zu analysieren. Es bleibt ein Ringen, während man versucht, eine Haltung zu entwickeln … Wie Sie es kürzlich in der Sendung «Arena» zur Flüchtlingstragödie taten? Da reagierte ich auf eine konkrete Situation: Die Anfrage für die ­Sendung kam während meiner ­Ferien. Und? Ich war mit meiner Familie am ­Mittelmeer. Das Wasser war schrecklich kalt. Dazu die Bilder der Katastrophe vor der Küste Libyens in den Medien. Ich konnte dem Thema nicht ausweichen und beschloss, mich der öffentlichen Diskussion zu stellen. Sie sagten in der Sendung, diese Flüchtlinge seien Helden. Warum? Weil sie für die Aussicht auf eine bessere Zukunft ihr Leben riskieren. Auch in dieser Diskussion spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Nehmen wir ein Wort wie «Schlepper». Warum sagen wir nicht «Fluchthelfer»? Ich habe kürzlich mit einem Freund gesprochen, dessen Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg aus den sowjetisch besetzten Zonen in den Westen geflohen ist – erfolgreich dank einem Fluchthelfer, dem man noch heute dankbar ist. Die Bezeichnung «Schlepper» beinhaltet eine Delegitimierung der Flüchtlinge, indem sie ihnen die Autonomie des Fluchtwunsches abspricht. Sie wurden im Verlauf der Sendung zunehmend stiller. Hat Sie die Diskussion enttäuscht? Nun, ich lege nur Wert auf Umgangsformen, möchte höflich bleiben und Menschen ausreden lassen. Das sind keine Tugenden, mit denen man in einer solchen Sendung zu Potte kommt. Das klingt wie eine – höfliche – Kritik an der «Arena». Nein, das sind die Spielregeln. Ich lebe gerne nach dem Prinzip, mich einmal pro Tag lächerlich zu machen. Im Unangreifbaren zu bleiben, würde mich langweilen. Rufen Sie darum Ihre Leser dazu auf, Ihr Buch wegzu­werfen? «Die Lektüre ­literarischer Essays ist ­moralisch nicht zu recht­fertigen», heisst es im letzten Satz von «Stil und Moral». Ich werde auf diesen Text oft angesprochen und merke, dass er nicht überall verstanden wird. Das ist eine poetische Haltung! Eine Polemik gegen eine Überzeugung der bürgerlichen Verfasstheit: dass uns

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Cohn-Bendits Dämonen

Cohn-Bendits Dämonen Ewa Hess | 18. Mai 2014 – 14:21 Im Hotel Castello del Sole in Ascona TI ist selbst die aufgeregte Stimmung eines Festivals kultiviert gedämpft. Die Sonne spiegelt sich im Lago Maggiore, internationale Literaten reisen an, um im Rahmen der Frühlingsveranstaltung «Eventi letterari» auf dem Monte Verità Ideen auszutauschen. In diese Umgebung scheint Daniel Cohn-Bendit nicht so recht zu passen. Mit dem schnellen Schritt eines Berufspolitikers betritt der «rote Dany» die Lobby. Die Haare des deutsch-französischen Doppelbürgers sind nicht mehr rot, doch der Blick hinter der runden Brille verrät ungebremste Neugierde und Debattierlust. Unser Treffen fällt mit seinem persönlichen Wendepunkt zusammen: Daniel Cohn-Bendit, 69, nimmt Abschied von der Politik. Nach 20 Jahren im Europaparlament als Vertreter abwechselnd der deutschen und der französischen Grünen setzt sich der ehemalige Rädelsführer des französischen Studenten­aufstands von 1968 zur Ruhe. Nach Jahren des Pendelns zwischen Brüssel und Frankfurt und einer überstandenen Krebserkrankung will Cohn-Bendit nun mit Ingrid Apel, mit der er seit 1997 verheiratet ist und einen erwachsenen Sohn hat, das Leben geniessen. Er wohnt in Frankfurt mit befreundeten Paaren gleichen Alters in ­einer Hausgemeinschaft. Daniel Cohn-Bendit, Sie ­sprechen zum Thema ­«Politische Utopien und ­persönliche Dämonen». Was erwartet uns da? Utopien und Dämonen sind das Thema des Literaturfestivals hier in Ascona. Ein gut gewähltes Thema, denn Utopien rufen Dämonen auf den Plan. Inwiefern? Utopien können sich radikalisieren und verselbstständigen. Darin liegt etwas Dämonisches, weil Utopie dann zum Selbstzweck wird und den Menschen aus dem Blick verliert. Beispiel? Schauen Sie meine Laufbahn an. Zuerst gab es für mich Sozialuto­pien – den Traum von einer besseren Gesellschaft. Verbunden mit der Revolte in den 60er-Jahren, hatte ich eine antiautoritäre Utopie. Daraus folgend, gab es für mich die grüne Utopie, das heisst die Vision, dass man Politik auch anders machen kann. Dann die europäische Utopie. Die Ziele mussten stets neu verhandelt werden, damit sie nicht auf Abwege geraten. Abwege? Meinen Sie damit etwa den Terrorismus? Absolut. Der Versuchung der Radikalisierung bis zur Gewalt hin bin ich klar entgegengetreten. Durch das Diskutieren, das Gegeneinanderabwägen kann man Dämonen im Zaum halten. Sie haben aber immer ­provoziert. Führt Provokation nicht auch zu Gewalt? Nein. Die Provokation zielt nicht auf die Vernichtung des anderen, im Gegenteil, sie will sich mit ihm auseinandersetzen. In den 70ern war meine Lust am Provozieren aber so stark, dass sich diese Haltung verselbstständigt hat – zum Dämon wurde. Ich wollte immer noch eins draufsetzen. Etwa in der französischen ­Kultursendung «Apostrophe» von 1982. Sie sagen da, dass Sie ein Haschischbiskuit intus hätten und erzählen, wie Sie im antiautoritären Kindergarten mit Kindern Sexualität entdecken würden. Sehen Sie, nein! Sie schildern das falsch. Nicht wie ich, sondern wie die Kinder die Sexualität entdecken! Das ist nicht das Gleiche. In dieser Sendung erzähle ich, wie die Kinder ihre Sexualität entdecken, und mokiere mich über die Reaktionen der Erwachsenen darauf. Ähnliches beschrieben Sie 1975 in Ihrem Buch «Der Grosse Basar», das seit einigen Jahren unter Verdacht steht, pädophile Handlungen zu ­verherrlichen. Eines mal vorweg: Diese Passagen waren nicht so gemeint, wie sie heute interpretiert werden. Überhaupt, das ganze Buch war nicht so gemeint, es war auch nicht nur Provokation, es gibt darin Kapitel über jüdische Identität in Israel, ein Thema, das mich heute wieder beschäftigt. Das Buch hat übrigens, als es herauskam, niemanden provoziert, es war überhaupt kein Skandal. Inzwischen weiss die Gesellschaft aber viel mehr über den Missbrauch von Kindern. Es gab damals Opfer, Kinder, die nicht beschützt worden sind. Ja, das ist empörend und sehr traurig. Aber ein Teil der Öffentlichkeit geht in diese Auseinandersetzungen nicht mit der Haltung «Versuchen wir zu verstehen, was da wirklich war oder nicht war», sondern mit der Haltung «Jetzt müssen wir ganz klar ein Urteil sprechen». Mit scharfen Urteilen hat die Generation der 68er auch nicht gerade gegeizt. Das stimmt. Es kann schon sein, dass das jetzt eine Retourkutsche ist. Ein Urteil, das jedes Argument zum Schweigen bringt. Wie gehen Sie damit um? Es hatte mich am meisten getroffen, als ich den Theodor-Heuss- Preis letztes Jahr bekommen habe und es in Stuttgart eine Demonstration gegen mich gab. Es hiess, man könne diesen Preis für freiheitliche Gedanken nicht einem wie mir geben. Haben Sie das nicht erwartet? Nicht in dieser Heftigkeit. Da ging es nicht mehr um den Text, da sollte plötzlich bewiesen werden, dass er einer pädophilen Realität entspricht. Was aber nie bewiesen werden konnte, weil es da keine gab. Da gab es meinerseits weder Gelüste noch Taten. In der Schweiz wird bald über eine Initiative abgestimmt, die für Pädophile ein Berufsverbot für Arbeit mit Kindern fordert. Wie würden Sie stimmen? Wohl dafür. Grundsätzlich ist es richtig: Wenn jemand pädophil ist, soll er nicht mit Kindern arbeiten. Das Problem liegt aber woanders. Wo liegt es? Man konzentriert sich dadurch auf Pädophile, die man durch ein Berufsverbot von den Kindern fernhalten kann. Dabei geht die Tatsache vergessen, dass die Mehrheit der pädophilen Täter Familienangehörige sind: Onkel, Väter. Das reale Problem umreisst eine andere Frage: Darf jemand, der begründet der Pädophilie verdächtigt wird, Vater werden? Sie sagen: begründet. Heute wiegt auch ein unbegründeter Verdacht schwer. Das stimmt. Darum wollen etwa in Deutschland immer weniger junge Männer Grundschullehrer werden oder in Kindergärten arbeiten. Ein Schüler meiner Frau hat ein Praktikum im Kindergarten gemacht. Er war begeistert, und die Leiterin hat ihn toll gefunden, aber gesagt, dass sie in Zukunft keine Männer mehr einstelle. Warum? «Weil wir aufpassen müssen.» Wir leben in einer Verdachtsgesellschaft. Spontane Zärtlichkeit den Kindern gegenüber ist gefährlich geworden. «Du musst deine Freundin anders lieben», schrieben Sie in einer Schrift aus den 60er-­Jahren. Was meinten Sie damit? Was weiss ich, was ich damals meinte. Aber heute vergisst man, wie verklemmt diese Gesellschaft damals war. In Frankreich brauchte eine verheiratete Frau die schriftliche Erlaubnis ihres Mannes, wenn sie ein Bankkonto eröffnen wollte. Bis 1973 war Homosexualität unter Strafe verboten. Es ging uns darum, ein offeneres Verhältnis zu Sexualität und Liebe zu entwickeln und nicht ein Herrschaftsverhältnis zwischen Mann und Frau. Ihr eigenes Leben verläuft in Bahnen, die dem Ideal eines braven Bürgers entsprechen –

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Professor von Matt

Professor von Matt Ewa Hess | 4. Dezember 2012 – 14:13 Peter von Matts Fähigkeit, ohne Überheblichkeit klug zu schreiben, ist eine seltene Gabe. Ich treffe meinen Germanistik-Professor Jahrzehnte nach meiner mündlichen Prüfung (Thema: Friedrich Glauser) zu einem Mittagessen. Der Anlass: Peter von Matt hat den Schweizer Buchpreis für seinen Essay-Band «Das Kalb vor der Gotthardpost» bekommen. Auf die Frage, wo er mich treffen möchte, sagt er ohne zu zögern: Brasserie Federal. Hier ist er: Seine S-Bahn kommt 11.32 Uhr im Hauptbahnhof Zürich an. Peter von Matt, 75, bekanntester Germanist der Schweiz und frisch gekürter Träger des Schweizer Buchpreises, betritt vier Minuten später die Brasserie Federal. «Hier hat Arnold Kübler jeweils frühmorgens seine vier «Öppi»-Romane geschrieben», sagt von Matt und schaut sich um, als ob er nach dem Geist des 1983 verstorbenen Schweizer Intellektuellen und «Du»-Gründers Ausschau hielte. «Soll ich den Kartoffelstock vorlesen?», fragt er unseren Fotografen, als der ihn bittet, die Menükarte in die Hand zu nehmen. Mittags esse er meistens nur einen Salat, verrät von Matt, doch zur Feier des Tages bestellen wir Kalbsleberli mit Rösti, ganz so, als ob wir uns das titelgebende Tier seines preisgekrönten Buchs «Das Kalb vor der Gotthardpost» einverleiben wollten.Im Buch steht das Kalb stellvertretend für die ganze Schweiz. Wie vom Zürcher Maler Rudolf Koller im Bild «Die Gotthardpost» dargestellt, rennt es flüchtend dem Fortschritt in die Hufe. «Kalb und Huhn», überschrieb denn auch die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» die Meldung, dass der Schweizer Buchpreis an von Matt ging. Als Huhn wird in seinem Buch der Schweizer Föderalismus bezeichnet, der «goldene und faule Eier durcheinander legt».Über Tierbilder, sagt von Matt, könne man mit den Lesern intensiv kommunizieren, «jeder hat eine Kuh- oder Katzenerfahrung». Im Hause von Matt habe es früher, als Sohn und Tochter noch klein waren, ein Kaninchen gegeben. Das sei zwar ganz allein gewesen, was heute verboten wäre, doch es habe ihm nicht geschadet, denn es sei «steinalt» geworden.Die von Matts leben seit 35 Jahren in der Zürcher Vorortsgemeinde Dübendorf, wo «man nicht wohnt», wie von Matt die arrogante Haltung des Zürichbergs höflich in Worte fasst. Professor von Matts Augen allerdings leuchten auf über seinem Teller. «Mich fasziniert Dübendorf!» Das Ausrufezeichen wird akustisch deutlich. Die für schweizerische Verhältnisse ungewöhnliche Dynamik des Ortes sei eine «soziologische Testsituation». Von Matts Garten liege direkt an der Glatt, wo der Dübendorfer Spazierweg vorbeiführt. Gemeinsam mit seiner Frau, der Germanistin und Autorin Beatrice von Matt, kann er an einem Sonntagnachmittag die polyglotten Gesprächsfetzen der Vorbeispazierenden hören und so den Wandel erfahren.Wenn sie beide zu Hause sind, kochen von Matts abwechselnd. Gegessen werde bei ihnen, «was man in der Schweiz so isst». Einfache Gerichte, doch sie sollten auf bestmögliche Art zubereitet sein. Also ein perfekter Risotto, nicht Lachsmousse mit Olivenschaum. Die Vermutung, dass die beiden Germanisten beim Verzehr des Risotto die neusten Romane durchhecheln, amüsiert von Matt. Über seine Buchpreis-Konkurrenten hat er aber nur Gutes zu sagen. Und attestiert insbesondere Sibylle Berg «frappierende stilistische Fähigkeiten». Ihn selbst hat der strengste Kritiker der deutschsprachigen Literatur, der «Papst» Marcel Reich-Ranicki, einst den «bedeutendsten lebenden Schriftsteller der Schweiz» genannt. Von Matt will das nicht hören: «Ich hasse den Satz», sagt er, und man merkt, wie oft er damit schon konfrontiert wurde. Erstens stimme es nicht, erklärt er, und dann gebe es eine so eindeutige Skala doch gar nicht. Im Übrigen habe die Schweiz gerade jetzt eine sehr reiche Literaturwelt. Gar nicht so apolitisch, wie in den Feuilletons geklagt werde. Das Politische verschaffe sich heute nur auf eine andere Weise als früher Gehör. Nicht als ein Frontenkrieg, sondern in kleinen Dosen überall. Auch die Medien seien anders geworden, vielstimmiger. Die Art von «Aufsprengen», wie es Frisch und Dürrenmatt praktizierten, brauche es darum nicht mehr. Er sei dennoch froh, dass dank seinem Buchpreis die Tradition der Essays und Sachtexte wieder in Erinnerung gerufen werde, in der Schweiz seien sie zu Unrecht unterbeachtet. Dabei machten diese gerade eine unserer Stärken aus, wenn man etwa an Kulturhistoriker wie Jacob Burckhardt zurückdenke. «Eher taucht ein Walfisch im Leutschenbach auf, als dass einer dieser Obelisken unserer nationalen Kultur in einer ‹Tagesschau› Erwähnung fände», schreibt von Matt im Buch und meint die kritischen Editionen von Gottfried Keller, Ulrich Bräker, Charles-Ferdinand Ramuz, Conrad Ferdinand Meyer oder Robert Walser. Durch die Nichtbeachtung dieser Leistungen entgehe dem Schweizer Fernsehen ein sehr attraktiver Stoff, sagt von Matt und schüttelt ein fertiges Sendekonzept aus dem Ärmel: Sätze, die sich in Bilder verwandeln, Gottfried Kellers Manuskripte, die in der Zentralbibliothek noch so liegen, wie er sie hinterlassen hat, visuelle Ausflüge in die Geschichte der schreibenden Schweiz … Man sieht den charismatischen Professor sofort als den einzigen möglichen Moderator einer solchen Sendung vor sich, doch er winkt lachend ab: Beim Fernsehen wird man immer geschminkt, peinlich. Das Wort «Schrott» sei als Paukenschlag gedacht Mit dem Fernsehen ist er sowieso streng. Achtzig Prozent des Samstagabendprogramms aller Kanäle zusammen sei Schrott, steht im Buch. Von Matt zeigt sein komplizenhaftes Lächeln, das Wort «Schrott» sei als Paukenschlag gedacht, ein kalkulierter Stilbruch. Man müsse beim Schreiben immer mal die Tonlage wechseln. Wir sind beim Kaffee Crème angelangt. Ich will noch wissen, ob ihm das Schreiben so leicht falle, wie die Texte beim Lesen wirken. Natürlich nicht, da sei viel Arbeit dahinter. Nach der ersten Niederschrift der Gedanken fängt die Mühe erst an: Sätze kürzen, Formulierungen präzisieren, Akzente setzen. Dazwischen lese er immer wieder Texte zum Thema. Das sei überhaupt das schönste Lesen, wenn es mit der eigenen Arbeit zu tun hat, sich damit verbindet. Ob er auch eigene Texte wieder lese? Ja, wenn er etwas zitieren will. Da staune er, wie viel man auch vom Eigenen schon vergessen habe. Und manchmal denke er sogar: «Das isch no cheibe guet.» About Ewa HessSwiss journalist, Editor Arts @Sonntagszeitung, ZürichView all posts by Ewa Hess » @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary!

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Henning Mankell zuhause

Henning Mankell zuhause Ewa Hess | 25. September 2011 – 22:46 von Ewa Hess @ SonntagsZeitung Südlich von Göteborg hängt der graue schwedische Himmel tief über den Feldern. Als die steinige Küste am Horizont auftaucht, biegt der Weg in den Wald ab. Die holprige Naturstrasse steigt sanft an, bis ein Holzhaus sichtbar wird: Vorhänge hinter den Fenstern, Rosen im Vorgarten. Henning Mankell erwartet uns auf der Schwelle seines Göteborger Heims. Hier lebt er gemeinsam mit seiner dritten Frau, der zweiten Tochter des Filmregisseurs Ingmar Bergman, wenn er nicht gerade in Maputo, Moçambique, das Teatro Avenida leitet. Der gegenwärtig erfolgreichste Kriminalautor der Welt trägt ein dunkel gemustertes Hemd und eine Faserpelzjacke mit Reissverschluss. Sein Blick könnte als skeptisch interpretiert werden, wenn das Funkeln einer amüsierten Neugier in den Augen nicht so deutlich wäre. Herr Mankell, Sie sind also noch nicht aufgebrochen? Wohin? Mit der neuen Gaza-Flotille das israelische Embargo brechen … Keine Sorge, ich werde auch diesmal mitgehen, wenn es notwendig sein sollte. Ich konnte schon vor einem Jahr nicht verstehen, weshalb ich der einzige Schriftsteller war, der an der Aktion teilnahm. Vielleicht zweifelten Ihre Kollegen an dem Unterfangen? Nein, ich hörte von allen, wie gut sie es fanden, dass ich dabei war. Und ich dachte für mich – wo warst denn du? Nur wenige haben mir gestanden, dass sie schlicht und einfach Angst hatten. Das akzeptiere ich. Sie selbst hatten keine Angst? Nein. Obwohl Sie doch physisch bedroht wurden? Nicht das erste Mal in meinem Leben. Und ich habe ja keine kleinen Kinder. Und meine Frau war einverstanden. Es war für sie dennoch nicht einfach, als sie um fünf Uhr morgens von den Journalisten mit der Frage geweckt wurde, ob es stimme, dass ich tot sei. Dennoch sagt sie auch diesmal, dass ich gehen soll. Vorher aber kommen Sie nach Zürich zur Premiere Ihres Stücks «Miles oder die Pendeluhr aus Montreux» im Rigiblick. Warum gerade in dem Kleintheater? Wenn es ums Theater geht, spielt Grösse wirklich keine Rolle. Ich habe schon in ganz kleinen Häusern fantastische Aufführungen gesehen. In diesem konkreten Fall kam der Kontakt über Hansjörg Betschart zustande, der meine Stücke ins Deutsche übersetzt und bei dieser Inszenierung Regie führt. Das Stück handelt zum Teil in der Schweiz, in Montreux, wo Miles Davis auftritt. Sind Sie selbst ein häufiger Gast des Jazzfestivals? Früher war ich das. Ich habe Miles-Davis-Konzerte dort erlebt und auch seinen Chauffeur getroffen, der im Stück vorkommt. Den Mann gab es wirklich. Er erzählte mir damals, wie es dazu kam, dass der Musiker sich nur noch von ihm kutschieren liess. Wie? Bei ihrer ersten Begegnung sass Miles Davis hinten im Wagen und fragte den Chauffeur: «Magst du meine Musik?» Und der sagte Nein. Das hat dem Erfolgsverwöhnten wohl imponiert. Er vertraute ihm danach in allem, liess sich von ihm beraten, welche Schuhe er für welches Konzert anziehen soll. Würde es Ihnen gefallen, wenn jemand sagen würde, dass er Ihre Romane nicht mag? Hm, ich weiss nicht. Das hat mir noch nie jemand gesagt (lächelt). Im Übrigen brauche ich keinen Fahrer. Und wenn ich Beratung will, kann ich mich auf meine Frau verlassen. Wie ist es, mit der Tochter der Legende Ingmar Bergman verheiratet zu sein? Ich kannte Ingmar Bergman zuerst. Als Eva und ich uns entschlossen, zusammenzuleben, brachte das Ingmar und mich noch näher. In seinen letzten Lebensjahren war ich wohl der einzige Mensch, den zu sehen er ertrug. Las er Wallander-Romane? Er verschlang sie. Er las überhaupt alles, was ich schrieb, und gab mir wertvolle Ratschläge. Und Ihre Frau? Natürlich. Da wir beide Theatermenschen sind, teilen wir auch im kreativen Bereich sehr viel. Sie wird zur Premiere in Zürich mitkommen, und ich war am Samstag an ihrer Premiere hier in Göteborg: ein immenser Erfolg. Ich bin sehr stolz auf sie. Sie leiten ein Theater in Afrika, Ihre Frau führt in Schweden Regie. Wie funktioniert das? Ganz gut. Aber natürlich muss man für jede Leidenschaft, wie die unsere fürs Theater oder die meine für Afrika, einen Preis zahlen. Woher kommt Ihre Faszination für Afrika? Die Sehnsucht eines Nordländers nach der Sonne? Nein. Mein kindlicher Traum betraf eine andere Sehnsucht, nämlich jene, das Ende der Welt kennen zu lernen. Und das war für Sie Afrika? Das war das Exotischste, was ich mir vorstellen konnte. Und als ich 1972 erstmals zu einer grossen Reise aufbrach, war das Ticket nach Afrika billiger als das nach Südamerika. Doch mittlerweile sind meine Gründe, dort zu leben, andere geworden. Welche sind es heute? Es tut uns gut, die Welt aus einem anderen Blickwinkel als dem europäischen zu betrachten. Und in Afrika liegt die Wiege der menschlichen Zivilisation. Wir alle haben eine afrikanische Grossmutter! Und Palästina? Weshalb engagieren Sie sich in diesem Kampf? Ich hasse alles, was mich an Apartheid erinnert. Und in Israel wiederholt sich die Geschichte. Kommt Ihnen das türkische Protektorat für die Gaza-Hilfsschiffe nicht scheinheilig vor? Ach, wissen Sie, in der Politik gibt es keine einfachen Allianzen. Man muss sich heutzutage nun mal mit komplexen Situationen herumschlagen. Ich bin dagegen, dass man das zum Anlass nimmt, nichts zu tun. Geht es vor allem darum, Gaza zu helfen oder Israel zu schaden? Ich weiss, dass bei der Freedom Flotilla Gruppen dabei sind, die eine Auslöschung des israelischen Staates verlangen. Diese Einstellung kritisiere ich. So wie ich die Hamas kritisiere. Sind die Veränderungen in Nordafrika der Lösung des Konflikts im Nahen Osten förderlich oder eher abträglich? Ich halte den arabischen Frühling für einen Glücksfall – auch für Israel. Denn das, was man in Israel Demokratie nennt, ist eine andere Form von Diktatur. Israel hat jetzt eine Chance, seinen eigenen Frühling zu erleben. Soll die Schweiz Palästina als Staat anerkennen? Ich denke, ja. Es ist keine perfekte Lösung, ich gebe es zu. Aber man sollte es tun, weil es auf Israel eine Signalwirkung haben wird. Was halten Sie von der Politik der Guten Dienste, wie Sie von der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey betrieben wird? Die ist mir gar nicht aufgefallen. Im Gegensatz zu den rassistischen Plakaten, mit welchen die Populisten bei Ihnen

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Blue Chip Schweizer Kunst

Blue Chip Schweizer Kunst admin | 21. Januar 2011 – 10:30 Schweizer Künstler kassieren Milliarden! schreit das Titelblatt der «Weltwoche». Und man merkt es schon am Ton, eigentlich halten es die Kollegen für eine ganz verwerfliche Sache. Die Missetäter werden nicht geschont, sondern mit einer Art Fahndungsfoto vorgeführt: Man sieht Pipilotti Rists blauen Blick, Melinda Nadj Abonjis Lach-Grübchen und Thomas Hirschhorns fragende Augen hinter der dicken Hornbrille. Peter Fischli und David Weiss sind sogar in Schwarzweiss abgebildet, mit einem ganz alten Foto. Man kennt das ja von den Terroristen – sie dulden keine Kameras in ihrer Nähe.Was das eigentliche Verbrechen der auf der Frontseite vorgeführten Kulturtäter ist, wird im Artikel schnell klar: sie sind international erfolgreich. Und dennoch bekommen sie in der Schweiz auch Anerkennung. Welch ein Skandal! Nehmen wir zum Beispiel die Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji. Hätte ihr die Stadt Zürich 2004 die Gabe von 830 Franken monatlich nicht ein Jahr lang in den Rachen gestopft, hätte diese Abzockerin wohl nicht weiter- geschrieben und der Schweiz wäre die Schmach erspart geblieben, eine ihrer Schriftstellerinnen 25 000 Euro Buchpreisgeld von den Deutschen kassieren zu sehen. Nein, ehrlich, was ist denn das für Logik? Liebe Kollegen von der «Weltwoche», darf ich Euch in Erinnerung rufen: Sozialfürsorge unterstützt die Bedürftigen. Kulturförderung aber die Begabten! Ihr werdet kein Land finden, wo das anders ist. Da könnt ihr noch so lange in den Steuererklärungen von Rist oder Fischli/Weiss schnüffeln. Dass ihre Kunst von allen wichtigsten Museen der Welt angekauft wird und an den Auktionen gute Resultate erzielt, ist für die Förderung ihrer Projekte keine Kontraindikation. Sondern ein Gütezeichen. 2,24 Milliarden fliessen in der Schweiz in die Kultur, das soll zu viel sein? Schliesslich gehen diese Gelder zumeist nicht auf die Konten der «Subventionsjäger», sondern in die weltweit hoch geschätzten Schweizer Museen, Theater und Opern. Liebe Kollegen, darf ich Euch erinnern? Eine Grossbank bekam über Nacht 6 Milliarden Fr. vom Staat, nur um ihre Managementfehler auszubügeln. Und wenn man sich auf der Welt so umhört, dann holen die von Euch verteufelten «Staatskünstler» auf dem freien Sympathiemarkt all die Punkte, welche die anderen Milliardenempfänger verspielen. Somit sind die zwei komma vierundzwanzig doch ein ganz anständig investiertes Geld. «Wirtschaftslandschaft Davos» von Thomas Hirschhorn ab 29. 1. im Kunsthaus Aarau «Sozial- Fürsorge unterstützt die Bedürftigen. Kultur- Förderung die Begabten!» © SonntagsZeitung; 16.01.2011; Seite 46 @askewa @PSPresseschau Wunderbares textlein 🍀 thx 4 sharing 08:10:37 PM Mai 30, 2023 von &s in Antwort auf PSPresseschau@GESDA Hackathon 4 the future – Open Quantum Institute in the making. Impressive! https://t.co/hWBdlsEFkd 09:35:19 AM Mai 07, 2023 von &s in Antwort auf GesdaIt’s my #Twitterversary! I have been on Twitter for 13 years, since 26 Nov 2009 (via @twi_age). 01:00:51 AM Dezember 13, 2022 von &s @askewa folgen Neueste Beiträge Baselitz‘ WeltI likePrivate Sales, ein SchattenspielAdieu John BergerTalk mit Jacqueline Burckhardt Blogroll FAQNews-BlogPop MattersRevue 21Support ForumWordPress-Planet Themen Ai Weiwei Amerika Andy Warhol Aphrodite Ascona Baron Heinrich Thyssen Basel Biennale Venedig Bird’s Nest Caravaggio China Fischli/Weiss Fondation Beyeler Frank Gehry Georg Baselitz Gerhard Richter Ghirlandaio Gstaad Gurlitt Gustav Klimt Harald Szeemann Keanu Reeves Kunst Kunstmuseum Basel Louise Bourgeois Maja Hoffmann Maria Lassnig Marlene Dumas Melinda Nadj Abonji Monte Verità Nachtkritik Oprah Winfrey Pipilotti Rist Schweizer Architektur Schweizer Film Schweizer Kunst Schweizer Literatur Shakespeare Simon de Pury Thomas Hirschhorn Ugo Rondinone Urs Fischer Valentin Carron Warhol Weltwoche Next Post Schreibe einen Kommentar Cancel Reply Logged in as Ewa Hess. Edit your profile. Log out? Required fields are marked * Message*

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